Hermann Lanfer: "Das kommt einem Super-GAU nahe"

Haben Sie heute schon mit Ihrer Dispo telefoniert? Leider ja (lacht). Wie viele Züge waren verspätet? Ich habe es nicht genau parat. Wir nutzen 200 Relationen bei Kombiverkehr, sind nicht der klassische Ganzzugkunde, sondern sehr breit gefächert. Da fällt so ein Ergebnis sehr unterschiedlich aus. Unter den Verspätungen leiden nicht nur Sie, sondern auch Ihre Spediteurskollegen. Ja, die Unpünktlichkeit macht allen zu schaffen. Was wir gerade erleben, kommt schon einem Super-GAU nahe. Kombiverkehr und DB Cargo könnten deutlich mehr Mengen transportieren. Ein Großteil der Probleme resultiert aus der desolaten Schieneninfrastruktur. Gemeinsam mit DB Cargo haben wir unseren Unmut über die derzeitige Situation auch an die oberste Spitze im DB-Konzern adressiert. Bei DB Cargo hört man: Wie viel Verspätung die Züge haben, sei den Kunden nicht so wichtig. Wichtig wäre zu wissen, wann der Zug ankommt. Teilen Sie diese Ansicht? Nein. Aber in der Tat, derzeit kann man schon fast froh sein, wenn der Zug überhaupt fährt. Wir haben viele Auslegungen, also Zugabfahrten, die einfach gestrichen werden. Hinzu kommt, dass das Informationsmanagement nicht zufriedenstellend ist. Stichwort: Digitalisierung. Aber da tun wir als Kombiverkehr auch etwas. Wir wollen schneller werden, dichter an die Kunden kommen mit unseren Infos. Vorbild muss Amazon sein: Dort bestellen Sie ein Produkt und wissen genau, wo sich die Sendung befindet. Daran arbeiten wir gerade mit Hochdruck. Heute haben unsere eigenen Mitarbeiter der Transportüberwachung natürlich Zuglaufdaten vorliegen. Diese Daten machen wir in Kürze in angereicherter Form für die Kunden sichtbar. Dienstleister wie Amazon sind für uns ein wichtiger Benchmark. Mit der Generalsanierung der Korridore soll laut DB-Chef Richard Lutz erst 2024 begonnen werden. Kann man mit solchen Perspektiven zufrieden sein? Wir sind mittlerweile schon froh, dass man uns sagt, dass es so sein wird und wir entsprechend planen können. Aber man muss auch sagen: Hexen kann niemand. Wenn Sie sich die Baustellenkarte im Schienennetz ansehen, stehen die Verantwortlichen mit dem Rücken zur Wand. Doch wir fordern: Wenn es schon schlecht läuft, sollten wir das, was wir steuern können, auch vernünftig abwickeln. Die Abstimmung zwischen DB Netz und DB Cargo und den Operateuren lässt zu wünschen übrig. Es kann nicht sein, dass ein Operateur in Zusammenarbeit mit einem Eisenbahn-Verkehrsunternehmen auf seiner Route eine Baustelle vorfindet, sich eine Ausweichstrecke sucht und zwei Tage später dort unvermittelt wieder in eine Baustelle gerät. Ist es nicht ein fatales Signal an den Markt, wenn die Verladerschaft immer mehr den umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene entdeckt, die Bahnen und Operateure aber antworten müssen: Sorry, wir können gerade nicht liefern. Das ist ein wunder Punkt: Die Suppe läuft und Sie haben keinen Löffel. Das ist absolut fatal. Wir haben so viele Kunden, die wir wegschicken müssen. Und es ist ja nicht nur die Infrastruktur: Es fehlt auch an Loks, an Lokführern, an Waggons, an Umschlagmöglichkeiten. Deshalb muss die Schiene stärker kämpfen denn je. Die Ware sucht sich ihren Weg. Wir werden Abwanderungen nicht immer verhindern können, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht deutlich verbessern. Welche Forderungen an die Bahnen zur Verbesserung der Lage stellen Sie? Zum einen das schon angesprochene Baustellen- und Informationsmanagement. Zum anderen wünschen wir uns jemanden, der bei DB Netz für den Güterverkehr verantwortlich ist, der als Sprachrohr für den Güterverkehr bei DB Netz wirken und die Güterkorridore betreuen kann. Wir müssen auch im Sinne unserer Mitarbeiter in den Speditionen und bei Kombiverkehr eine Verbesserung erreichen. Für die Disponenten ist es absolut frustrierend, wenn nichts mehr klappt und eine Sendung nach der anderen stecken bleibt. Sie sind nicht nur der Vorsitzende des Verwaltungsrates bei Kombiverkehr. Sie sind vor allem Chef der Spedition Lanfer. Welche Bedeutung hat der KV in Ihrem Unternehmen? 