Ein Spiel mit dem Feuer

Kontraktlogistiker geraten derzeit ins Schwitzen: Auf der einen Seite drängt die IG Metall mit Macht in die Logistikbranche vor. Die Gewerkschaft hat alleine im letzten Jahr in über 40 Betrieben neue Haustarifverträge durchgesetzt, die mitunter Entgeltzuwächse von fast 20 Prozent vorsehen; dadurch steigen die Löhne weit über das Niveau, das bisher mit Verdi ausgehandelt war. Auf der anderen Seite erhöht Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den Druck: Seit Anfang April gelten die von ihr verschärften Vorschriften für den Einsatz von Leiharbeitskräften und externen Mitarbeitern auf Werkvertragsbasis. Auch diese Maßnahme trifft die Kontraktlogistik hart, schließlich arbeitet hier fast jeder Anbieter mit einem Sockel von 20 Prozent Zeitarbeitern; selbst 50 Prozent sind keine Seltenheit. Für die Dienstleister bedeutet das: Die Personalkosten werden von zwei Seiten in die Höhe getrieben. Nicht wenige fragen sich daher, ob das Geschäft mit der Kontraktlogistik überhaupt noch Zukunft hat. "Wir schreiben einen saftigen Verlust", sagt der Manager eines Dienstleisters, der im letzten Jahr einen Haustarifvertrag mit der IG Metall abgeschlossen hat. Darin wurde ein Lohnzuwachs im zweistelligen Prozentbereich vereinbart. Doch der Großkunde des Unternehmens weigert sich, die Mehrkosten zu tragen, sodass die erhöhten Personalkosten Monat für Monat die Marge auffressen. "Wir warten nur noch auf das Vertragsende", resümiert der Manager. Keine Musik mehr in der Kontraktlogistik Ähnlich negativ äußert sich eine Führungskraft, die bei einem der deutschen Top-Fünf-Logistikkonzerne arbeitet: "Die Gewinnmargen in der Kontraktlogistik werden in den Mikrobereich gedrückt." Die Erfahrung des Logistikprofis: Betriebe, die einen neuen Haustarif abschließen mussten, haben so hohe Kosten, dass sie bei Ausschreibungen chancenlos gegen Konkurrenten sind, die noch unter Verdi-Konditionen arbeiten. "Da ist keine Musik mehr drin", so das Fazit des Insiders. An der Tariffront herrscht seit März Stillstand. Die Gespräche zwischen dem Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) sowie dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall einerseits und der IG Metall andererseits wurden beendet. "Die Positionen liegen meilenweit auseinander", sagt DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Ein Streitpunkt ist das Entgelt: Die Gewerkschaft will die Beschäftigungsbedingungen der Mitarbeiter in der Kontraktlogistik denen in der Metall- und Elektroindustrie annähern. Derzeit klafft zwischen den Gruppen aber ein Entgeltabstand von circa 60 Prozent. Diese Schere will die IG Metall schrittweise durch höhere Löhne und Zuschläge sowie verkürzte Arbeitszeiten schließen. Wo IG Metall angreifen will Der wichtigste Streitpunkt zwischen Arbeitgebern und IG Metall betrifft allerdings die Frage der Zuständigkeit. Der DSLV kritisiert, dass die Gewerkschaft auch außerhalb des Industriewerksgeländes in der Metallindustrie Tarifpartner sein will. "Die IG Metall orientiert sich an der ganzen Wertschöpfungskette", erklärt Juan-Carlos Rio Antas, Ressortleiter operative Tarifpolitik bei der Gewerkschaft. Überall da, wo externe Logistikmitarbeiter einen direkten Beitrag zur Herstellung und Wertschöpfung eines Produkts leisteten, sollte sich die Bezahlung am Tarif des Auftraggebers orientieren. Bezogen auf die Automobilindustrie bedeutet das zum Beispiel: Führt ein Dienstleister bei einem Zulieferer Vormontagen durch, wäre auch das IG-Metall-Territorium. Nicht zuständig sei man dagegen, wenn es um die reine Verteilung des Produkts an Endverbraucher gehe, so Rio Antas. Im Januar 2016 hatten sich Verdi und IG Metall auf eine klare Verteilung der Zuständigkeiten geeinigt. Kernregelung: Dienstleister, die auf dem Werksgelände eines Kunden tätig sind oder zu 75 Prozent für einen Betrieb der Metall- und Elektroindustrie arbeiten, sollen mit der IG Metall verhandeln. Für alle anderen soll weiter Verdi zuständig sein. Doch an diese Regel halte man sich nicht, beklagt der DSLV. "Die Werksgelände-Regelung ist obsolet", so Huster. Ein Logistikmanager bringt es auf den Punkt: "Momentan herrscht Häuserkampf, die IG Metall greift an, wo sie will." Die Gewerkschaft kann sich vorstellen, dass es auch Zweifelsfälle geben könne. Bislang seien sie zwischen den Gewerkschaften einvernehmlich geklärt worden, so die IG Metall. "Kontraktlogistik-Geschäfte sind noch nicht grundsätzlich in Gefahr", sagt Huster, fügt aber hinzu, "bei einer Flächenwirkung sähe das anders aus". Das Worst-Case-Szenario aus der Sicht der Arbeitgeber: Der Gewerkschaft gelingt es - wie angestrebt -, bundesweit die Gehälter der Dienstleister auf das Niveau der Stammbelegschaften anzuheben. Dadurch wären bestimmte arbeitsteilige Geschäftsmodelle nicht mehr rentabel. Zudem könnten Betriebe Probleme bekommen, die normale Speditionsleistungen neben