Die Transportbranche streikt

Das Güterverkehrszentrum (GVZ) Großbeeren südlich von Berlin ist europaweit eines der größten GVZ. Verteillager großer Discounter wie etwa von Lidl, Aldi, Netto und Penny sitzen auf dem über 400 Hektar großen Betriebsgelände, ebenso viele Speditions- und Logistikunternehmen. Ganz Berlin wird unter anderem von hier aus beliefert, beispielsweise mit Frischewaren und Lebensmitteln. Am Montag, 8. Januar, ging in dem GVZ jedoch nichts mehr. Weder kamen Waren rein noch raus. Ursache war eine spontane Traktoren-Blockade. "Das GVZ war dadurch komplett abgeriegelt, die Firmen kamen nicht mehr aufs Gelände", berichtet Phillip Haverkamp, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Dann Aufatmen: Die Blockade konnte noch am selben Tag aufgelöst werden. "In 200 Supermärkten gab es am Dienstag Regallücken, aber keinen Totalausfall", sagt Haverkamp. "Die Grundversorgung der Berliner Bevölkerung war also nicht beeinträchtigt." Das GVZ Großbeeren, ein Aldi-Zentrallager in Niedersachsen, ein Lager von Kaufland, die Hafeneinfahrt von Bremerhaven, der Jade-Weser-Port - die Landwirte haben in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sie nicht nur namhafte Supermarkt-Ketten in die Zange nehmen können, um ihre Ziele durchzusetzen. Auch die Gewerkschaften sind auf Krawall gebürstet. Inzwischen gefühlt täglich, gibt es Warnstreiks oder Streiks: Vorläufiger Höhepunkt waren im Januar die Arbeitsniederlegungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL: Einmal über drei Tage, dann sechs Tage lang - mit massiven Folgen im Schienengüterverkehr und damit auch in Industrie und Handel. Dazu später mehr. Zu viel Bürokratie Ein Szenario, das bald überall in Deutschland drohen könnte und nicht nur für leere Regale in Geschäften sorgen dürfte, sondern auch die Versorgung von Industrieunternehmen lahmlegen könnte - mit Bandstillständen als Folge. Nämlich dann, wenn auch Transport- und Logistikunternehmen mit Protestaktionen auf sich aufmerksam machen wollen. Einen ersten Vorgeschmack gab es schon: am 12. Januar mit der Protestaktion auf der Theresienwiese in München; dann mit der Großdemo am 15. Januar in Berlin. Der Unmut der Transporteure und Spediteure über die Ampelregierung ist so groß, dass viele deshalb auf die Straße gingen. Für viele war es die erste Protestaktion überhaupt im Leben; etwa bei Michael Schaaf, Geschäftsführer der Waiblinger Spedition Bay Logistik, der auf der Großdemo am 15. Januar in Berlin mit dabei war - zusammen mit tausend anderen Landwirten, Transporteuren, Spediteuren und Lkw-Fahrern. "Mir reicht es. Ich habe den Kragen voll", erklärt er den Protest. "Wir Unternehmer ersticken an den Auflagen, die uns der Gesetzgeber macht. Um die alle richtig umsetzen zu können, braucht es inzwischen einen so großen Wasserkopf, dass unser Geschäft, also die Transportabwicklung von A nach B, fast nicht mehr händelbar ist." Für jedes Gesetz, egal ob EU-Datenschutzgrundverordnung, Hinweisgeberschutz- oder auch das Lieferkettengesetz und nun auch CSRD (Nachhaltigkeits-Reporting), brauche es einen zusätzlichen Mitarbeiter. Dieser "Regelungs-Wahnsinn", sagt Schaaf, treffe jeden im Unternehmen: ihn als Geschäftsführer, den Finanz-Verantwortlichen, die Mitarbeiter in der Administration und selbst die Lkw-Fahrer. "Die werden ja heute schlimmer kontrolliert als jeder Pilot." Und das in Zeiten des Fachkräftemangels. "Das alles bremst die Logistik aus", warnt er. "Das können wir auch nicht mehr abbilden. Das bezahlt uns kein Kunde. Wir können auch nicht mehr Schritt halten mit dem, was sich ständig an Auflagen ändert." Auch bei Christian Huber, Geschäftsführer des Transportunternehmens Huber Transport & Logistik in Albaching (200 Mitarbeiter, 100 Zugmaschinen), hat sich einiges aufgestaut (siehe Kasten unten). "Die Menschen, die arbeiten, leistungsbereit sind und Steuern zahlen, werden von der Politik mit den Füßen getreten. Denen werden immer neue Lasten auferlegt, obwohl sie für den sozialen Ausgleich sorgen sollen", schimpft er. Gegen die Politik der Ampel Es sei beileibe nicht nur die neue Lkw-Maut, die