Den Gordischen Knoten lösen

Für Dienstleister, die Lebensmittel befördern, kommt jetzt die heiße Phase: Das sind die kurzen Osterwochen. Binnen weniger Tage steigen in dieser Zeit die Transportmengen im zweistelligen Prozentbereich, Fahrpersonal wird knapp, und an den Handelsrampen drohen Staus. Zu den größten Herausforderungen gehören noch immer die Restriktionen bei der Warenanlieferung. Viele Märkte liegen in Wohngebieten und können erst ab sechs Uhr, teilweise ab sieben Uhr, von Lkw angesteuert werden. "Wir würden gerne früher anliefern", sagt Markus Bappert, Geschäftsführer des Lebensmittellogistik-Dienstleisters Ludwig Meyer in Friedrichsdorf. Damit eine frühere Belieferung von Anwohnern akzeptiert wird, könnten etwa Lkw mit Gas- oder E-Antrieb eingesetzt werden, weil sie geräuschärmer unterwegs sind. Das Unternehmen testet seit 2015 einen vollelektrischen 18-Tonner. Doch diese Lkw einzusetzen, ist - bedingt durch die Kleinserienproduktion - derzeit deutlich teurer, und die Mehrkosten wollen die Verlader meist nicht tragen. Um das Thema E-Lkw voranzutreiben, müssten "Industrie, Handel und Politik stärker an einem Strang ziehen", so Bappert. Eine große Erleichterung wäre auch eine Nachtbelieferung. Rewe etwa hat sie in einem Pilotprojekt schon 2017 getestet. E-Lkw belieferten damals drei Filialen in Köln zwischen 22:00 und 24:00 Uhr. Um die Geräuschbelastung möglichst gering zu halten, wurden spezielle Rollbehälter und Hubwagen eingesetzt. Obwohl der Test allgemein als Erfolg gewertet wurde, rollte Rewe die Nachtbelieferung nicht aus, vor allem, weil die gesetzlichen Grundlagen fehlen. "Regelungen, die im Zweifelsfall von Stadt zu Stadt unterschiedlich sind, können wir bei der Belieferung von über 5500 Rewe- und Penny-Märkten nicht umsetzen", sagt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. Es spricht aber noch ein Argument gegen die Nachtbelieferung: die mögliche Mehrbelastung für den Fahrer. Da zudem nach den Ladenöffnungszeiten meist keine Mitarbeiter zum Entladen der Paletten da sind, muss der Fahrer einen Schlüssel zur Filiale besitzen und die Lieferung selbst in den Markt bringen. Doch genau solche Zusatzarbeiten wollen Spediteure am ihren Fahrern ersparen - weil sie den Job unattraktiv machen. Wäre hilfreich: Samstag als Anliefertag Um die Lieferströme im Lebensmitteleinzelhandel zu glätten, wäre es auch hilfreich, den Samstag als Anliefertag zu nutzen. Die Spediteure sind für die Sechs-Tage-Woche offen, der Handel zögert. Vor Ostern und Weihnachten öffnet er die Rampen unter der Woche vereinzelt schon länger. Jeden Samstag wie einen regulären Arbeitstag behandeln wollen die großen Ketten aber nicht. Man fürchtet, dass die Mengen nicht ausreichen, um die Kosten für den zusätzlichen Personaleinsatz zu rechtfertigen. Obwohl die saisonalen Schwankungen vorhersehbar sind, fordern sie die Spediteure immer wieder heraus. Zusätzliche Lkw zu beschaffen, ist dabei noch der einfache Teil. Meyer-Logistik zum Beispiel nutzt Leasing-Fahrzeuge, die eigentlich schon als Rückläufer vorgemerkt sind, dann einfach ein paar Tage länger. Die echte Herausforderung liegt darin, das nötige Personal bereitzustellen. "Das lässt sich nur durch intelligentes Zeitmanagement bewerkstelligen. Die Tourenplanung muss aufgebrochen und an die täglichen Bedarfe angepasst werden", erklärt Bappert. Bedeutet zum Beispiel: Lange Touren werden verkürzt und aufgeteilt, sodass mehr Schichten gleichzeitig abgedeckt werden können. Einige Flaschenhälse liegen freilich auch auf Kundenseite - in den Märkten selbst. Den Handel plagt, ähnlich wie die Dienstleister, der Personalmangel. So fehlen oft Mitarbeiter, um angelieferte Ware anzunehmen und zu verräumen. Handel sperrt sich gegen Konsolidierung Dabei könnte die Lösung für viele dieser Probleme so einfach sein: mehr Zusammenarbeit. Am Rand der Innenstadt könnten Händler gemeinsam einen City Hub betreiben, in dem die Waren konsolidiert werden. Von dort aus würden dann, so die Idealvorstellung, stets maximal beladene Lkw die diversen Märkte versorgen. In der Systemgastronomie wird das schon praktiziert, Burger-Zutaten und Pizzabelag unterschiedlicher Franchiseketten reisen mitunter in ein und demselben Lkw. Der Lebensmitteleinzelhandel sperrt sich offenbar