Brüssel. Die EU-Kommission hat im Rahmen ihres Programms "Fit for 55" ihre Pläne präsentiert, wie Europa klimaneutral werden soll (VerkehrsRundschau berichtete). Dazu zählt, dass spätestens Mitte des nächsten Jahrzehntes keine herkömmlichen Benzin- und Dieselautos in Europa mehr neu zugelassen werden. Die neuen CO2-Regeln sehen vor, dass die EU-Länder bis 2030 sicherstellen sollen, dass die Emissionen neuer Pkw und leichter Nutzfahrzeuge verglichen mit heute im Schnitt um 55 Prozent abnehmen. Für die fünf Jahre danach werden die Regeln nochmals beträchtlich verschärft: 2035 soll der CO2-Rückgang zu 2021 volle 100 Prozent erreichen, de facto bedeutet dies dann „Null-Emissionen“ für alle neu zugelassenen Wagen.
Die EU-Staaten sollen zudem verpflichtet werden, das Netz der Ladesäulen und Wasserstoff-Tankstellen an den Fernstraßen auszubauen - ein E-Auto müsse man mindestens alle 60, ein Brennstoffzellen-Fahrzeug alle 150 Kilometer auffüllen können. Auch will Brüssel „schädliche Folgen des Wettbewerbs“ unter verschiedenen Energiesteuern mindern. In Deutschland etwa gibt es seit langem Debatten über das sogenannte Diesel-Privileg, das den einst als besonders klimafreundlich geltenden Antrieb subventioniert.
Scheuer: "Weg wird anstrengend"
Die Reaktionen deutscher Verkehrspolitiker auf das "Fit for 55"-Paket fallen gemischt aus. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) reagierte nach dpa-Informationen zurückhaltend auf die Vorschläge der EU-Kommission zur Umsetzung höherer Klimaziele. „Man muss sich immer vergegenwärtigen, das eine ist fordern und festlegen, aber man muss auch noch erreichen und umsetzen“, sagte Scheuer am Mittwoch am Rande einer Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im oberbayerischen Kloster Seeon. Der Weg, Klimaziele zu erreichen, werde anstrengend werden, sagte Scheuer. Mit Blick auf Pläne für eine europäische Kerosinsteuer sagte er, „alle Insellösungen“ europäischer Art würden zu Wettbewerbsnachteilen führen, die gerade für einen „Exportweltmeister und Logistikweltmeister“ Deutschland äußerst schwierig wären. Er werde den Vorschlag der Kommission offen aufnehmen. Die technischen Fragen und wirtschaftspolitischen Fragen müssten stärker unter die Lupe genommen werden.
Mehrfachbepreisung von CO2 in der Kritik
Von „Licht und Schatten für den Straßenverkehr“ spricht Markus Ferber, verkehrspolitischer Sprecher der CSU im Europäischen Parlament. Die Kommission setze zwar überfällige Impulse wie die Verpflichtung zum Bau von alternativer Ladeinfrastruktur oder ein Emissionshandelssystem für den Bereich Verkehr. „Das große Problem der Mehrfachbepreisung von CO2 wird leider nicht behoben, sondern verschärft“, so Ferber. So sei die Kommission in Sachen CO2-Bepreisung einem Aktionismus nach dem Motto „Quantität vor Qualität“ verfallen. Zur Regulierung des CO2-Ausstoßes im Straßenverkehr würden gerade vier Initiativen bearbeitet: die Erweiterung des Europäischen Emissionshandels ETS, die Revision der Energiesteuer, die neue Lkw-Maut und neue CO2-Flottenziele. Ende des Jahres komme mit der neuen Euro 7-Norm eine fünfte hinzu. „Ich bin für eine spürbare und effektive Bepreisung von CO2. Doch wenn wir ein umfassendes ETS mit einem starken Preis schaffen, müssen wir andere Bepreisungsmechanismen zurücknehmen“, sagt Ferber.
Zu wenig Anreize für die Produktion alternativer Kraftstoffe
Jan-Christoph Oetjen, verkehrspolitischer Sprecher der FDP im Europäischen Parlament und Vizevorsitzende des Verkehrsausschusses, sagte: „Um die ambitionierten Klimaziele in Europa zu erreichen, müssen wir den Luft- und Schiffsverkehr zwangsläufig mitdenken.“ Er kritisiert insbesondere die Revision der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die nicht die erhofften Anreize schaffe, um die Produktion von alternativen Kraftstoffen anzukurbeln. „Außerdem ist das Beimischungsziel für nachhaltige alternative Kraftstoffe im Flugverkehr viel zu niedrig. Mit den geplanten 2 Prozent bis 2025 und 5 Prozent bis 2030 ist Klimaneutralität im Flugverkehrsbereich nahezu unmöglich geworden.“ Weiter merkt Oetjen an: „Ein generelles Verbot des Verbrennungsmotors bis 2035 halte ich für falsch.“
Dass die Folgen der geplanten Klimaschutzmaßnahmen für Menschen mit niedrigen Einkommen über einen von der EU-Kommission geplanten europäischen Sozialfonds ausgeglichen werden können, bezweifeln derweil die Grünen. Über Flottengrenzwerte lasse sich letztlich mehr steuern als durch die Benzinpreiserhöhung, sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner. „Da kann man ordnungspolitisch mehr erreichen.“ Die sogenannten Flottengrenzwerte beziehen sich nicht auf einzelne Modelle, sondern auf den CO2-Ausstoß aller Neufahrzeuge eines Fahrzeugherstellers. (dpa/mh)