Kartellverdacht

Kartellverdacht Reeder im Fokus der EU-Behörden Die EU-Kommission hat die Büros mehrerer Großreeder im Containerlinienverkehr durchsucht. Sollte sich der Kartellverdacht der Behörden bestätigen, drohen hohe Geldstrafen. Die EU-Kommission hat mit ihrer konzertierten Aktion Mitte Mai deutlich gemacht, dass sie bei Verdacht auf Wettbewerbsverstöße keinen Spaß versteht. Beamte der Brüsseler Behörde führten unangemeldete Durch-suchungen in Büros mehrerer Großreedereien im Containerlinienverkehr durch. Die Namen der betroffenen Unternehmen wurden unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht genannt. Mittlerweile haben aber einige Reeder die Razzien von sich aus bestätigt, darunter die weltweit größte Reederei A.P. Moeller Maersk, Hapag-Lloyd sowie die zur Oetker-Gruppe gehörende Reederei Hamburg Süd. Ebenfalls untersucht wurden die Londoner Büros der Reedereien Neptune Orient Lines (NOL) und OOCL. Nach Medienberichten erhielt auch die französische CMA CGM unangemeldeten Besuch. Man habe Grund zu der Annahme, dass „die betroffenen Unternehmen gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen haben, die Kartelle und restriktive Geschäftsmethoden und/oder den Missbrauch einer dominanten Marktposition verbieten“, heißt es in einer Mitteilung der EU-Behörde. Unangekündigte Untersuchungen seien ein erster Schritt bei solchen Verdachtsfällen, sie bedeuteten keinesfalls, dass die betroffenen Unternehmen schuldig seien, betont die Kommission. Sollten sich die Verdachtsmomente erhärten, kann das für die Reeder teuer werden: Die Kommission kann Geldstrafen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes verhängen. Hinzu käme ein beträchtlicher Imageschaden und mögliche Schadenersatzforderungen benachteiligter Kunden. Unbekannt ist derzeit, ob die Untersuchungen aufgrund einer konkreten Anzeige aus dem Markt oder aufgrund einer Selbstanzeige durch einen Reeder erfolgen, der über die Kronzeugenregelung einer Bußgeldstrafe zu entgehen hofft. Hapag-Lloyd teilte mit: „Wir sind davon überzeugt, dass wir in Übereinstimmung mit den EU-Wettbewerbsregeln handeln.“ Maersk wies alle Vorwürfe wegen illegaler Preisabsprachen ebenfalls zurück. Eine Sprecherin der Reederei Hamburg Süd sagte gegenüber der VerkehrsRundschau: „Die Geschäftsleistung geht davon aus, dass der Anfangsverdacht der EU-Wettbewerbshüter unbegründet ist.“ In der Vergangenheit hätten die Verantwortlichen, die für die fünf Fahrtgebiete zuständig sind, ihre Mitarbeiter in Schulungen und schriftlichen Anweisungen über die europäischen Wettbewerbsregeln unterrichtet. Gleichwohl überlasse man den Behörden alle geforderten Unterlagen. Die Auswertung der Unterlagen dürfte den Ermittlern zur Sisyphosarbeit geraten und mögliche Ermittlungen sich über Jahre hinziehen, glaubt die Rechtsanwältin Christine Bader von der auf Seerecht spezialisierten Hamburger Anwaltskanzlei Watson, Farley & Williams (siehe Interview). Im Einzelfall sei es sehr aufwendig nachzuweisen, dass EU-Wettbewerbsrecht verletzt wurde. Kurt-Jürgen Schimmelpfeng, Geschäftsführer des Komitees Deutscher Seehafenspediteure (KDS) im Deutschen Speditions- und Logistikverband, zeigt sich überrascht von den Untersuchungen. Informationen über Preisabsprachen oder andere Verstöße gegen Kartellrecht lägen ihm nicht vor. Der Wegfall der Linienkonferenzen habe aus Sicht der Spedition die Unruhe im Marktgeschehen eindeutig verstärkt, auch wenn über die Konferenzen zuletzt vor allem die Zuschläge im Seeverkehr festgesetzt wurden. Nicolette van der Jagt, Generalsekretärin des European Shippers‘ Council (ESC) in Brüssel, merkt an, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn Industrien genauer unter die Lupe genommen werden, wenn sie, wie im Falle der Reeder, aus einer Gruppenfreistellung herausgenommen wurden. Offizielle Beanstandungen aus dem Kreis der Mitglieder lägen dem ESC, das die Interessen der europäischen Verlader vertritt, nicht vor. Beanstandungen seitens der Industrie hatten eher „anekdotischen Charakter“. Die Hoffnung der Verlader, dass sich der Markt nach Wegfall der Linienkonferenzen stärker differenziert und den Kunden mit besseren Services entgegenkommt, habe sich aber nicht erfüllt, beklagt