Stuttgart. Angesichts neuer Zweifel an den Kosten für Stuttgart 21 haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Schlichter Heiner Geißler die Deutsche Bahn zu größtmöglicher Offenheit ermahnt. Kretschmann hielt dem Staatskonzern am Dienstag in Stuttgart vor, er verletze seine vertragliche Pflicht, wenn er mit der Entwicklung der Kosten bei dem Milliarden-Bahnprojekt weiter hinter dem Berg halte. „Es wird jetzt höchste Zeit, dass das endlich kommt. Das ist eine unhaltbare Praxis, die die Landesregierung in ihrer Gänze ärgert und die wir weiter nicht hinnehmen werden." Die Bahn müsse spätestens an diesem Freitag bei der Sitzung des sogenannten Lenkungskreises die Unterlagen zu Kostenrisiken nachliefern. Nach einer Aufstellung des früheren Chefplaners drohten Mehrausgaben von einer Milliarde Euro.
Wie das ARD-Magazin „Report Mainz" berichtet, hat die Bahn schon vor Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung im April 2009 genau gewusst, dass wesentliche Posten bei Stuttgart 21 deutlich teurer werden. So schlage der Bau des Tiefbahnhofs mit 185 Millionen Euro mehr zu Buche, der Fildertunnel sogar um 455 Millionen Euro mehr.
Insgesamt ergeben sich danach Kostensteigerungen von fast einer Milliarde Euro, von denen in der Finanzierungsvereinbarung im April 2009 keine Rede sei. Das gehe aus internen Bahn-Papieren hervor. Die Deutsche Bahn erklärte, die Zahlen hätten zu dem Zeitpunkt noch nicht vollständig vorgelegen.
Kretschmann sagte dazu, das Verkehrsministerium habe bereits vor einiger Zeit das Gleiche herausgefunden. Geißler sagte „Report Mainz": „Wenn das wahr ist, dann sind die Vertragspartner damals von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Bahn ist nun wirklich verpflichtet, eine aktualisierte, neue und realistische, ehrliche Kostenrechnung vorzunehmen, vor allem vor der Volksabstimmung, weil diese Volksabstimmung sonst keine reelle, richtige Grundlage hat."
Der Ministerpräsident wies die Kritik von Deutsche-Bahnchef Rüdiger Grube zurück, das Land komme seiner Projektförderpflicht nicht nach und streue dem Unternehmen Sand ins Getriebe. „Wir sind für die ordnungsgemäße Verwendung der Steuergelder verantwortlich. Die Bahn hat da eine eindeutige Bringschuld." Es sei wichtig, dass die Baden-Württemberger vor der Volksabstimmung Ende November wüssten, was für Kosten zu erwarten seien.
Grube hatte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, die Kalkulationen würden ständig aktualisiert, das nächste Mal zur Sitzung des Lenkungskreises. Zudem beklagte er sich über Grün-Rot. „Solch ein großes Projekt kann man nicht realisieren, wenn der wichtigste Partner nicht mitzieht." Schließlich müsse die Bahn ständig mit den Ministerien und den Fachbehörden zusammenarbeiten. „Im Verkehrsministerium sitzen aber jetzt Leute aus dem Aktionsbündnis und Parkschützer, die nichts anderes tun, als uns Steine in den Weg zu legen und durch taktische Verzögerungen den Bau zu blockieren."
Kretschmann sagte dazu: „Das Ministerium verhält sich nicht obstruktiv." Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) beharre nur darauf, dass er die nötigen Informationen bekomme. Hermann hatte Grube einen Brief geschrieben, um sich über die Informationspolitik zu beschweren. Bei der Sitzung am Freitag wird es unter anderem um die angeblich drastisch gestiegenen Kosten für das Grundwassermanagement und die Ausgaben für die Nachbesserungen gehen, die sich aus der Schlichtung ergeben.
Die Grünen sind schon lange der Meinung, dass die vereinbarte Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro für das von der Bahn bislang auf 4,1 Milliarden Euro taxierte Projekt nicht gehalten werden kann.
Bei Stuttgart 21 soll der Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt werden. Diese soll dann an die neue ICE-Trasse nach Ulm angebunden werden.
Streit zwischen SPD und CDU
Auch bei den S21-Befürwortern gibt es Ärger. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel warf seinem CDU-Kollegen Peter Hauk vor, er vergrätze viele Unterstützer von Stuttgart 21, wenn er die Volksabstimmung Ende November zur Abstimmung über die grün-rote Regierung stilisiere. „Es gibt eine Menge Menschen, die wollen den Erfolg der Regierung und Stuttgart 21", sagte Schmiedel. Mit seiner Strategie treibe der CDU-Fraktionschef viele Unterstützer in die Enthaltung oder in das gegnerische Lage.
Hauk sagte dazu, er habe ja gar nicht Schmiedel kritisiert, sondern den Beschluss des SPD-Landesvorstands auf eine Kampagne für Stuttgart 21 zu verzichten. Bis vor kurzem habe die SPD noch zu den klaren Unterstützern des Projekts gehört. „Die Sozialdemokraten müssen sich entscheiden: Wollen sie nur ein bisschen oder richtig schwanger sein?" Die Befürworter müssten selbstverständlich für Stuttgart 21 werben dürfen. (dpa)
mercurius