Kein Platz auf dem Schiff

So schnell kann es gehen. Noch vor einigen Monaten wurde in der Schiffsbranche über riesige Überkapazitäten debattiert. Jetzt haben Spediteure und Verlader mit knappen Kapazitäten und hohen Raten für Seefracht zu kämpfen. Wenn sie denn ihre Ladung überhaupt auf ein Schiff bekommen. Zuschläge von bis zu 1000 US-Dollar Laut der Hamburger Spedition Alfons Köster sind die Reeder vier bis acht Wochen im Voraus ausgebucht. "Kurzfristige Buchungen für eilige Sendungen werden schwierig - teilweise sogar unmöglich", schreibt Köster in einer Information an seine Kunden. Andere Speditionen sprechen von bis zu acht Wochen, in denen die Container im Hafen stehen, bevor sie verladen werden. Ladung mit höherem Ratenniveau würde dagegen bevorzugt mitgenommen. Gleichzeitig explodieren die Tarife. Teilweise seien ohne Vorankündigung Ratenzuschläge für Neu- und Bestandsbuchungen von bis zu 1000 US-Dollar pro Container gefordert worden. Einige Reedereien wollen gar bestehende Abkommen aufheben und neu verhandeln. So habe etwa die chinesische Cosco Shipping Lines ihren Kunden mitgeteilt, sie werde alle Seefrachtverträge kündigen, die nicht bestimmten finanziellen Anforderungen genügten. Auf diese Weise wolle man die Seefrachten in die Höhe treiben und sich der schlecht verhandelten Altverträge entledigen, mutmaßt der Verein Hamburger Spediteure (VHS) in einem Schreiben an seine Mitglieder. Johan Schryver, Vorsitzender des VHS, kritisierte das Vorgehen auf einer internen Sitzung als "Wild-West-Methoden". Zumal offenbar großen Direktverladern signalisiert wurde, dass ihre Buchungen nicht betroffen seien. Vertragliche Vereinbarungen mit Spediteuren seien für die Containerlinien nur Verträge zweiter Klasse, empörte sich Schryver. Verlader machen Reeder verantwortlich Auch der europäische Verband der Spediteure, European Shippers' Council (ESC), ist sauer. "Die momentanen Kapazitäten sind unzureichend", beschwerte sich der Verband auf einer Anfang April in Brüssel einberufenen Sondersitzung. In einer Stellungnahme lässt sich zwischen den Zeilen der Vorwurf herauslesen, die Situation sei nicht nur eine natürliche Marktreaktion. Vielmehr würden die Reeder die Kapazitäten künstlich verknappen, um ihre Rentabilität zu erhöhen. Von der Hand zu weisen ist das nicht. Die drei neu formierten Allianzen, die 14 Container-Linienreedereien umfassen, halten knapp 80 Prozent der weltweiten Stellplatzkapazitäten in TEU (20-Fuß-Container). Das Oligopol wäre stark genug, mit einer Verknappung die Raten hochzuhalten. Ganz so einfach ist es aber nicht. Vielmehr scheint der Mangel an Frachtraum viele Väter zu haben. So sind die Exporteure teilweise Gefangene ihres eigenen Erfolges. Die Exporte von Europa gen Osten haben in den letzten Monaten stark zugenommen. So beobachtet etwa die Hamburger Reederei Hapag Lloyd seit Wochen ein ungewöhnlich hohes Ladungsaufkommen von Europa nach Asien. Das sei nicht vorhersehbar und untypisch für die Jahreszeit gewesen, so ein Reederei-Sprecher. Der starke Export traf vor allem im Februar und März auf ausgedünnte Kapazitäten. Wegen des chinesischen Neujahrsfestes, an dem viele Fabriken schließen, hatten insbesondere asiatische Reedereien Fahrten nach Europa gestrichen. Diese Schiffe fehlten für den Rückweg. Doch auch insgesamt sind die Kapazitäten gesunken. Allein im März stand etwa ein Drittel weniger Frachtraum zur Verfügung, schätzt Gerd Deimel, Vorsitzender des Deutschen Seeverladerkomitees im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ein Grund für die Ausfälle war die Pleite der südkoreanischen Reederei Hanjin, einst immerhin die siebtgrößte Containerreederei der Welt. Hinzu kommt die Neuorganisation der Allianzen. Dadurch kam es zu Änderungen in den Fahrplänen und zu Ausfällen bei Schiffen. Nachfrage steigt bereits seit Herbst 2016 Den Reedereien kommt der Engpass nicht ungelegen. In den vergangenen Jahren verdienten die meisten durch die hohen Überkapazitäten auf dem Markt kaum Geld. Jetzt sehen einige die Möglichkeit, die Raten auf ein auskömmliches Niveau anzuheben und Verluste der Vergangenheit wettzumachen. Eine