noch gegen eine solche Konsolidierung, weil die Händler nicht wollen, dass ihre Waren zusammen mit denen der Konkurrenz befördert werden. Ihr Argument lautet: "Wir lasten den Lkw ja schon komplett aus." In Kernzeiten mag das stimmen, trifft aber längst nicht immer zu. "Wir wären bereit, Volumina zusammenzulegen", bietet Bappert an. Er kann sich vorstellen, dass die Händler bei weiter steigendem Preisdruck stärker über logistische Zusammenarbeit nachdenken. Insgesamt sehen die Spediteure vor allem den Handel am Zug, wenn es darum geht, die Lieferketten zu verbessern. So wird das strikte Zeitfenster-Management an den Rampen kritisiert. Durch ein Öffnen der Fenster zu Stoßzeiten könnte man Fahrer effizienter einsetzen, da mehr Umläufe pro Schicht möglich würden, heißt es. Von solchen Vorschlägen will der Handel aber offenbar nichts wissen. Zudem klagen viele Spediteure über geringe Planbarkeit und zusätzlich Einspeisung von Aktionsware in die Lieferkette, die dann binnen 18 Stunden im Markt stehen soll, obwohl sie 18 Monate haltbar ist. Der Handel seinerseits bemängelt die aus seiner Sicht teilweise mangelhafte Informationspolitik der Dienstleister. "Wir haben genügend Fälle, in denen ein Lkw zwei Stunden vor seinem Zeitfenster an der Handelsrampe ist, sein Kollege aus der gleichen Firma im Stau steht und eine Stunde später kommt", klagte etwa Birgit Heizer, Leiterin Logistik Konzern Rewe, auf einem Branchenkongress. Sie fordert von den Speditionen übergreifendere Systeme, damit die Empfänger mehr Informationen erhalten. Zu diesen Herausforderungen kommt demnächst eine weitere: der Klimaschutz. Jüngst kündigte die Bundesregierung an, die geplante CO2-Steuer nicht in der Höhe von zehn Euro pro Tonne zu erheben, sondern mit 25 Euro zu starten. Das wäre ein Schlag ins Kontor, denn Diesel macht bei vielen Dienstleistern ein Drittel der Gemeinkosten aus. Viele befürchten daher, dass die Verlader die CO2-Steuer "wegverhandeln". Praktikable Lösung könnte da nur eines sein: "Das muss man über einen automatischen CO2-Zuschlag regeln", schlägt Bappert vor. Mehr zum Thema unter #Lebensmittellogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Es ist ein Dauerbrenner unter den Streitthemen entlang der Lieferkette: der Streit um Wartezeiten an der Rampe. Es gibt viele Ursachen für dieses Problem. An welchen Stellschrauben Produzenten, Händler sowie Stückgut- und Transportdienstleister bereits drehen, um das Problem zumindest zu entschärfen. Frosta: "Man sollte über gemeinsame Ansätze nachdenken" 200.000 Tonnen Tiefkühlware produziert der Hersteller Frosta jedes Jahr - Fisch, Gemüse und Fertiggerichte. Den Transport in den Handel übernehmen externe Spediteure, überwiegend Mittelständler. Insgesamt lief die Logistik des Unternehmens 2019 ruhiger als 2018, als durch akuten Fahrermangel gar Versorgungsengpässe drohten."Aktuell ist das Thema Frachtraum ausgeglichen", sagt Thorsten Heitland, beim Bremerhavener Unternehmen für Supply Chain Logistics zuständig.Großer Flaschenhals bleibt das Zeitfenster-ManagementEin großer Flaschenhals bleibt laut Heitland aber weiterhin das Zeitfenstermanagement in den Zentrallagern."Es kann sein, dass die Ware nachmittags beim Kunden ankommen muss, aber nur vormittags ein Zeitfenster frei ist", nennt er ein Beispiel. Hersteller, Spediteure und Handel optimierten sich derzeit nur selbst, das sei suboptimal."Man sollte über gemeinsame Ansätze nachdenken." Von den Dienstleistern wünscht sich Heitland vor allem eine bessere Vernetzung - bis runter auf die Ebene der Subunternehmer."Ziel muss sein, in Zukunft ohne Papier, Anrufe oder E-Mails auszukommen." Auch einen Einblick in Echtzeit-Telematikdaten sollte möglich sein. Damit die Dienstleister nicht für jeden Verlader eigene Schnittstellen aufbauen müssen, favorisiert er eine übergreifende Cloud-Lösung."Idealerweise sollten das mehrere Produzenten zusammen anpacken." Auch Klimaschutz rückt bei Frosta auf der Prioritätenliste weiter nach oben. So denkt das Unternehmen über den Einsatz von Wasserstoffantrieben im Verkehr zwischen den vier Standorten und den Zentrallagern der Kunden nach."Lieber heute als morgen" wolle man einen Piloten organisieren, so Heitland, "aber technisch und finanziell ist das nicht so einfach". cg