ihn drücke. "Auf uns Unternehmer kommt ja jeden Tag Neues zu, was wir umsetzen sollen." Für ihn und viele seiner Branchenkollegen sei klar: "Es reicht. So geht es nicht mehr weiter. Und dieses Signal an die Politik wollten wir mit unserer Protestaktion auf der Theresienwiese in München senden. Das war eine Protestaktion gegen die Politik der Ampel-Regierung in Berlin." Was die Politik aus Sicht des Transportgewerbes falsch macht? "Die Straßeninfrastruktur ist völlig marode, es gibt ständig Brückensperrungen und viel zu wenige Parkplätze für unsere Kraftfahrer", erklärt es Huber. "Trotzdem verwendet die Politik die Maut-Mittel nicht dafür, sondern für die Schiene, obwohl der Bund über Kfz-und Mineralölsteuer viel Geld aus dem Transportgewerbe erhält. Es kann doch nicht sein, dass das Geld, das die Wirtschaft erwirtschaftet, nur in den Bereich Soziales fließt, obwohl die Wirtschaft das Land am Laufen hält." Unglücklicher Zeitpunkt Und statt für die Lage der Unternehmen Verständnis zu zeigen, seien auch die Gewerkschaften momentan "auf Krawall gebürstet. Stärker als früher", stellt Burkhard Frese fest. Er ist Geschäftsführer der Spedition Schmidt-Gevelsberg in Schwelm mit 400 Mitarbeitern und rund 110 Millionen Jahresumsatz. "Früher war das eine Sozialpartnerschaft. Da hätte man nicht schon vom ersten Tag an zum Streik aufgerufen, wenn sich beide Seiten nicht einigen. Heute haut man gleich mal drauf", sagt er. Ein Beispiel sind die Tarifgespräche zwischen Verdi NRW und den drei Arbeitgeberverbänden in Nordrhein-Westfalen, weil Ende November 2023 der Manteltarifvertrag der Speditions-, Logistik-, sowie Kurier-, Express- und Paketdienstbranche NRW aufgekündigt worden war. Die Forderungen von Verdi sind unter anderem ein volles 14. Monatsgehalt statt dem bisherigen Urlaubsgeld, drei zusätzliche Urlaubstage, Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 Prozent - auch in Teilzeit -, Ausdehnung der Nachtzuschläge und Erhöhung der Zuschläge von Nachtarbeit um bis zu 40 Prozent. Wegen der Inflation und der gestiegenen Lebenshaltungskosten hat Frese für die Verdi-Forderungen auch Verständnis. "Das Problem ist nur, dass die Wirtschaft aktuell kippt", sagt er. "Als Unternehmen können wir deshalb selbst keine höheren Kosten vertragen - bei Umsatzrenditen von bestenfalls drei bis vier Prozent im Sammelgut-Geschäft. Der Zeitpunkt der Verdi-Forderungen ist also höchst unglücklich." Sollte sich Verdi durchsetzen, hätte Schmidt-Gevelsberg dadurch rund acht Prozent höhere Personalkosten, also mehrere hunderttausend Euro Mehrkosten im Jahr, hat Frese ausgerechnet. "Preislich kann ich das keinem Kunden verargumentieren. Nicht in einer Zeit, in der viele Firmen Kurzarbeit fahren, weil sie Kosten sparen müssen." Eine Krise nach der anderen Für die Unternehmen in der Logistikbranche sei das alles fatal: "Die Logistik in Deutschland ist jetzt schon am Limit", sagt Frese. "Den deutschen Speditionen hat man mit einem extrem kurzen Vorlauf im Dezember die Lkw-Maut um über 80 Prozent erhöht. Das ist einzigartig in ganz Europa. Hinzu kommen die ganzen Vorschriften und politischen Forderungen, die den Unternehmern weh tun", kritisiert auch er. "Das bringt die ganzen Lieferketten durcheinander. Und das in einer Zeit, in der auch unsere Kunden mit dem Rücken an der Wand stehen. Durch die Huthi-Rebellen im Suezkanal, durch den Lokführer-Streik der GDL im Schienenverkehr und die Traktor-Blockaden sind Verzögerungen und Kostensteigerungen allgegenwärtig", schildert der Speditionschef die Lage. "Gleichzeitig muss aber alles ganz schnell in die Läden kommen, weil das Frühjahrsware ist. Das bringt die Logistik ans Limit. Egal, mit wem man spricht: Die meisten - auch in der zweiten oder dritten Führungsriege - die können nicht mehr", warnt Frese. "Die machen nur noch Trouble-Shooting. Und das wird ja noch schlimmer werden", fürchtet er. "Denn wir werden in diesem Jahr viele Insolvenzen in der Logistik erleben. Einige besonders betroffen Logistik am Limit: Zu spüren bekommen das aktuell vor allem die Unternehmen in der Automobil-, Chemie- und Stahlindustrie, die