gewisse Absicht kann man den Reedereien dennoch unterstellen. Denn überraschend kam das höhere Aufkommen nicht. "Seit Herbst 2016 zeigt sich nach fast zwei Jahren der Stagnation eine erkennbare Steigerung des Containerumschlags und der transportierten Mengen", beobachtet Professor Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen. Allerdings hätten die Linien ihre Kapazitäten nicht gleich wieder ausgeweitet und alte Schiffe weiter verschrottetet. Das habe auf Routen zu einer hohen Auslastung und einer Steigerung der Frachtraten geführt. Hinzu komme der seit Ende 2016 deutlich gestiegene Bunkerpreis. Die Kosten sind nicht das größte Problem der Speditionen und Verlader. Die Aufschläge ließen sich überwiegend bei den Kunden durchsetzen, sagt Oliver Oestreich, Mitglied der Geschäftsleitung der Bremer Leschaco-Gruppe und Vorsitzender des Vereins Bremer Spediteure. Die Unternehmen hadern vielmehr mit der Termintreue. Oftmals könnten Lieferverpflichtungen nicht eingehalten werden. Erhebliche Unzuverlässigkeit "Fast im gesamten ersten Halbjahr mussten die Verlader mit erheblicher Unzuverlässigkeit zurechtkommen", bestätigt Deimel. Das sei eine bittere Erfahrung und zugleich eine besondere Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit gewesen. "So etwas kann natürlich auch Auswirkungen auf künftige Mengenentwicklungen haben", droht er den Reedern, dass sich einige Verlader andere Wege suchen könnten. Auch Oestreich denkt über Alternativen nach. "Aufgrund der signifikanten Ratenerhöhungen in der Seefracht nach China ist die Zugverbindung konkurrenzfähig geworden", sagt er. Der Verbandschef empfiehlt den Spediteuren zu versuchen, kurzfristig den erforderlichen Laderaum zu besorgen, unabhängig von den Raten, um keine Kunden zu verlieren. Mittel- und langfristig sollten sich die Speditionen Stellplatzgarantien von den Reedern zusichern lassen. Bei der Spedition Köster rät man den Kunden, einen Vorlauf von drei bis acht Wochen einzuplanen. Vorsichtshalber habe man teilweise bis in den Mai Buchungen platziert, um laufende Geschäfte zu gewährleisten. Zudem sei man bemüht, Frachträume und Stornierungen zu nutzen oder umzuverteilen. "Die Reeder reagieren jedoch sehr empfindlich, wenn Buchungen nicht erfüllt werden", heißt es in dem Kundenschreiben. Kurzfristige Stornierungen würden als Ausfall berechnet. Durch den gestiegenen Zeitaufwand für die Organisation von Schiffsraum seien außerdem Kostensteigerungen unvermeidbar. Auch die verladenden Unternehmen würden mit weiteren Kostenerhöhungen rechnen, so Deimel. In der Spedition Köster erwartet man in den nächsten Monaten keine Entspannung. Ob es in der zweiten Jahreshälfte zu einer Entschärfung komme, bleibe abzuwarten. Oestreich und der BDI rechnen dagegen ab Juni mit einer Normalisierung. "Aus Sicht der Verlader hat sich die Lage derzeit etwas entspannt", sagt Deimel. Allerdings gebe es nach wie vor Engpässe bei den Containern. Schon jetzt haben sich die Containermieten seit dem Tiefpunkt im letzten Jahr verdoppelt. "Mit neuen Schiffen werden nicht mehr wie früher so viele Container geordert, die dreimal der Größe des Schiffes entsprechen", sagt Oestreich. Vielmehr versuchen die Reedereien durch eine verbesserte Containerlogistik mit weniger Containern auszukommen. Er fordert von den Reedern, mehr Container bereitzustellen. "Dies wird aber nur geschehen, wenn die Reedereien auskömmliche Raten erzielen", weiß Oestreich. Gefahr der Überkapazität nicht gebannt Daran soll es nicht scheitern. Vertreter von Spediteuren und Verladern betonen, sie hätten kein Interesse daran, dass Reedereien in finanzielle Schwierigkeiten gerieten. Schließlich war die Pleite von Hanjin nicht zuletzt eine Folge der niedrigen Frachtraten. Ob die Raten dauerhaft hoch bleiben, ist dennoch unsicher. Es gebe nach wie vor unbeschäftigte Kapazitäten in erheblichem Umfang, warnt Lemper. Sobald diese aufliegenden Schiffe reaktiviert würden, drohten wieder Überkapazitäten. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Seefracht www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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