"Die Revolution kommt"

Wer keine Lust oder keine Zeit hat, selbst einkaufen zu gehen, hat nun eine echte Alternative - zumindest in München und Berlin. Ein Klick auf die Internetseite des Online-Lebensmittelshops Shopwings genügt. Ganz bequem vom heimischen Sofa aus kann sich dort jeder Käufer die Waren zusammenstellen, die er haben will. Selbstständige Einkäufer, sogenannte Shopper, besorgen dann die Artikel für ihn bei Aldi, Edeka und Lidl und liefern diese binnen zwei Stunden an den gewünschten Ort. Nur bezahlen muss man seine Waren vorher über die Website. Geld verdient das Start-up Shopwings über eine Liefergebühr (4,90 Euro) sowie durch 10- bis 15-prozentige Aufschläge auf den Ladenpreis. Das Startkapital der Firma stammt von Rocket Internet, das sich unter anderem als Mutterkonzern namhafter Onlinegrößen wie Zalando einen Namen gemacht hat. In den USA gibt es mit Instacart schon ein Unternehmen, das mit dem Konzept Erfolg hat. Und diesen will Shopwings nun in Deutschland wiederholen. Doch bezweifeln Marktkenner, dass dies hierzulande gelingt. "Sämtliche Crowdsourcing-Ansätze sind im deutschen Sprachraum nicht gut gelaufen", gibt zum Beispiel KEP-Experte und Unternehmensberater Horst Manner-Romberg zu bedenken. Als Beispiel nennt der Hamburger das im Jahr 2014 gescheiterte Start-up-Unternehmen BringBee, das in der Schweiz einen ähnlichen Service wie Shopwings etablieren wollte. Lediglich Nischenlösungen wie das Kartoffeltaxi (Schweiz) oder Checkrobin (Österreich) seien bislang erfolgreich gewesen, weiß Manner-Romberg. Wenn überhaupt, so seine Einschätzung, hätten solche Mitbringdienste lediglich im ländlichen Raum oder in Kleinstädten Chancen. Henrik Haenecke, Geschäftsführer von Kaiser's Tengelmann und einer der Geschäftsführer des Online-Shops Bringmeister, dem Lieferservice von Kaiser's Tengelmann, begrüßt hingegen die Aufmerksamkeit, die der Start von Shopwings in Deutschland produziert hat. "Davon profitiert die ganze Branche", freut er sich. Die Erfolgsaussichten des neuen Konkurrenten bewertet er allerdings zurückhaltend und begründet dies unter anderem auch damit, dass es in Deutschland im Gegensatz zu den USA weniger Geringverdiener gebe, die sich für eine Botentätigkeit interessieren könnten. Der Lebensmittelhandel via Internet wird sich dennoch durchsetzen. Davon ist Wolf Wagner überzeugt. Der Handelsexperte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (ehemals Ernst & Young) wörtlich: "Die Revolution kommt", sagt er und stützt sich dabei auf die aktuelle Studie seines Hauses, für die 1000 Endverbraucher und zehn führende Lebensmittelhändler befragt wurden. Ein Zehntel des Umsatzes online Laut dieser EY-Studie sollen schon in fünf Jahren zehn Prozent der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel reine Internet-Bestellungen sein; bislang liegt der Wert gerade einmal bei einem Prozent. Dazu kommen zusätzliche 20 Prozent sogenannte Cross-Channel-Umsätze, bei denen das Netz zumindest eine Rolle spielt (Beispiel: Ware online bestellt und im Laden abgeholt). Wagner begründet die neue Euphorie insbesondere damit, dass "die Technik für die Kunden einfacher geworden sei, nicht zuletzt durch das Smartphone". Zusätzlich verweist er auf gesellschaftliche Treiber: So gebe es immer mehr alte Menschen, denen der Weg zum Supermarkt zu beschwerlich sei; zudem arbeiten in Familien zunehmend beide Partner, sodass die Zeit für Einkäufe noch knapper werde. Die Frage ist nur: Welche Händler - und vor allem