Grauer Asphalt wird zur Autobahn 2.0

Anfang November auf dem Münchner Messegelände: Ein silberner Honda-Geländewagen fährt zügig auf eine Brücke mit Hinweisschildern zu. Plötzlich piept es im Innern des Fahrzeugs, am Navi blinkt eine Anzeige, die vor Schleudergefahr durch Nässe warnt. Was ist passiert? Sensoren am Boden der Schilderbrücke haben registriert, dass auf der Fahrbahn mehr als zwei Millimeter Wasser stehen. Daraufhin wurde von einem Funksender eine Meldung abgesetzt, die alle Fahrzeuge im Umkreis von 800 Metern empfangen können. Allerdings nur, wenn sie, wie der Honda, das passendes Gerät besitzen. Und diese Art von Empfänger kommt frühestens 2015 auf den Markt. Staus vermindern sich um 25 Prozent Was vor den Toren Münchens ablief, war ein Test: Siemens, Honda und der Chiphersteller NXP haben auf dem Messegelände simuliert, wie schlau die Autobahn der Zukunft sein kann. Sie weist nicht nur auf eine glatte Fahrbahn hin, sondern kündigt gesperrte Spuren an oder warnt vor Fahrzeugen, die sehr langsam unterwegs sind. Dank dieser Technik soll es bald ein Viertel weniger Verkehrstote geben, ein Viertel weniger Staus und zehn Prozent niedrigere CO2-Emissionen. Das klingt nach großen Zielen und ferner Zukunft. Doch Fakt ist: Die Einführung solcher sogenannten Intelligenten Verkehrssysteme (IVS) ist schon im Gange. Derzeit läuft die Einrichtung eines Autobahnkorridors von Rotterdam über München bis nach Wien, in dem diese Technik zum Einsatz kommen soll. Hier werden die Fahrer künftig per Datenfunk über nahende Tagesbaustellen und die Spurführung informiert; im Gegenzug sollen die Fahrzeuge Standort und Geschwindigkeit an eine Zentrale senden. So entstünde ein tatsächliches Bild der Verkehrslage, von dem alle Fahrer durch präzisere Staumeldungen profitieren. Experten halten die Initiative für wegweisend: "Das geht deutlich über das hinaus, was bisher in Projekten gemacht wurde", meint Christian Roszak von Theis Consult. Das Beratungsunternehmen ist auf Verkehrsmanagementprojekte spezialisiert. Roszak hält es für möglich, dass die Initiative der Startschuss für weitere Projekte ist. "Das erzeugt Wettbewerbsdruck, andere Logistikregionen könnten ähnliche Korridore einrichten." Neu ist die Idee von der digitalen Autobahn freilich nicht, Forschungsprojekte zur Vernetzung von Autos gab es schon etliche. Warum sollte gerade jetzt der Durchbruch kommen? "Zum einen, weil man sich bei der Datenübertragungstechnik mit W-LAN auf einen Standard geeinigt hat, zum anderen, weil die Automobilhersteller zugesagt haben, die Technik künftig auch einzubauen", sagt Roszak. Bereits 2016 könnten Neufahrzeuge über die nötige Technik verfügen. Die elektronisch aufgerüstete Fernstraße quer durch Europa ist jedoch nur eines von vielen Projekten. Erst im Juni hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) angekündigt, auf einem Autobahnteilstück demnächst digitale Technik testen zu lassen. In den USA, in Frankreich, Korea, Japan und Australien laufen Versuche ähnlicher Art bereits. Vor allem die Verkehrssicherheit steht dabei im Mittelpunkt. Wenn LKW standardmäßig untereinander kommunizieren, könnten zum Beispiel Zusammenstöße an einer Kreuzung bald der Vergangenheit angehören - da sich die Fahrzeuge gegenseitig vor einer Annäherung warnen. Radar und Laser suchen freie Parkplätze Doch es muss nicht immer der große Wurf sein. Mithilfe von Technik soll auch bald ein etwas kleineres Ärgernis beseitigt werden - die langwierige Suche nach freien LKW-Parkplätzen. Hier prescht derzeit Bayern mit einer Lösung vor: Wer auf der Autobahn A 9 unterwegs ist, kann in Zukunft schon vorab sehen, ob und an welcher Rastanlage noch ein Stellplatz frei ist. Die Info wird über das Navi, eine spezielle App und via Internet abrufbar sein. "Der Probebetrieb läuft, Ende Dezember