van der Jagt. Reeder blickten immer noch eher auf Marktanteile als auf ihre Servicequalität. ❙❚■ Dietmar Winkler Haben Reedereien in der Linienschifffahrt gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen? Kartellverdacht Die Aktion kommt nicht überraschend Anwältin Christine Bader von der auf Seerecht spezialisierten Kanzlei Watson, Farley & Williams über Spielregeln im Reedergeschäft. War es zu erwarten, dass die EU-Wettbewerbshüter den Markt der Linienreeder unter die Lupe nehmen würden? Christine Bader: Aus meiner Sicht kommen die Untersuchungen nicht allzu überraschend. Generell haben die EU-Behörden ein hohes Interesse am Transportmarkt – das haben die zurückliegenden Verfahren im Flugverkehr deutlich gezeigt. Die Veränderung der Spielregeln im Seeverkehr, besonders durch die Abschaffung der Linienkonferenzen 2008, war lange vorbereitet und ein aufwändiger Prozess. Die EU-Kommission will jetzt nach Ablauf einer gewissen Frist deutlich machen, dass sie es ernst meint mit ihren Vorgaben zum freien Markt. Welche Informationen dürfen Reedereien nach Aufhebung der Linienkonferenzen noch austauschen, ohne Kartellrecht zu verletzen? Bis zu einem gewissen Grade ist die Veröffentlichung von Marktinformationen ja durchaus erwünscht und wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Es ist zum Vorteil für die Kunden, wenn im Markt eine gewisse Preistransparenz herrscht. Unbedenklich sind Datenbanken, die das Preisniveau für Containerfrachtraten widerspiegeln, wenn die Daten historisch und aggregiert sind und nicht bestimmten Unternehmen zugeordnet werden können. Problematisch sind der Austausch von individuellen Preisangeboten zwischen Reedern oder zukunftsgerichtete Angaben über das Kapazitätsangebot, denn das würde den Markt beeinflussen. Welchen rechtlichen Stellenwert haben die Guidelines, die die EU-Kommission für den Seeverkehr erlassen hat? Die Guidelines haben keine rechtliche Bindungswirkung, sondern sind eine Auslegungshilfe für die Marktteilnehmer. Die Guidelines enthalten Einschätzungen der EU-Kommission zu Aspekten, die in den maßgeblichen EU-Vorschriften nicht oder nur knapp dargestellt sind. Aber natürlich haben die Guidelines, da sie die Ansicht der Kommission wiedergeben, eine faktische Bindungswirkung in der Praxis. Zwar dürfen die Reeder sich nicht mehr über Preise in Konferenzen unterhalten, aber Konsortien sind nach wie vor erlaubt. Wo liegt der Unterschied? Innerhalb eines Konsortiums betreiben mehrere Reeder gemeinsam Liniendienste. Die Freistellung nach der Konsortialverordnung gilt für die Zusammenarbeit auf operativer Ebene wie die gemeinsame Nutzung von Schiffen und die Abstimmung von Routen und Fahrplänen. Hier geht es um Einsparungen durch Rationalisierung. Nicht freigestellt ist hingegen eine gemeinsame Preissetzung. Die Freistellung gemäß VO (EG) 906/2009 gilt noch bis 25. April 2015. diwi Interview Christine Bader Linienkonferenzen: Bis zur Abschaffung der Linienkonferenzen war die Vereinbarung gemeinsamer Frachtraten (Konferenztarife) und Kapazitäten in Linienkonferenzen durch die Verordnung des EU-Rates 4056/86 erlaubt. Zum 18. Oktober 2008 wurde die Gruppenfreistellung aufgehoben. Preis- und Kapazitätsabsprachen unter Reedern sind seit dem verboten. Konsortien: Konsortien in der Seeschifffahrt sind bis 25. April 2015 durch die EU-Verordnung (EG) VO 906/2009 erlaubt. Reeder dürfen im Rahmen von Konsortien auf operativer Ebene Schiffe gemeinsam nutzen oder Fahrpläne abstimmen. Wichtige Konsortien in der Containerschifffahrt sind: Grand Alliance (Hapag-Lloyd, NYK Line und OOCL) The New World Alliance (APL, Hyundai Merchant Marine und Mitsui O.S.K. Lines) Informationsaustausch: Die Europäische Kommission hat Leitlinien für den Seeverkehr veröffentlicht. Darin sind Grundsätze für die Zusammenarbeit von Linienreedern formuliert und auch die Frage nach den Grenzen des Informationsaustauschs zwischen Marktteilnehmern wird beantwortet. Demnach dürfen nur Daten ausgetauscht werden, die so weit aggregiert sind, dass ein Rückschluss auf konkrete Geschäftspartner nicht möglich ist. Preisindizes sind laut Guidelines erlaubt, Prognosen über Kapazitäten auf bestimmten Routen sind dagegen kritisch. diwi