Der neue Schub

Hersteller konzentrieren sich auf die Produktion und Weiterentwicklung ihrer Produkte, die Händler verteilen sie. "Diese klassische Arbeitsteilung in Wertschöpfungsketten wandelt sich im Zeitalter der Internetplattformen massiv", sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln). "Stattdessen setzen Markenfirmen zunehmend auf den Direktvertrieb, vermarkten ihre Produkte auf Internetplattformen und werden so selbst zum Händler", weiß er. Und durch die Corona-Pandemie und den Shutdown im April könnte sich dieser Trend zulasten des traditionellen Handels verschärfen. Abkehr von traditionellen Plattformen Für Speditions- und Logistikdienstleister birgt diese Entwicklung dagegen große Wachstumschancen. Davon ist Thomas Kraus, Geschäftsführer und CEO für die Regionen Nord-, Ost- und Mitteleuropa, überzeugt (siehe Seite 19). Er stützt sich da auf Zahlen einer Studie, die Geodis mit der Unternehmensberatung Accenture durchgeführt hat. 200 Markenfirmen in Europa und den USA wurden dafür befragt. Die Ergebnisse zeigen: Die Pandemie beschleunigt das Wachstum des Onlinehandels massiv. So erwirtschafteten vor der Krise die befragten Markenanbieter 34 Prozent ihrer Verkäufe online (durchschnittlich 28 Prozent auf virtuellen Marktplätzen und sechs Prozent auf eigenen Internetseiten). Während des Lockdowns wurden dagegen 65 Prozent der Verkäufe online getätigt: 38 Prozent über virtuelle Marktplätze und 27 Prozent über die Onlineshops der Markenanbieter. Der Anstieg war in Europa sogar signifikant höher als in den USA. Und was ist für Geodis die wichtigste Erkenntnis aus der Untersuchung? "Uns zeigt dies, dass die Markenfirmen ihre Artikel verstärkt über ihre eigene Website direkt vertreiben wollen und weniger über die bekannten Marktplätze", führt Kraus aus. Die Markenanbieter wollen offenbar verstärkt die Kontrolle über ihren Vertrieb, die Logistik und das Kundenerlebnis haben. Außerdem sei für sie die Sichtbarkeit ihres Produkts entlang der gesamten logistischen Kette - am besten in Echtzeit - sehr wichtig. "Da scheint es Verbesserungsbedarf zu geben", sagt Kraus. Und natürlich fragen sich Markenanbieter aus den USA, wie sie die europäischen Märkte für ihre Produkte erschließen können - entweder im Direktvertrieb an den Endkunden (B2C) oder zum Beispiel mit einer Handelsfiliale. Was heißt dies für die Strategie von Geodis? "Durch die Coronavirus-Pandemie bekommt E-Commerce einen massiven Schub", betont Kraus. Allein im zweiten Quartal 2020 sei der Umsatz bei Geodis im E-Commerce um 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gewachsen. Und das Wachstum geht weiter. "Wir werden uns deshalb künftig sehr viel stärker als bisher im E-Commerce positionieren und entsprechende Kundenlösungen entwickeln", kündigt der CEO an. Auf die Frage, mit welchen Wettbewerbern er sich da messe, gibt er sich selbstbewusst: "Wir bieten unseren Kunden und ihren Endkunden eine einzigartige End-to-End-Lösung auf physischer und digitaler Basis." Bisher habe es Lösungen von Anbietern gegeben, meint er, entweder im Bereich E-Fulfillment und Transport oder nur in Omnichannel-Auftragsmanagement-Systemen als reines Softwareangebot und ohne Komplettlösung. Wie viel Umsatz Geodis mit seinem neuen Produkt Geodis e-Logistics erwirtschaften will, sagt Kraus nicht. Attraktiv sei ein solches Produkt aber für Konsumgüterproduzenten. "Alles das, was wir bislang weltweit in namhaften Einkaufsstraßen in den Städten sehen, wird sich zunehmend ins Onlinegeschäft verlagern", ist er sicher. Ob er aber nicht Sorge habe, dass durch die Corona-Krise fallweise die Ländergrenzen wieder hochgezogen werden und dadurch der grenzüberschreitende E-Commerce eingebremst wird? Da meint Kraus nur: "Keineswegs. Ganz im Gegenteil!" Mehr zum Thema finden Sie unter #E-Commerce www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Früher war die Aufgabenteilung klar: Der Hersteller produzierte die Ware, und der Händler vertrieb sie in seinem Laden. Im Zeitalter der Internetplattformen wandelt sich das massiv. Beschleunigt wird dieser Trend durch die Corona-Pandemie. Für Speditions- und Logistikunternehmen kann dies aber Chancen bedeuten. "Von Transportpartnern fordern wir Lieferqualität und Nachverfolgbarkeit" Markenfirmen wollen vermehrt ihre Produkte über ihre eigene Website direkt vertreiben, also weniger über die bekannten Marktplätze. Was bedeutet das für Geodis als Logistikdienstleister? Um Unternehmen zu unterstützen, haben wir eine neue digitale Plattform entwickelt, mit der wir gerade gestartet sind. Sie bietet weltweite Transparenz in Echtzeit über alle verfügbaren Bestände im Geschäft, im Lager oder auf dem Transportweg. Zudem ermöglicht sie die Bearbeitung von Auftragseingängen unabhängig vom Vertriebskanal und bestimmt die am besten geeignete Bezugsquelle, Liefermethode und Rückgabeoption. Die digitale Plattform ist Teil unseres neuen Produkts namens Geodis-E-Logistics, das auch unser Netzwerk von E-Commerce-Lagern und unseren Transportservice an allen Standorten weltweit umfasst. Welche neuen Anforderungen kommen damit auf diese zu? Das Kauferlebnis für Endkunden - Stichwort Customer Experience - ist im stationären Handel anders, als wenn er online sein Produkt bestellt. Diese Zufriedenheit, dieses Erlebnis, das er beim klassischen Einkauf verspürt, wollen wir ihm auch beim Onlineshoppen verschaffen, eben durch die Zuverlässigkeit der Lieferung. Diese Lieferqualität und natürlich die Nachverfolgbarkeit fordern wir von unseren Transportpartnern. Konkret in neue Tools investieren müssen sie nicht. Wir müssen aber über Schnittstellen auf ihre Systeme zugreifen können, um unseren Kunden und den Endkunden die gewünschten Daten übermitteln zu können. In welchen Ländern in Europa sehen Sie da das größte Wachstumspotenzial? Gute Frage. Denn Europa ist in puncto E-Commerce sehr heterogen. Starke E-Commerce-Märkte sehen wir aber auf jeden Fall in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien. Und dann gibt es natürlich auch Staaten, die im E-Commerce bislang noch weniger entwickelt sind und gewissen Nachholbedarf haben, beispielsweise Länder in Osteuropa. ehThomas Kraus, Geschäftsführer und CEO für die Regionen Nord-, Ost- und Mitteleuropa von Geodis in Frankfurt/Main

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