kommt die App", freut sich Andreas von Dobschütz von der Zentralstelle für Verkehrsmanagement in München. Um freie Stellplätze zu registrieren, kommt eine Mischung aus Laser- und Bodenradartechnik zum Einsatz. Sie kostet in etwa so viel wie die Herstellung von zwei neuen LKW-Parkständen in einer Rastanlage. Von Dobschütz ist überzeugt, dass andere Bundesländer bei der Technik nachziehen werden: "Das entfaltet nur seine volle Wirkung bei flächendeckendem Einsatz." Neben dem neuen Service baut der Freistaat die traditionelle Verkehrstelematik aus: Wichtige Teile des nordbayerischen Autobahnnetzes sind mit LED-Displays ausgestattet, die Störungen und Alternativrouten anzeigen. Auch die automatische Freigabe des Standstreifens zu Stoßzeiten wird vorangetrieben, etwa auf der A 9. "Das ist ein wirkungsvoller IVS-Baustein", betont von Dobschütz. Ein weiteres Beispiel dafür, wie der Verkehr mithilfe von Daten flüssiger gemacht werden kann, liefert der Hamburger Hafen. Hier läuft derzeit ein Pilotprojekt namens Smart Port Logistics, an dem unter anderem die Hafenbehörde HPA, Dakosy, SAP und T-Systems beteiligt sind. Langes Warten bei der Abfertigung, Parkplatzsuche und aufwendige Abstimmung per CB-Funk sollen dank massivem IT-Einsatz bald der Vergangenheit angehören. Der neue Ablauf: Sobald ein LKW das Hafengelände erreicht, erhält er über einen Tablet-PC individuelle Navigationsanweisungen. Das System sagt ihm zum Beispiel, wo er parken kann - oder ob es sich unter Umständen sogar lohnt, zunächst noch eine andere Tour zu fahren. Um diese maßgeschneiderte Navigation zu ermöglichen, fließen zunächst reichlich Daten: Der Hafenbetreiber speist Echtzeitinformationen über die Verkehrssituation ein, die Speditionen steuern die Positionen ihrer Fahrzeuge bei. "Ein bis zwei Fahrten mehr pro Tag sind dadurch möglich", sagt Kai Probst, Experte für Fahrzeugvernetzung bei T-Systems. Für Spediteure nicht umsonst zu haben Der Zeitgewinn hat seinen Preis: Spediteure zahlen zwischen 30 und 50 Euro pro Monat und Fahrzeug, um in den Genuss von kürzeren Wartezeiten zu kommen. T-Systems-Manager Probst erwartet, dass ähnliche Systeme bald an vielen logistischen Knotenpunkten Standard sein werden. Überall, wo es große Zuläufe gibt, könnte eine zentrale Verkehrssteuerung zum Einsatz kommen - an Häfen, Flughäfen, bei Paketversendern oder Autoherstellern. T-Systems rechnet damit, dass es 2015 weitere Installationen gibt, Probst: "Wir führen bereits Vorgespräche mit anderen Kunden." Doch Tatsache ist auch: Bisher gibt es intelligente Verkehrssysteme nur als Insellösungen und Experten erwarten, dass sich daran sobald nichts ändert. "IVS kommt nur an ausgewählten Standorten", meint auch Hans-Joachim Schade, ehemals Siemens-Manager und heute freier Berater zum Thema. Dass die intelligente Fernstraße nicht flächendeckend ausgerollt wird, hat auch Kostengründe: Es gibt 14.000 Autobahnkilometer in Deutschland; würden im Abstand von zwei Kilometern Sendestationen aufgestellt, könnte allein das einen zweistelligen Millionenbetrag verschlingen. Nur für die Baumaßnahmen wären pro Station circa 1500 Euro fällig. "Außerdem ist die Systemarchitektur in jedem Bundesland anders, sodass weitere Integrationskosten erforderlich werden", erklärt Schade. Vor diesem Hintergrund sollten die aktuellen Pilotprojekte mit einer Dosis Realismus betrachtet werden: Selbst der groß angekündigte intelligente Straßenkorridor von Rotterdam nach Wien braucht wohl noch Jahre bis zur Vollendung, und der Nutzen für die Fahrer wird sich vorerst auf Baustellenwarnungen beschränken. "Sicher nicht der Service, der von den Vorteilen von IVS überzeugt", gibt Berater Schade zu denken. Langfristig allerdings wird die Komplettvernetzung auf der Straße unumgänglich sein. Schließlich soll sich das Güterverkehrsaufkommen