35 bis 40 Prozent des Umsatzes machen wir im KV. Etwa 55 Prozent entfällt auf die Straße. Der Rest sind Logistikaktivitäten wie Lagerhaltung. Aber wir würden mehr KV betreiben, wenn wir könnten. Auch unsere Kunden wollen das. Wir sind ja vorwiegend in der Chemieindustrie tätig, da gibt es eine hohe Bereitschaft, den KV zu nutzen. Können Sie derzeit Kollegen den Einstieg in den KV empfehlen? Oder sagen Sie: Lasst die Finger davon, du bekommst eh keinen Löffel für die Suppe. Das kann man nicht pauschal beantworten. Es gibt Terminals und Routen, da sind Kapazitäten frei und die Leistung der Bahnen ist auch so weit in Ordnung. Aber an den neuralgischen Punkten kann es auch anders aussehen. Da muss jeder für sich entscheiden, wie die Leistungsqualität auf der Schiene mit den eigenen Anforderungen an den Transport zusammenpasst. Wie war der Einstieg in den KV bei Lanfer? Den Einstieg haben wir vor 16 Jahren gefunden mit der Übernahme der Spedition Meurer, die stark im KV aktiv war. Davor hatten wir 95 Prozent der Transporte mit dem Lkw abgewickelt. Der Kauf war auch eine strategische Entscheidung: Wir haben gesehen, dass unsere Kunden immer stärker Intermodal-Transporte nachgefragt haben. Wir haben dann das Geschäft mit der Chemieindustrie ausgebaut und sind näher an die Cluster in Antwerpen, Rotterdam, Mannheim, Ludwigshafen und im Ruhrgebiet herangerückt. Unser Vorteil: Wenn auf der Schiene viel schiefgeht, haben wir als Back-up die Straße - wenn wir denn Fahrer haben. Wie stark ist Ihr Unternehmen von den Verspätungen betroffen? Das lässt sich gut am Equipment darstellen. Mussten wir früher für einen Auftrag im Durchschnitt 1,2 Einheiten einsetzen, beträgt der Wert heute mindestens 1,5. Eine Folge davon ist, dass die Terminals eine Pufferfunktion übernehmen und die Einheiten dort länger stehen. Mittlerweile haben viele Terminals kaum noch Platz und so entstehen neue Verspätungen. Das ist ein Teufelskreis. Hinzu kommt, dass mit den längeren Abstellzeiten auch die Abstellgebühren steigen. Pro Auftrag für eine Ladeeinheit nimmt also der Aufwand bei uns aufgrund der Verspätungen enorm zu. Das zieht sich durch die Bank bei allen Spediteuren. Bleiben die Kosten in der Spedition hängen oder leiten Sie diese weiter? Wir versuchen die Mehrkosten weiterzugeben. Das führt natürlich dazu, dass die Transportpreise steigen. Das ist jedoch auf der Straße nicht viel anders. Deshalb schlucken auch einige Kunden die Aufschläge, aber nicht immer. Der Kunde sucht sich dann doch wieder Laderaum auf der Straße. Und den bekommen wir in der Regel nicht so schnell wieder. Wie häufig passiert so etwas? Das lässt sich nicht beziffern. Manche Kunden ziehen ihre Einheiten von bestimmten Routen zurück, auf denen es nicht funktioniert. Die nutzen aber andere Routen, wo es keine Verspätungen gibt. Bei aller Kritik: Es gibt nicht wenige Linien, dort funktioniert es gut, gibt es keine Verspätungen. Und jeder Platz, der frei wird, ist sofort wieder belegt. Dann ist das doch ertragbar für Sie. Nein. Denn es kostet trotzdem Geld. Wir haben ja die Mehrkosten, resultierend aus den Verspätungen. Wir haben in der Dispo deutlich mehr Aufwand. Die Mitarbeiter leiden immens, weil die Ketten nicht stabil laufen. Und mit all diesen Erschwernissen müssen wir im Wettbewerb mit der Straße bestehen. Richtig Spaß macht das Geschäft derzeit nicht. Wir haben eine tolle Auftragsperspektive, können die aber nicht vernünftig abwickeln. Da muss sich etwas ändern, je schneller, desto besser für alle Beteiligten. Mehr zum Thema finden Sie unter #Kombiverkehr www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Nachfrage nach Leistungen im Schienengüterverkehr steigt - doch die Bahnen können nicht liefern. Wie der Verwaltungsratsvorsitzende von Kombiverkehr, Hermann Lanfer, darauf reagiert, warum er die Lage als "absolut fatal" beschreibt und dennoch Verständnis hat und was er seinen Spediteurskollegen empfiehlt. Vita / zum Unternehmen Hermann Lanfer ist seit 2020 Vorsitzender des Verwaltungsrates von Kombiverkehr, dem er seit 2014 angehört. Kombiverkehr hat zuletzt trotz der Misere im Schienennetz Wachstumszahlen vorgelegt: ein Zeichen, dass die Nachfrage nach Transporten im Kombinierten Verkehr steigt (siehe VR 14/2022, Seite 18). Das bestätigt auch Lanfer: Denn Lanfer ist zudem auch Inhaber und Geschäftsführer der Lanfer Logistik in Meppen. Die Spedition hat sich spezialisiert auf Chemietransporte. Zum Fuhrpark gehören 400 eigene Fahrzeuge und 5000 Ladeeinheiten. cd

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