Kontraktlogistikleistungen anbieten. Denn dann würden zwei verschiedene Lohnsysteme parallel existieren. "Der Staplerfahrer in Halle A verdient vier Euro mehr als der in der Halle B - was sie unterscheidet sind alleine die Kunden, für die sie Waren bewegen. Die Tätigkeit ist dieselbe - wie wollen Sie da Betriebsfrieden herstellen?", gibt Huster zu bedenken. Die IG Metall wendet ein, dass dies bisher in der Praxis kein Problem gewesen sei. Industrie denkt über Insourcing nach Die auslagernden Firmen sind in der Regel nicht bereit, sich an den gestiegenen Lohnkosten bei ihren Dienstleistern zu beteiligen. Stattdessen liebäugeln sie damit, die ausgelagerten Tätigkeiten wieder selbst auszuführen. "Im Kundengespräch fallen Sätze wie 'Dann können wir es ja selbst machen'", berichtet ein Manager. Das ist keine völlig leere Drohung, denn viele Dienstleister nutzen Einrichtungen, die vom Auftraggeber nur gemietet sind. Der könnte also ein Insourcing leicht umsetzen. Ob sich die Auftraggeber jedoch wieder selbst mit den komplexen Logistikprozessen beschäftigen wollen, ist allerdings fraglich. Zumal Erfahrungen zeigen, dass deren Stammbelegschaft bei Weitem nicht so produktiv arbeitet wie vorher die Mannschaft des Logistikers. Einige Dienstleister werden daneben über eine Verlagerung ihrer Tätigkeiten ins Ausland nachdenken. "Auch die Produktionslogistik ist Standortüberlegungen unterworfen", sagt Huster. In welchem Maße die Vorstöße von IG Metall und Andrea Nahles wirklich zu Verlagerungen ins Ausland führen werden, bleibt abzuwarten. Marktkenner halten einen Exodus der Dienstleister für unwahrscheinlich. "Bei vielen Aufgaben brauchen Sie die direkte Nähe zum Kunden", meint der Manager des Top-Fünf-Dienstleisters. Alle Produktionsteile aus Osteuropa just-in-time oder just-in-sequence anliefern zu lassen, sei keine realistische Option. Auch die neuen Regeln zu Leiharbeit und Werkverträgen treiben die Personalkosten in der Kontraktlogistik in die Höhe. Ausgeliehene Arbeitskräfte müssen jetzt ab dem ersten Einsatztag den gleichen Lohn bekommen wie Stammarbeitnehmer; sollte der Verleiher an einen Tarifvertrag in der Zeitarbeitsbranche gebunden sein, ist diese "Equal Pay" erst nach neun Monaten fällig. Außerdem darf ein Leiharbeiter nur 18 Monate lang am Stück auf einer Position eingesetzt werden. Die Folgen sind fatal, wie ein Manager aus der Automobillogistik urteilt: "Equal Pay bedeutet 30 bis 35 Prozent höhere Kosten, das bekommt man beim Kunden nicht durchgesetzt." Er erwartet, dass die Personalüberlassungen neue Wege finden, um die Regelungen zu konterkarieren. Wahrscheinlich werden sie Rotationsmodelle entwickeln, bei denen die Leiharbeiter jeweils sechs Monate bei einem Logistiker zum Einsatz kommen - und dann zu einem anderen Dienstleister weitergereicht werden. Manche Branchenkenner sagen sogar "Leiharbeit ist tot" und wollen die Arbeitnehmerüberlassung nur noch als Rekrutierungswerkzeug nutzen. Wie geht es weiter in der Kontraktlogistik? Die IG Metall will an ihrem Kurs festhalten. Man plane, weitere Haustarifverträge abzuschließen. Ziel sei es weiterhin, "in die Fläche" zu gehen, so die Gewerkschaft. Man wolle gleiche Ausgangspositionen für alle Dienstleister schaffen. "Die Anbieter mit Tarifvertrag sollen keinen Nachteil haben", so Rio Antas. Für einige Arbeitgeber ist das eine Horrorvision. Sie warnen vor 30 Prozent höheren Logistikkosten quer durch alle Branchen, die dann von den Kunden bezahlt werden müssten. Einige Dienstleister jedoch sehen die Lage auch weniger dramatisch. Sie betonen, dass die Stärke der Logistikdienstleister ja nicht nur in niedrigeren Personalkosten liege, sondern in der Flexibilität. Und die bekäme der Kunde mit seiner Stammbelegschaft niemals hin. Verdrängen Roboter das Lohnproblem? Auf lange Sicht allerdings könnten die tarifpolitischen Scharmützel an Bedeutung verlieren - ganz einfach weil die Zahl der Mitarbeiter sinkt. "Der einzige Ausweg ist Automatisierung und Digitalisierung", begründet ein Manager. 60 Prozent aller deutschen Logistikbetriebe setzt schon Roboter ein, ergab letztes Jahr eine Umfrage des Immobilienentwicklers Jones Lang LaSalle. Experten erwarten, dass dieser Anteil weiter stark steigen wird. Das ist nur logisch, denn wer in Roboter investiert, spart nicht nur Personalkosten, sondern senkt auch das Risiko, dass der Kunde die Aufgaben wieder selbst erledigt. Der scheut nämlich meist die hohen Investitionen in Automatisierungstechnik. So drastisch es auch klingen mag: In Zukunft bekommt in der Kontraktlogistik nicht jener Anbieter den Zuschlag, der die niedrigsten Löhne zahlt, sondern der überhaupt keine Löhne mehr zahlt - weil er keine (oder nur noch wenige) Menschen beschäftigt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Kontraktlogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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