Großbritannien

Großbritannien Fähre oder Tunnel? Viele Transportwege führen nach Großbritannien – und Transportunternehmen profitieren vom Wettbewerb der Verkehrsträger. Noch. Es ist mal wieder so weit: Der Graben zwischen Großbritannien und dem Kontinent wird immer größer. So beurteilen jedenfalls die Kommentatoren in den europäischen Medien die derzeitige geopolitische Lage. Doch der Ärmelkanal zwischen den britischen Inseln und dem Kontinent ist noch immer maximal 248 Kilometer breit und an der engsten Stelle ganze 34 Kilometer. Trotz dieser festen Entfernungen ist die Insel dem Kontinent ein gutes Stück näher gerückt, zumindest zeitlich gesehen. Denn am 14. November 1994 eröffnete der Eurotunnel zwischen Folkestone und Coquelles bei Calais. Für Transportunternehmen und Speditionen auf den ersten Blick ein Segen. Sie haben eine zusätzliche Option und damit die Wahl – was allerdings zugleich auch eine Qual bedeuten kann. Zur Disposition stehen Tunnel, Kurzstreckenfähre oder die Anbindung mit Shortsea-Verkehren an weiter entfernte Häfen auf den britischen Inseln. Auf der Kurzstrecke ist der Transportmarkt zwar im Jahr 2012 um 2,5 Prozent gewachsen, liegt aber weiterhin zehn Prozent unter dem Niveau von 2007. Zweistellige Zuwächse 2013 Den Löwenanteil des Zuwachses konnte sich der Eurotunnel sichern: 2012 kamen erstmals mehr LKW durch den Tunnel als 2007, dem letzten Rekordjahr. Die Zahl der durch den Tunnel fahrenden Frachtzüge nahm in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 um elf Prozent gegenüber dem Vorjahrszeitraum zu. Zwar stieg im gleichen Zeitraum auch die Zahl der in Dover für den Fährverkehr umgeschlagenen Einheiten um 13 Prozent. Doch gleichzeitig erhöhte sich das Angebot an Überfahrten um 19 Prozent. Die Folge: Die Fährschiffe fahren mit hohen Überkapazitäten. Zudem klagt so manches Fährunternehmen über unfairen Wettbewerb, da der Betreiber des Eurotunnels im Kampf der Fährgesellschaften um Fracht mitzumischen scheint (siehe Kasten). Das aktuelle Angebot wird von den Nutzern durchaus unterschiedlich bewertet: Horst Kottmeyer hat sich trotz der günstigen Frachtraten auf den Fähren für den Tunnel entschieden. Der Geschäftsführer der Spedition Kottmeyer in Bad Oeynhausen schickt täglich 20 LKW mit Ware aus dem Lebensmittel- und Automotive-Bereich nach Großbritannien und zurück – und nimmt dabei die Mehrkosten des Tunnels meist in Kauf. Sie liegen seiner Erfahrung nach bei 15 Prozent – je nach Kursstand des britischen Pfunds und aktueller Auslastung der Fähren. Doch „Zeit ist Geld“ meint er. Schließlich ist die Fahrt durch den Tunnel in 35 Minuten erledigt, während die Überfahrt mit der Fähre mit eineinhalb Stunden zu Buche schlägt – zuzüglich Be- und Entladung. Und bei richtigem Umgang mit Lenk- und Ruhezeiten „hat man auch noch ein bisschen was gewonnen.“ Zwar geht ein guter Teil der von Kottmeyer transportierten Ladung in den Norden der britischen Haupt-insel. Doch auch eine Fährverbindung direkt an einen der nördlichen Häfen Großbritanniens lohnt sich laut Kottmeyer nicht. „Gerade die Transporte in den Norden sind zeitkritisch“, erklärt er. „Und der Tunnel fährt auch bei Sturm.“ Dritte Alternative: Containerverkehre Flexibler bei der Auswahl seines Transportmittels nach Großbritannien zeigt sich Manfred Köhler, Geschäftsführer der Hüttemann-Holding in Duisburg, die Englandtransporte vor allem über ihre Tochter M + F Spedition in Nordhorn abwickelt. „Man muss es individuell betrachten“, meint Köhler. Für den Fährverkehr spricht zum Beispiel eine höhere Flexibilität in Sachen Gefahrguttransport. „Da hat man beim Tunnel mehr Einschränkungen.“ Insgesamt hängt die Entscheidung für den Verkehrsträger in den Augen von Köhler „von Taktungen, Zeitfenstern und Linien ab.“ Allerdings nutzt M+F für seine täglich fünf bis zehn Abfahrten auf die Insel regelmäßig vor allem zwei Fährstrecken: von Calais nach Dover und von Hoek van Holland nach Harwich. „Da ist man gleich 300 Kilometer weit im Norden, die Fahrer kommen dann auch ausgeruht an.