laut einer Prognose des ADAC bis 2050 mehr als verdoppeln. Ohne IVS lassen sich solche Zuwächse nicht verkraften. Absehbar ist auch: Um die Stauzeiten wirklich drastisch zu reduzieren, müsste der Verkehr zentral gesteuert werden - und zwar der gesamte Verkehr. Das hieße, jeder Fahrer würde sich nicht länger seine eigene Route suchen, sondern bekäme von einem Zentralrechner einen Weg vorgeben. Im Ergebnis käme so jeder schneller als Ziel. Theoretisch. Allerdings sind die Hürden für ein solches System enorm: Die Position jedes Fahrzeugs müsste lückenlos verfolgt werden (Fachwort: Floating Car Data). Das stellt an sich noch kein Problem dar, schließlich erheben Navihersteller wie Tom-Tom diese Daten schon bei ihren Kunden; alternativ könnten auch die Positionen der Smartphones im Fahrzeug verfolgt werden. Ein Zentralcomputer lenkt die Fahrer Schwieriger zu erfüllen ist eine zweite Bedingung: Um den maximalen Nutzen zu erreichen, müssten alle Fahrer ein solches System akzeptieren und sich an die "von oben" vorgegebene Route halten. Das könnte ein bisschen zu viel sein, urteilen Experten. "Nur Ansätze, die auf Freiwilligkeit beruhen, funktionieren", meint Boris Baltzer, Experte für Mobilitätslösungen bei IBM Deutschland. Er ist jedoch überzeugt, dass die zentrale, dynamische Verkehrssteuerung trotzdem kommt - nämlich spätestens, wenn erste selbstfahrende LKW wie der "Future-Truck" von Mercedes Benz in Serie gehen, in schätzungsweise 15 Jahren. "Dann wird es ohne intelligentes Routing nicht mehr gehen", ist Baltzer überzeugt. Aus Forschung und Technik So wird die Autobahn digitalisiert Um den Verkehr intelligent steuern zu können, ist es nötig, über das Straßennetz ein Datennetz zu stülpen. Alles muss mit allem drahtlos kommunizieren. Das Szenario hat zwei Aspekte: Zum einen werden alle Fahrzeuge über Funk miteinander verbunden, um Daten auszutauschen (Fachwort: Vehicle-to-Vehicle-Communication): Ein Pannenfahrzeug kann so den nachfolgenden Verkehr automatisch warnen, dass sich auf dem Standstreifen ein Hindernis befindet. Zum anderen "spricht" die Infrastruktur mit den Fahrzeugen (Vehicle-to-Infrastructure-Communication): Baustellenschilder warnen via Funk vor gesperrten Spuren, Sendeanlagen entlang der Strecke (Roadside Units) überwachen zum Beispiel die Fahrbahndecke und schlagen bei Eisbildung Alarm.Die Technik, um das zu realisieren, ist überwiegend entwickelt. Beim Austausch von Daten kommt W-LAN zum Einsatz. Dafür müssten zunächst alle Fahrzeuge mit entsprechenden Funkmodulen ausgerüstet werden. Der Chiphersteller NXP bietet seit September die nötigen Komponenten an, die zum Beispiel in Navigations-, Telematikgeräte oder digitale Tachografen eingebaut werden könnten. 2016 sollen alle Neufahrzeuge mit der Technik ausgerüstet werden, wenngleich Experten Zweifel an dem Zeitplan haben. Die Preise für die Geräte sollen zwischen 200 und 300 Euro liegen.Theoretisch ließen sich LKW und PKW auch einfacher mit der Infrastruktur vernetzen: über das Smartphone des Fahrers. Es könnte mit einem IVS-Modul ausgestattet sein, um die digitalen Botschaften von Brücken und Parkplatzsensoren zu empfangen. Allerdings weisen Experten darauf hin, dass Telefone nicht zuverlässig und sicher genug sind, um sie in der Verkehrssteuerung einzusetzen (siehe Interview Seite 41). Den größten Nutzen bringt IVS, wenn die Fahrzeuge aber nicht nur empfangen, sondern im Gegenzug ihre Standorte übertragen. So könnte ein zentrales Verkehrsleitsystem aufgebaut werden, das für jeden Fahrer eine optimale Route berechnet. Als Datenquelle könnten wiederum Smartphones dienen, die üblicherweise über einen GPS-Empfänger verfügen. Aber auch digitale Tachos oder Telematik könnten die Position des Fahrzeugs an die Leitstelle melden. cg

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