Kraftwerke für die Kohleverstromung sowie die Mineralöl-Wirtschaft und hier insbesondere die Raffinerien. "Sie waren von den aktuellen Lokführer-Streiks der GDL im Schienengüterverkehr massiv betroffen", weiß Raffael Kalvelage, Referent Mobilität und Logistik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), aus Gesprächen mit Mitgliedsunternehmen des Verbandes. Zumal am 14. Januar auch das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen "Die Güterbahnen" gegen die Kürzungen im Bundeshaushalt beim Schienenverkehr mit ihrer Aktion "Es ist fünf vor zwölf" protestiert hat. Nur die nicht bundeseigenen Bahnen seien während des GDL-Streiks noch gefahren. Wettlauf gegen die Zeit Bei Raffinerien wird es laut Kalvelage schon nach zwei bis drei Tagen kritisch, wenn die Belieferung ausbleibt. Dann müssten die Firmen ihre Produktion drosseln, weil sie nicht wissen, wie sie Produkte wie Heizöl und Benzin wegen der Streiks abgefahren bekommen. In der Automobil-Industrie bestünden gar aufgrund des Just-in-time-Konzeptes zum Teil nur Bestands-Puffer von 24 bis 48 Stunden. "Kommen bis dahin nicht die Teile, wird es auch da kritisch - sowohl in der Anlieferung durch Zulieferer, maßgeblich aber vor allem im Export, auch über die Seehäfen", betont der BDI-Logistikexperte. Die Firmen hätten da zwar in den vergangenen Jahren durch die Lieferketten-Problematik verstärkt in Lagerhaltung investiert, um solche Probleme puffern zu können. "Doch bei einem Streik dieser Länge stößt selbst die beste Logistik an ihre Grenzen." Zumal sich der Schienengüterverkehr noch vom ersten Streik von Anfang Januar erholen müsse, ebenso von den Wetterbedingungen im Januar - und nun kam noch der Rekord-Streik der GDL hinzu. Auch Covestro in Leverkusen bekam die Folgen zu spüren. Der Chemiekonzern setzt auf den Verkehrsträger-Mix Schiff, Bahn und Lkw. "Als das Jahr gerade einmal 19 Tage alt war, war trotzdem schon jeder der von uns genutzten Verkehrsträger von Disruptionen betroffen - in unterschiedlich großer Ausprägung", erzählt Martin Quabius, Head of Logistics Procurement bei Covestro. Bei der Kundenbelieferung mit dem Lkw habe es aber nur vereinzelt Verzögerungen gegeben, weil die Straßenblockaden und Protestaktionen der Landwirte und Spediteure nur tageweise und punktuell stattgefunden haben. Auch die GDL-Lokführer-Streiks seien händelbar gewesen. Zumal die Deutsche Bahn alles dafür getan habe, für Covestro den Einfluss durch den GDL-Streik möglichst gering zu halten, weil sie frühzeitig angekündigt wurden. "Wir konnten so unsere Schienenverkehre weitgehend auf Lkw und Binnenschiff verlagern." Der operative Aufwand sei aber natürlich höher gewesen. Sprich: "Auch wenn wir die Produktion ohne Unterbrechungen aufrechterhalten konnten, war die Verlagerung der Verkehre ein zusätzlicher Kostenfaktor, den wir in dieser wirtschaftlich angespannten Zeit gern vermieden hätten." Situation wird nicht einfacher Trotzdem ist Quabius eines wichtig: "Grundsätzlich sollte man die aktuelle Entwicklung nicht dramatisieren und den Kollaps in der Logistik auch nicht herbeireden." Klar sei aber, dass die Situation aufgrund von fehlenden Investitionen, wegen der Fahrerknappheit und langen Planungsphasen in Deutschland tendenziell eher schlechter als besser werde. Darauf stelle er sich ein. "Selbst wenn die Bundesregierung nun kurzfristig ein Sondervermögen für Investitionen zur Verfügung stellen würde, ließen sich die Probleme in der Logistik nicht so schnell lösen - aufgrund der langen Planungsprozesse und Vorlaufzeiten, die wir in Deutschland haben." So lange können kleine und mittlere Transport- und Speditionsbetriebe aber nicht mehr warten. Denn überall fehlen aktuell Mengen, bei gleichzeitig steigendem Preisdruck durch die Verlader und höheren Auflagen durch die Politik. "Es ist fünf Minuten vor zwölf", betont Speditionschef Michael Schaaf. Die Großdemo in Berlin sei erst der Anfang gewesen. Sprich: Wenn die Politik jetzt den Schuss nicht hört, gehen die Proteste weiter. "Das kann eskalieren", warnt Schaaf.

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