welche Dienstleister - werden von dem Boom profitieren? Derzeit teilen sich die Lebensmittelversender in zwei Gruppen auf. Auf der einen Seite stehen etablierte Handelskonzerne wie Rewe oder Kaiser's Tengelmann, die einen Lieferdienst an ihr bestehendes Geschäft andocken, indem sie die Märkte für die Kommissionierung nutzen und den Transport in der Regel mit einem eigenen Fuhrpark ausführen (siehe Kasten Seite 27). Auf der anderen Seite stehen die reinen Versender wie Allyouneed Fresh von DHL oder Food.de. Amazons Eintritt: nur eine Frage der Zeit Gleichwohl bemängelt EY-Experte Wagner: "Viele Handelskonzerne treiben das Thema zu zaghaft voran; außerdem ist es für sie problematischer als gedacht, zwei Geschäftsmodelle unter einem Dach zu betreiben." Er glaubt daher, dass in Zukunft drei bis vier Pure Player den Markt für E-Food unter sich aufteilen werden. "Allerdings wird es auch eine große Gruppe von Kunden geben, die sowohl online als auch im Laden einkaufen", meint er. Und hier seien ganz klar stationäre Händler im Vorteil, da sie mit ihrer starken Marke bereits das Vertrauen der Kunden genießen. Einer der künftigen Marktführer scheint aber gesetzt: Amazon. "Es ist eine Frage der Zeit, bis die Amerikaner diesen Markt erschließen", sagt EY-Partner Wagner. Amazon-Kunden können in einigen großen Städten Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch schon seit Längerem online ordern und bekommen die Ware noch am selben Tag geliefert. Seit vergangenem Jahr kursieren Gerüchte, dass die Amerikaner ihren Service "Fresh Delivery" auch in Deutschland etablieren wollen. Marktkenner würde dieser Vorstoß nicht überraschen. "Bei den E-Commerce-Größen gibt es einen klaren Trend, alles aus einer Hand anzubieten - und zwar bis hin zur Lieferung", sagt Horst Manner-Romberg. Auch bei der eigentlichen Logistik kämpfen derzeit zwei Systeme gegeneinander: So setzen etablierte Handelskonzerne wie Edeka auf eine dezentrale Versorgung. Sprich: Sie lassen Online-Bestellungen in ihren Filialen picken und dann zum Kunden bringen. Einige betreiben auch sogenannte Dark Stores; das sind kleine Distributionszentren in den Städten, die wie normale Filialen beliefert werden, in denen aber nur kommissioniert wird. Der Vorteil: Da man auf bestehende Lieferstrukturen zurückgreift, lässt sich ein Bringdienst einfach aufsetzen. Pure Player, die reinen Internetanbieter, nutzen dagegen zentrale Logistikzentren, von denen aus die Kunden direkt beliefert werden. So sparen sich die Unternehmen hohe Kosten für Logistikflächen in Innenstadtlagen. Bringmeister, der Lieferdienst von Kaiser's Tengelmann, hat die Waren ebenfalls zunächst in den normalen Filialen kommissioniert, nutzt mittlerweile aber auch Dark Stores mit speziell optimierten Laufwegen. Bei der Lieferung fährt man zweigleisig: In Berlin werden eigene Fahrzeuge eingesetzt, in München setzt der Onlineshop auf einen externen Dienstleister. Probleme mit Staus gebe es in der Regel nicht, sagt Geschäftsführer Henrik Haenecke, "nur in Sondersituationen, zum Beispiel wenn Glatteis ist und besonders viele Leute bestellen, kann es Verzögerungen geben". Die größte Herausforderung beim Online-Lebensmitteleinkauf sei immer noch, den Kunden davon zu überzeugen, dass alles funktioniert. "Und diesen Vorbehalt kann man nur mit Erfahrung ausräumen", sagt er. Kein Wunder, dass alle großen KEP-Dienstleister den E-Food-Trend seit Jahren genau beobachten und hier wertvolles Wachstumspotenzial sehen. Aber können