EU-Mobilitätspaket kann in Kraft treten

Brüssel. Das EU-Parlament hat in der vergangenen Woche den Kompromiss zum ersten EU-Mobilitätspaket angenommen, der zuvor mit dem EU-Rat ausgehandelt worden war. Nach über drei Verhandlungsjahren kann die umfassende Reform für den Straßenverkehrssektor in Europa somit in Kraft treten - gestaffelt im Zeitraum von 2020 bis 2025. Bis zuletzt gab es dagegen Widerstand, unter anderem aus östlichen EU-Ländern. Das EU-Parlament befürwortete noch einmal die überarbeiteten Vorschriften, die vor allem die Arbeitsbedingungen der Fahrer und Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsunternehmen verbessern sollen. Zudem sollen sie für den Transportsektor Klarheit in Bezug auf bisher mehrdeutige Bestimmungen bringen und deren uneinheitlicher Anwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten ein Ende setzen. Westliche Politiker und Gewerkschaften reagierten nach dem endgültigen Beschluss euphorisch, während aus Osteuropa scharfe Kritik kam und Branchenverbände bereits Zweifel an der Wirkung äußerten. Reformpaket beinhaltet drei Rechtsakte Das erste EU-Mobilitätspaket besteht aus drei Rechtsakten: einer Verordnung, die den Marktzugang im Güterkraftverkehr und den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers regelt, einer Verordnung über die Lenk- und Ruhezeiten von Fahrern und die Positionsbestimmung mittels Fahrtenschreibern sowie einer Richtlinie zur Überarbeitung der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung von Vorschriften für die Entsendung von Kraftfahrern. Bei der Kabotage bleibt es bei maximal drei erlaubten Beförderungen in sieben Tagen im Anschluss an eine internationale Güterbeförderung. Danach ist neuerdings eine viertägige Karenzzeit vorgeschrieben, in welcher der Lkw im Heimatland des Unternehmens bleiben muss, bevor damit weitere Kabotage-Transporte durchgeführt werden dürfen. Damit Behörden die Einhaltung der Sozialvorschriften besser kontrollieren können, sollen digitale Tachografen künftig automatisch oder deren Fahrer per Eingabe Grenzübertritte registrieren. Um Briefkastenfirmen einen Riegel vorzuschieben, müssen die Unternehmen künftig nachweisen, dass sie in dem Mitgliedstaat, in dem sie registriert sind, in erheblichem Umfang tätig sind. Das soll verhindern, dass Betriebe in einem EU-Land mit niedrigeren Löhnen ansässig sind, ihre Fahrer allerdings hauptsächlich im Ausland einsetzen. Um solche Wettbewerbsverzerrungen praktisch ebenfalls zu unterbinden, müssen Lkw alle acht Wochen zum operativen Unternehmenssitz zurückkehren. Da Kleintransporter zunehmend für internationale Güterverkehre eingesetzt werden, unterliegen diese EU-weit nach einer Übergangszeit denselben Vorgaben wie der Schwerlastverkehr. Entsendung von Fahrern wird neu geregelt Das erste EU-Mobilitätspaket soll einen klareren Rechtsrahmen schaffen, um unterschiedliche nationale Ansätze zu verhindern und eine gerechte Entlohnung der Fahrer zu gewährleisten. Daher gelten künftig Entsendevorschriften speziell für Fahrer, die Kabotage-Transporte und internationale Beförderungen durchführen. Bei solchen Touren ins EU-Ausland gelten die dortigen Sozialstandards - zum Beispiel zum Mindestlohn und Urlaubsanspruch - ab dem ersten Tag. Ausgenommen sind der Transitverkehr, bilaterale Transporte sowie bilaterale Transporte mit einer zusätzlichen Be- oder Entladung in jeder Richtung (oder null auf dem Hinweg und zwei bei der Rückkehr). Rückkehrpflicht für ausländische Lkw Die Verkehrsunternehmen sollen ihre Touren künftig so organisieren, dass die Fahrer im internationalen Güterverkehr in regelmäßigen Abständen - je nach Arbeitsplan alle drei oder vier Wochen - nach Hause fahren können. Fahrtenschreiber-Aufzeichnungen, Dienstpläne oder andere Unterlagen sollen als Nachweis dienen, dass diese Verpflichtung eingehalten wird. Bei grenzüberschreitenden Beförderungen sind demnächst zwei verkürzte Wochenruhezeiten von mindestens 24 Stunden hintereinander möglich. In dem Fall soll der Fahrer zum Ausgleich nach drei Wochen in seine Heimat oder das Niederlassungsland der Firma zurückkehren. Darüber hinaus darf die regelmäßige Wochenruhezeit nicht mehr in der Lkw-Kabine verbracht werden. Legt ein Fahrer die Pause von mindestens 45 Stunden unterwegs ein, muss das Unternehmen, das ihn beschäftigt, für die Unterbringungskosten aufkommen. Die strengeren Vorschriften über die Ruhezeiten, einschließlich der Rückkehrpflicht der Fahrer, gelten 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt (voraussichtlich Anfang August). Anfang 2022 treten die neuen Regeln zum Marktzugang und zur Entsendung in Kraft. Ab 2025 sollen unionsweit schwere Lkw mit intelligenten Fahrtenschreibern der zweiten Generation ausgerüstet sein, damit die Reformvorgaben belastbar digital überwacht werden können. Leichte Nutzfahrzeuge ab 2,5 Tonnen müssen ab Juli 2026 mit diesen Kontrollgeräten ausgerüstet sein und deren Fahrer dann die Lenk- und Ruhezeiten einhalten. Viel Lob, aber auch Kritik an der EU-Reform Nach dem Beschluss des Europaparlaments gab es