Keine Zeit zum Ausruhen

Möbelspeditionen haben wenig Grund zu klagen. Dem Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ) zufolge sind die Transportmengen seit 2012 deutlich um über 30 Prozent gestiegen. Auch 2017 hält der Verband weiteres Wachstum für möglich. Vor allem von den wachsenden Importmengen haben viele Unternehmen profitiert. Rund 50 Prozent der in Deutschland produzierten Möbel, aber 90 Prozent der im Ausland hergestellten Produkte werden von Speditionen in den Handel transportiert. Ohne die vollen Auftragsbücher der heimischen Hersteller sind diese guten Zahlen trotzdem nicht vorstellbar. Mit 13,3 Milliarden Euro Umsatz in den ersten neun Monaten 2016 (plus 4 Prozent) konnten sie dem Verband der Deutschen Holz-, Möbel- und Fertigbauindustrie (VDM) zufolge den Spitzenwert im Vorjahreszeitraum (12,8 Milliarden Euro, plus 6,2 Prozent) nochmals übertreffen. Für weitere Zuwächse sorgt der Handel. Über 32 Milliarden Euro Umsatz erwartet der Bundesverband des Deutschen Möbel-, Küchen- und Einrichtungsfachhandels (BVDM) für 2016. Das entspricht mindestens dem Vorjahresniveau. Neben den großen Wohnkaufhäusern wächst vor allem der Online-Handel. Über 178 Millionen Euro (plus 3,2 Prozent) Umsatz verzeichnete Marktführer Home24 in den ersten neun Monaten 2016. "Wir haben dieses Ergebnis auch durch eine Fokussierung auf effiziente Prozesse und Systeme erreicht", versichert Vorstand Christoph Cordes. Der Manager spricht einen wunden Punkt an. Bei vielen Herstellern und Händlern kann von effizienten Prozessen keine Rede sein. "Manche Branchenunternehmen sind in der modernen IT-Welt offenbar noch nicht angekommen", kritisiert AMÖ-Geschäftsführer Dierk Hochgesang. "Von einer durchgehenden Abbildung der Wertschöpfungsprozesse ist die Branche deshalb noch weit entfernt." Solche Mängel sind auch auf Besonderheiten der Möbellogistik zurückzuführen. Wer Betten, Schränke, Sofas oder Kücheneinrichtungen transportiert, muss mit langen Zeitfenstern planen. Weil die meisten Produkte nicht auf Paletten umgeschlagen werden können, ziehen sich Ladeprozesse hin. "Auch zwei Mann benötigen häufig vier bis fünf Stunden für die Beladung eines kompletten Lkw-Zugs beim Hersteller sowie dessen Entladung beim Händler", sagt Martin Ahnefeld, Inhaber des gleichnamigen Umzugs- und Neumöbellogistikunternehmens in Minden. Ebenso dauern Sammelverkehre lange und gelten als schwer planbar. Regelmäßig gehen falsch gelieferte Produkte wieder retour und verzögern so die Be- und Entladeprozesse zusätzlich. Über Rückläuferquoten von deutlich über zehn Prozent klagen etliche Speditionen, was der AMÖ auch auf unzulängliche oder gar fehlende IT zurückführt. Zettel und Fax als Arbeitsgerät Weil viele Kunden mit eigenen Systemen arbeiten, haben ihre Logistikpartner Mühe, diese an ihre Schnittstellen anzubinden. Außerdem gibt es Systembrüche ab der Bestellaufnahme. Vor allem die Supply Chains für Auftragsware werden so massiv beeinträchtigt. "Manche Handelshäuser nehmen Kundenorder immer noch handschriftlich entgegen und leiten diese per Fax weiter", staunt Hochgesang. Als Folge werden regelmäßig Möbelprodukte fehlerhaft oder unvollständig produziert, was zu Rücksendungen und Nachbestellungen führt. Mit diesen Zuständen will die "Zukunftsinitiative Möbellogistik" (ZIMlog) aufräumen. Seit Februar 2016 entwickelt die HWH Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung im Auftrag der Branchenverbände unternehmensübergreifende Standards für Händler, Hersteller und Dienstleister in zehn Bereichen. "Wir brauchen solche Lösungen von der Kundenbestellung über das Lieferavis bis hin zum Retourenmanagement", sagt Hochgesang. Im ersten Schritt haben die Karlsruher Experten Kriterien für einen einheitlichen Warenkatalog entwickelt. Viele Unternehmen arbeiteten bislang mit sehr unterschiedlichen Definitionen für Schränke, Kommoden und andere Produkte. Im zweiten Schritt identifizierten die HWH-Profis 37 Störquellen für übergreifende Prozesse und arbeiteten Entwürfe für künftige Standards aus. Ab Februar werden diese von 16 Herstellern, Händlern und Logistikdienstleistern getestet. "Vor allem die Be- und Entladeprozesse müssen verkürzt werden", lautet Ahnefelds Erwartung an ZIMlog. Der Mindener Logistikunternehmer, einer der Initiatoren der Zukunftsinitiative, ärgert sich zusätzlich über lange Vorlaufzeiten an der Rampe. Weil die Anmeldefristen der Kunden stark variieren, haben Speditionen, die nur kurzfristig Zeitfenster für Be- und Entladetermine buchen können, häufig das Nachsehen und müssen sich mit Wartezeiten oder ungünstigen Terminen begnügen. Auch hier erhofft sich Ahnefeld Abhilfe von einheitlichen Standards. "Die Chancen für solche Lösungen waren noch nie so groß wie heute", gibt sich der Logistikunternehmer