normale Paketzusteller überhaupt neben Schuhen auch Schnitzel bringen? Enge Liefer-Zeitfenster Experten wie Manner-Romberg haben da zumindest Bedenken. Schließlich müsste sich der Lebensmittelhändler zunächst an das IT-System des Paketdienstes ankoppeln und die Ware dann an einem bestimmten Punkt übergeben. Alternativ könnte der Lieferfahrer die Sendung beim Händler abholen, dadurch würde sich jedoch die Laufzeit wieder verlängern. Hinzu kommt, dass die Handelsriesen ihr Geschäft mittlerweile perfekt auf die Anforderungen von normalen Paketen hin optimiert haben. In dieses System die engen Lieferfenster für Lebensmittel einzufügen, ist nur mit großem Aufwand möglich. Die schlechte Nachricht ist: Unabhängige KEP-Dienste werden vom erwarteten Boom beim E-Food wohl kaum profitieren. "Vorstellbar wäre nur, dass sie zu Spitzenzeiten zum Einsatz kommen - oder im ländlichen Raum", so Manner-Romberg. Allerdings könnten kleine Dienstleister, wenn sie sich vernetzen, langfristig zu einer Distributionsalternative im regionalen Umfeld werden. Anbieter Bringmeister tendiert allerdings, obwohl auch er Dienstleister nutzt, auf der letzten Meile eher zum Selbermachen. "Weil der Fahrer das einzige Gesicht zum Kunden ist", so Geschäftsführer Haenecke. Anbieter schreiben noch rote Zahlen Emmas Enkel, einer der Pioniere auf dem deutschen E-Food-Markt, setzt ebenfalls auf einen eigenen Fuhrpark. "Wir machen das so lange selbst, bis es jemand besser kann", sagt Gründer Sebastian Diehl. Nur eigene Boten könnten flexibel und spontan reagieren, zum Beispiel, wenn es ein Problem mit einem Produkt gibt oder der Kunde Leergut abgeben will. "Außerdem sollte man den Werbeeffekt der eigenen Fahrzeuge nicht unterschätzen - oder den Moment, wenn der Mitarbeiter mit der grünen Schürze freundlich lächelnd die Ware übergibt", so Diehl. Der Durchbruch beim Online-Lebensmittel-Handel ist keineswegs eine ausgemachte Sache, zumal Branchenkenner schätzen, dass viele Anbieter nach wie vor rote Zahlen schreiben. Lebensmittelversand ist also derzeit eine Wette auf die Zukunft. Die Pioniere hoffen, dass sich dieser Vertriebsweg etabliert und irgendwann genug Bestellvolumen zusammenkommt, um den Service auch wirtschaftlich betreiben zu können. "Der Stellenwert des Online-Engagements für den gesamten Konzern liegt darin, die Gruppe fit zu machen für den wachsenden E-Commerce-Markt", sagt Raimund Esser, Sprecher des Rewe-Konzerns. Die bisherigen Erfahrungen würden aber zeigen, dass Warenkategorien mit einer hohen "Online-Affinität" wie Wein, Drogerieartikel oder Tiernahrung gut laufen. E-Food bleibt eine Wette auf die Zukunft Bleibt die Frage: Wollen die Endverbraucher ihre Lebensmittel online ordern oder kaufen sie lieber vor Ort ein? Die Zahlen klingen zunächst ernüchternd: Gerade einmal zwei Prozent der Deutschen haben Interesse daran, regelmäßig gekühlte Lebensmittel im Internet zu bestellen, hat Manner-Romberg in einer repräsentativen Umfrage ermittelt. Zwei Prozent - das klingt nach Peanuts. Da der Lebensmittelmarkt aber so groß ist, können selbst kleine Umsatzanteile interessant sein. Steigt zum Beispiel der Onlineanteil von einem auf drei Prozent, entspricht das einem Umsatzvolumen von fünf Milliarden Euro. Die Serie Erfolg im E-CommercePrivatkunden- was das für die Logistik heißt- VR 26: Lebensmittel via Internet: Nische oder Milliardenmarkt?- VR 27: Welche Zusatzleistungen Endkunden in der Zustellung fordern

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