Die Angst vor der Stahlflut

Zu viele Aufträge, zu wenig Material. Die Bahn hatte in den vergangenen Wochen ein massives Problem, ihre Stahlkunden zufriedenzustellen. So beklagten die großen Stahlkonzerne fehlende Kapazitäten und mangelnde Termintreue der Bahn-Tochter DB Cargo. Selbst bei der Bahn klingelten die Alarmglocken. Bahn-Manager warnten, die Gütertochter DB Cargo verliere im großen Umfang Aufträge, weil Stahlunternehmen Verkehre auf Lkw verlagerten. Im Outbound stattlicher Lkw-Anteil Die Logistiktochter Logistik Service des Stahlkonzerns Voestalpine bestätigt, dass bei der Auslieferung von Fertigwaren vom Linzer Produktionsstandort kurzfristig auf die Straße zurückgegriffen wurde. Zwar sei der Lkw ein wichtiges Transportmittel beim Versand, in Anbetracht des enormen Frachtvolumens von jährlich rund 5,6 Millionen Tonnen spiele die Bahn aber eine zentrale Rolle. Das zeigen auch die Zahlen des Unternehmens. Im Outbound wurde immerhin fast ein Drittel der Fertigwaren und Nebenprodukte per Lkw transportiert. Mit rund 57 Prozent entfiel der Löwenanteil aber auf die Bahn. Zwölf Prozent wurden auf Binnenschiffe verladen. Im Inbound wurden rund 80 Prozent der 11,8 Millionen Tonnen per Bahn angeliefert, 19 Prozent per Binnenschiff. Der Lkw fällt mit rund zwei Prozent bei der Anlieferung kaum ins Gewicht. Andere Stahlunternehmen halten sich bedeckt und wollen lieber keine Stellung beziehen. Zumal sich die Lage derzeit offenbar wieder normalisiert hat. Die Engpässe haben dann auch nur zum Teil mit den Problemen bei DB Cargo zu tun. Das gute Investitionsklima hat für steigenden Stahlbedarf gesorgt, die Stahlwerke sind ausgelastet wie lange nicht mehr. Diese gestiegene Nachfrage nach Stahltransporten führte dazu, dass ein Teil über die Straße abgewickelt wurde, erklärt die Bahn auf Nachfrage. Der Lkw habe bewiesen, dass er als Ersatz für die Bahn einiges leisten kann, sagt Christoph Kösters, Hauptgeschäftsführer des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL). Als Nothelfer sei er etwa 2014 eingesprungen, als Sturmtief "Ela" in Nordrhein-Westfalen viele Bahnstrecken lahmlegte. Allerdings waren solche Verlagerungen bislang nur von kurzer Dauer. Bahn investiert kräftig Dennoch tue die Bahn gut daran, an ihrer Verlässlichkeit zu arbeiten, mahnt Kösters. Wegen der Engpässe und als Folge der Lokführerstreiks habe das Unternehmen viel Vertrauen verloren. "Wer sich aber einmal enttäuscht von einem Verkehrsträger abgewendet hat, ist nur mit sehr viel Überzeugungskraft wieder zurückzugewinnen", weiß der Verbandschef. Immerhin hat die Bahn mittlerweile reagiert und für fast eine viertel Milliarde Euro neue Loks beim Hersteller Siemens bestellt. Mit Investitionen in 4000 neue Güterwagen, in digitale Prozesse und in zusätzliches Personal will die Bahn zusätzlich gegensteuern. Damit solle mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene geholt werden, erklärte Bahn-Vorstand Berthold Huber bei der Bekanntgabe der Großbestellung. "Neues Material ist das Eine, verlässliche Kapazitäten und Prozesse sind das Andere", zeigt sich Kösters skeptisch, dass das ausreichen wird. Bei der Bahn ist man überzeugt, dass sowohl der Lkw als auch das Schiff die Schiene bei Stahltransporten nicht ersetzen könne. Zumal das bei den Verladern ein erhebliches Umdenken und Investitionen erfordere. Deren Produktion ist stark auf den Transport mit der Bahn ausgelegt. Aufgrund der eingeschränkten Kapazität könne der Lkw die klassischen Verkehrsträger Bahn und Binnenschiff langfristig nicht ersetzen, glaubt man auch bei Voestalpine. Ähnlich sehen es die Dillinger Hüttenwerke, eine Tochter der Stahl Holding Saar. Zwar prüfe man jede mögliche Verlagerung auf alternative Verkehrsträger, allerdings könnten die Produkte wegen ihrer Größe nur in Ausnahmefällen von der Schiene auf die Straße verlagert werden. Bahn und Binnenschiff machen bei Dillinger etwa 90 Prozent der zu transportierenden Mengen aus. Selbst zwischen den beiden Verkehrsträgern sei ein Wechsel mitunter schwierig. So könnten etwa kurzfristige Ausfälle von Zügen wegen der längeren Transportzeit in der Regel nicht durch Binnenschiffe kompensiert werden. Letztlich hofft man bei Dillinger, dass die Bahn mit ihren Investitionen die Probleme in den Griff bekommt. Eine Hoffnung, die Spediteure teilen. Die Straßentransporteure sind nicht allzu traurig, wenn nicht massenhaft Stahl auf die Straße verlagert wird. Für massenhafte Punkt-zu-Punkt-Verkehre sollten auch in Zukunft vor allem Bahn und Binnenschiff zum Einsatz kommen, findet Kösters. Ein Grund dafür ist das ohnehin steigende Verkehrsaufkommen auf der Straße. Die Bundesregierung prognostiziert bis zum Jahr 2030 ein Wachstum von über 25 Prozent. "Vor dem Hintergrund kann sich keiner wirklich wünschen, dass noch derartige zusätzliche Mengen durch Verlagerungseffekte im großen Umfang hinzukommen", sagt Kösters. Die Krux bleibt der Fahrermangel Das bestätigt Stefan Windgätter, Geschäftsführer der Spedition Windgätter & Sohn aus Dortmund. Noch habe niemand angefragt, ob er Kapazitäten für größere Mengen Stahl habe. "Wir wären auch gar nicht in der Lage, große Verlagerungen aufzufangen", sagt Windgätter. Schon der Aufschwung seit dem Frühjahr stelle das Unternehmen vor das Problem, genügend Fahrer zu bekommen. Künftig könnte der Lkw dennoch dauerhaft Marktanteile in der Stahllogistik gewinnen. Die Konjunkturzyklen in der Stahlindustrie werden immer kürzer, die Schwankungen bei den produzierten Mengen und den Transporten nehmen zu. "Dauerte ein Zyklus des Stockings/Destockings früher zwei Jahre, findet er jetzt bereits mehrmals unterjährig statt", weiß Kösters. Hier habe der Lkw den Vorteil, dass die Reaktionszeiten der Spediteure deutlich kürzer seien als die an Fahrpläne gebundener Konkurrenz. Ein Grund zur Freude ist das aber nur bedingt. "Kürzere Reaktionszeiten bei steigender Volatilität erfordern eine größere Personalkapazität", warnt Kösters. In Anbetracht des Personalmangels sei das jedoch nur mit größter Kreativität möglich. Sollten die Stahlkunden die Lagerflächen weiter reduzieren und gleichzeitig die Lieferfrequenzen erhöhen, werde Spediteuren nichts anderes übrig bleiben, als mehr Lkw als Ausfallsicherheit einzuplanen, so Kösters. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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