optimistisch. Ebenso hält er für manche Zusatzdienstleistungen einheitliche Regelungen für wünschenswert. Hersteller und Händler haben sich einiges einfallen lassen. Manche Unternehmen wünschen, dass die Fahrer auch Montagearbeiten beim Kunden übernehmen. Andere fordern die Mitnahme von Altmöbeln und die Entsorgung von Verpackungsmüll, einige drängen sogar darauf, dass die Fahrer Möbel am Lagerplatz abholen und bei der Kommissionierung helfen. Allerdings halten auch manche Hersteller mit Werkverkehren solche Dienstleistungen für wettbewerbsverzerrend und ziehen deshalb bei ZIMlog mit den Logistikern an einem Strang. In jedem Fall machen diesen Unternehmen die Wartezeiten an der Rampe ihrer Handelskunden zu schaffen. Für Klaus Hartmann, Versand- und Fuhrparkleiter des Küchenherstellers Nobilia in Verl, sind die unfreiwilligen Aufenthalte das derzeit größte Problem. "An einheitlichen Standards für Zeitfenster führt auf Dauer kein Weg vorbei", stimmt der Logistikmanager Ahnefeld zu. Mit einer Flotte von 150 ziehenden und 600 gezogenen Einheiten führt der Küchenhersteller bis zu 90 Prozent der inländischen Distributionsverkehre in eigener Regie durch. Liefertermin schon beim Einkauf Die gemeinsame Front von Herstellern und Logistikern kann die Händler auf Dauer nicht kalt lassen. Als erstes Branchenunternehmen reagierte das Wittener Einrichtungshaus Ostermann auf diese Herausforderung und investierte in eine EDI-basierte Lösung. Als ZIMlog gegründet wurde, stellte sich Inhaber Rolf Ostermann an die Spitze der neuen Bewegung. "Wir müssen dem Kunden bereits am Kauftag den genauen Liefertermin nennen", forderte er bei der Gründung einen weiteren Standard, der in anderen Branchen längst selbstverständlich ist. Zum Umdenken des Handels hat nicht zuletzt der wachsende Erfolg mancher Online-Portale beigetragen. Über zwei Milliarden Euro Umsatz werden mittlerweile im Internet gemacht, Tendenz weiter steigend. Auch mancher stationäre Händler hat das Web als komplementären Vertriebskanal entdeckt. Für Paul Wittenbrink, Geschäftsführer von HWH, wird sich die Möbelbranche durch den Online-Handel "gewaltig" verändern. "Weil die erhöhten Logistikkosten durch Billigmöbel allein nicht gedeckt werden können, werden zunehmend auch hochwertige Produkte online abgesetzt", prognostiziert der Experte. Gegenüber stationären Wettbewerbern können Online-Plattformen bereits heute mit festen Lieferzeiten und verbindlichen Services punkten. "Die meisten Artikel werden innerhalb von zwei bis drei Tagen zugestellt", versichert Home24-Vorstand Cordes. "Der Kunde kann beim Kaufabschluss Zusatzdienstleistungen wie einen Aufbauservice hinzubuchen." Für solche Zustellungen setzt Home24 bundesweite Dienstleister wie DHL, Hermes und Rhenus ein, welche bereits seit Jahren eine Zwei-Mann-Logistik auch für B2C-Verkehre anbieten. Mittlerweile haben weitere Marktgrößen wie die Kooperation IDS nachgezogen. Auch Logistikriese Dachser will ab 2017 auf seinen europaweiten Transportnetzen mit Zwei-Mann-Logistik für Endkunden punkten. Handel bestimmt die Marschrichtung Inwieweit solche Vorstöße die rund 1000 Möbelspeditionen, die überwiegend in regionalen Märkten tätig sind, beeinträchtigen werden, bleibt abzuwarten. Viel hängt vom regionalen Handel ab: Wenn dieser flächendeckend in den E-Commerce einsteigt, rechnen sich auch für kleinere und mittlere Dienstleister eigene B2C-Zustelllösungen. Fazit: Die Möbellogistik ist ein Wachstumsmarkt. Keinesfalls aber ein Geschäft, das Spediteure "nebenbei" erledigen können. Wer mitmischen will, kann vom Onlinehandel profitieren, allerdings nur dann, wenn er das B2C-Geschäft beherrscht, über gut ausgebildetes Personal verfügt und in Sachen IT mit Händlern und Herstellern an einem Strang zieht. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Möbellogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In den kommenden Ausgaben analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipp Möbellogistik Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen Was muss ein Dienstleister können, wenn er in der Handelslogistik erfolgreich sein will? Wir haben ohne Anspruch auf Vollständigkeit vier wichtige Anforderungen aufgelistet:- Personal: Für viele B2B- und B2C-Touren müssen zwei Mann eingesetzt werden- Probleme an der Rampe: Die Zeitfenster für Be- und Entladung sollten mehrere Wochen im Voraus gebucht werden. Disponenten mit viel Erfahrung sind von Vorteil- Sammelverkehre dominieren klar. Gute Kenntnisse in der Tourenplanung sind deshalb unerlässlich- Export: Viele Hersteller leben vom Ausland. Jede Spedition sollte deshalb in internationale Verkehre und Netzwerke investieren- IT: Dienstleister sollten Schnittstellen zu Händlern bieten bot

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