überwiegend Lob für die Reformen: "Mit dem ersten Mobilitätspaket wird der Güterverkehr EU-weit fairer, effektiver und sicherer", erklärte zum Beispiel Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). EU-Verkehrskommissarin Adina Valean begrüßte das Votum der Abgeordneten mit Blick auf die sozialen Verbesserungen. Sie bedauerte gleichwohl, dass das neue Regelwerk Elemente enthält, die möglicherweise nicht im Einklang mit dem Green Deal und dem Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 stehen. Durch die Rückkehrpflicht für Lkw alle acht Wochen fürchtet sie mehr Umweltverschmutzung und Staus. Die Kommission will laut Valean prüfen lassen, wie groß die zu erwartende Auswirkung ist, und gegebenenfalls mit einem Gesetzesvorschlag eingreifen, bevor das neue Recht gilt. Das Ergebnis sei ein großer Schritt hin zu einem geordneten und humaneren Transportsektor, resümierte Ismail Ertug, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten. Das neue Gesetzespaket werde dem Nomadendasein der Lkw-Fahrer ein Ende setzen, sagte er. "Alle Unternehmen, die entgegen den bisherigen gesetzlichen Grauzonen in diesem Sektor seriöse Arbeit leisten, profitieren davon." Die nationalkonservative Fraktion EKR kritisierte hingegen, dass die Reformen die Transportunternehmen aus Osteuropa und den baltischen Staaten diskriminieren würden. Angesichts der Coronavirus-Pandemie sei es für die Fahrer zudem sicherer, in Lkw-Kabinen als in Hotels zu schlafen, sagte der lettische EKR-Politiker Roberts Zile. "Der Kampf ist noch nicht vorbei", ergänzte der polnische EU-Abgeordnete Kosma Zlotowski. Mitgliedstaaten würden mit Sicherheit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen dieses "eindeutige Beispiel von wirtschaftlichem Protektionismus" klagen. Gewerkschaften und Branchenverbände sind froh, dass der poltische Streit auf EU-Ebene endlich zu einer Einigung geführt hat, und hoffen, dass die neue Gesetzgebung tatsächlich für nachhaltige Verbesserungen im Straßengüterverkehr sorgt. Jetzt müsse man sich auf die zügige Umsetzung in den Mitgliedstaaten und die effiziente Kontrolle der neuen Regeln konzentrieren, betonten etwa die Arbeitnehmervertreter von Verdi sowie der BGL und der DSLV als Arbeitgeberorganisationen. Güterverkehrsunternehmer sind skeptisch, ob das Mobilitätspaket hält, was es verspricht, und umsetzbar ist: Stefan Henz von der Kölner Spedition Moeller sagte dem WDR: "Selbst wenn ein Low-Budget-Hotel 40 Euro die Nacht kostet - das sind 320 Euro im Monat, das will kein Auftraggeber übernehmen." Andere Gewerbetreibende meinen, es könne Jahre dauern, bis sich etwas ändert und wegen der fehlenden Infrastruktur Bußgelder hageln. Der oberbayerische Spediteur Georg Dettendorfer fürchtet, dass mittelfristig das Angebot an Laderaum sinkt und die Preise steigen, weil die EU osteuropäischen Kollegen das Geschäft erschwere. Von dieser Kapazitätsverknappung könnten westeuropäische Frachtführer profitieren - sofern sie genügend Fahrer finden. Das sind die wichtigsten Neuerungen aus dem ersten EU-Mobilitätspaket: Fahrer dürfen die reguläre Wochenruhezeit EU-weit voraussichtlich ab Spätsommer nicht mehr in der Fahrzeugkabine verbringen. Diesbezüglich gibt es damit einheitliche Vorschriften in allen Mitgliedstaaten. Arbeitgeber müssen im Zweifel für die Kosten einer Unterkunft aufkommen. Fahrer im internationalen Verkehr dürfen zwei verkürzte Wochenruhezeiten hintereinander einlegen. Die Verkürzung müssen sie danach entsprechend ausgleichen. Die Unternehmen werden verpflichtet, Touren im grenzüberschreitenden Verkehr so zu organisieren, dass Fahrer spätestens alle vier Wochen an den Unternehmenssitz oder ihren Wohnsitz zurückkehren können. Bei der Entsendung von Fahrern ins EU-Ausland gilt das Prinzip: gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Neben dem Mindestlohn gelten auch andere Sozialstandards des Aufenthaltslandes. Lkw müssen alle acht Wochen in den Mitgliedstaat der Hauptniederlassung des Unternehmens zurückkehren. Damit sollen Briefkastenfirmen verhindert werden. Verkehrsunternehmen müssen nachweisen, dass sie in demjenigen Mitgliedstaat, in dem sie registriert sind, auch aktiv sind. Es bleibt die Regelung, dass innerhalb von sieben Tagen drei Kabotage-Beförderungen durchgeführt werden dürfen. Neu ist, dass anschließend eine Wartezeit von vier Tagen eingehalten werden muss. Dies soll in Zukunft auch für leichte Nutzfahrzeuge ab 2,5 Tonnen gelten. Digitale Tachografen der zweiten Generation sollen Grenzüberfahrten registrieren, um bessere Kontrollen zu ermöglichen. Bis spätestens 2025 müssen alle schweren Nutzfahrzeuge mit dem intelligenten Fahrtenschreiber der zweiten Generation ausbeziehungsweise umgerüstet werden. Ziel ist eine effizientere Kontrolle und genauere Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten. Leichte Nutzfahrzeuge ab 2,5 Tonnen werden in Zukunft in die Regelungen zum Marktzugang sowie zu den Lenk- und Ruhezeiten einbezogen und müssen mit Tachografen ausgestattet sein.

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