“ Eine Alternative bietet auch die Containerschifffahrt zwischen Festland und Großbritannien: Das Geschäft wird von Rotterdam und den anderen Westhäfen dominiert. Schon traditionell operiert DFDS von Cuxhaven aus nach Immingham. Vor zwei Jahren hat Unifeeder einen Service ab Hamburg aufgenommen. Beide Verbindungen sind für die Robert Kukla Internationale Spedition in München ein Glücksfall. Denn über Cuxhaven schickt Kukla schon seit einigen Jahren Güter im Auftrag von Bosch Siemens Hausgeräte per Container auf die Insel – und seit knapp zwei Jahren gehen von Kukla organisierte Transporte vor allem mit weißer Ware, Papierprodukten und Konsumgütern auch über Hamburg nach Großbritannien. Sie starten in Wustermark bei Berlin und werden per Binnenschiff nach Hamburg gebracht. Die Entscheidung für die Containertransporte hat Kukla-Geschäftsführer Knut Sander aus mehreren Gründen getroffen: So schwanken die Gütermengen zum Teil sehr – zwischen 5 und 50 Container in der Woche. „Da tun wir uns auf dem Containermarkt leichter.“ Die unterirdische Verbindung nach Großbritannien war für Sander noch aus einem anderen Grund schnell aus dem Rennen: „Im Tunnel werden keine Hightube-Container transportiert.“ Problem der Unpaarigkeit nach UK Schließlich umschifft die Spedition Kukla mit ihrem multimodalen Mix ein Problem, das alle Transporteure im Großbritannien-Verkehr umtreibt: „Trailerverkehre nach England sind immer sehr schwierig, weil die Verkehre sehr unpaarig sind“, erläutert Sander. Grund ist die schwächelnde Industrieproduktion in Großbritannien. „Dementsprechend gibt es ein deutliches Preisgefälle“, weiß auch Manfred Köhler. „Es ist auch nicht zu vermeiden, dass man leer oder halb leer zurückkommt.“ Fazit: Die britischen Inseln mögen allen politischen Verwerfungen zum Trotz dem Kontinent ein wenig näher gerückt sein. „In diesem Markt ist immer sehr viel Bewegung“, sagt Kottmeyer und meint damit nicht den Seegang auf dem Ärmelkanal. Schließlich erwarten alle Beteiligten ein weiteres Wachstum der britischen Wirtschaft. Dann könnten die Überkapazitäten langsam aber sicher zusammenschmelzen. ❙❚■ Florian Beck, freier Journalist Eurotunnel-Betreiber und Fährreederei streiten vor Gericht Fairer Wettbewerb oder falsches Spiel? Fairer Sportsgeist gilt als hohes Gut auf den britischen Inseln. Kein Wunder, dass mancher stutzig wurde, als in diesem Jahr die drei Fährschiffe der Monate vorher vom Markt verschwundenen Reederei Sea France unter dem Namen „My Ferry Link“ wieder auf der Dover-Calais-Route auftauchten. Denn hinter My Ferry Link steht die Gesellschaft, die auch den Kanaltunnel betreibt. Die Wettbewerber witterten ein Foulspiel: Die Reederei P&O Ferries, die Fähren zwischen Frankreich und Großbritannien fahren lässt, zeigt sich jedenfalls besorgt darüber, „ob hier Wettbewerb unter fairen Bedingungen stattfindet.“ Noch deutlichere Worte kommen aus den Niederlanden: „Sie haben einen Wettbewerbsvorteil“, betont Pim de Lange, Routendirektor der Nordseerouten von Stena Line, „was da passiert, hätte nicht erlaubt werden sollen.“ Naturgemäß wird das bei Eurotunnel anders gesehen: „Wir meinen, dass die Dienste von Eurotunnel und den Fähren sich ergänzen“, sagt Romain Dufour aus der Pressestelle von Eurotunnel. Von direktem Wettbewerb will das Unternehmen nichts wissen. Zudem seien die „Transportunternehmen glücklich, weil sie die Wahl zwischen verschiedenen Betreibern haben und einen besseren Service bekommen.“ Die Einschätzung kann Horst Kottmeyer von der Spedition Kottmeyer in Bad Oeynhausen bestätigen. „Es wäre schade, wenn die Schiffe von My Ferry Link von jetzt auf gleich verschwinden würden, weil dadurch die Kapazitäten geringer würden“. Der Fall landete vor der britischen Wettbewerbskommission, die My Ferry Link im Juni letzten Jahres verbot, ihren Service anzubieten. Der Einspruch folgte prompt – und die Berufungsinstanz hob den Beschluss der Kommission wieder auf. Entschieden ist damit allerdings nichts: Die Berufungsinstanz der Wettbewerbsbehörde hat den Fall nun an die Wettbewerbskommission zurückverwiesen. Gespannt erwarten Wettbewerber und Nutzer das Urteil. Denn sollte es zu einer Konzentration im Verkehr über den Ärmelkanal kommen, wäre das für die Transportunternehmen schmerzhaft: „Man sagt immer so leicht, das wird ja dann bei allen teuer“, meint Manfred Köhler von der Hüttemann-Holding dazu. „Das ist vom Prinzip her richtig. Aber bis die Erhöhung ankommt, das dauert immer sehr lange – und der Zeitversatz geht immer zu Lasten des Ersten in der Kette.“ fb Die Nachfrage steigt: Tunnel und Fähren verzeichnen zweistellige Zunahmen

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