Auf Rollen Richtung Zukunft

VON DER PRODUKTION bis zur Versandlogistik: Fahrerlose Transportsysteme (FTS) und mobile Lagertechnik werden künftig unverzichtbar beim innerbetrieblichen Lasthandling, sagen Experten voraus. Bis 2025 soll der Markt für automatisierte Fahrzeuge in der Intralogistik demnach um rund 45 Prozent pro Jahr wachsen. "Nicht nur die Industrie, auch der Handel und die Dienstleister haben mit steigenden Lohnkosten und vor allem dem Fachkräftemangel zu kämpfen", nennt Rhea Langkammer, Head of Marketing Business Line Sales Applications & Services bei Still, die Gründe. Weitere Wachstumstreiber seien immer kürzere Produktlebenszyklen und die Onlineökonomie mit ihrem hohen Bedarf an Transportlogistik mit kurzen Lieferzeiten. "Mit FTS und automatisierten Lagertechnikgeräten lassen sich branchenunabhängig skalierbare Lösungen realisieren", betont Langkammer. Dabei sind fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) keinesfalls neu, sondern haben schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel (siehe Kasten). Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung entwickeln sie sich aber immer mehr hin zu selbstlernenden Transportrobotern. Laser weisen IT-gesteuert den Weg Ein Beispiel: Auch in den Audi-Werken sind FTF seit Jahren im Einsatz. Sie transportieren Bauteile selbstständig zu Arbeitsstationen, orientieren sich mit Laserscannern in der Halle und suchen den optimalen Weg, gesteuert von einem IT-System. Jetzt erprobt das Unternehmen in der Ingolstädter Vorserienlogistik als nach eigenen Angaben erster Automobilhersteller ein neuartiges FTF, das Menschen auf den Fuß folgt. Der "Effibot" des französischen Start-ups Effidence erkennt mittels Lasersensoren die Beine des Mitarbeiters und folgt diesen mit niedriger Geschwindigkeit. Das System benötigt keine spezielle Infrastruktur, sondern steuert vorab definierte Ziele selbstständig an. Bei den Mitarbeitern kommt das Pilotprojekt laut Audi gut an: Sie müssen keine Kommissionierwagen mehr von Hand schieben. Nicht nur die Industrie, auch der Handel hat das Potenzial von FTS längst erkannt: Einen Blick in die Zukunft konnten Kunden des niederländischen Großhändlers von Verpackungslösungen für Blumen und Floristikartikel Dillewijn Zwapak Ende November in dessen neuem Distributionszentrum in Amstelveen werfen. Dort hat Dematic eine FTS-Lösung bestehend aus selbstfahrenden Schmalgangstaplern und FTF, Palettenregalen sowie einem Paternoster-Kommissioniersystem installiert. Die Systeme ermöglichen sowohl die vollautomatische Palettenbe- und -entladung als auch die halbautomatische Paket- und Produktkommissionierung. Bis zu 14.000 Paletten finden in dem 10.000 Quadratmeter großen und bis zu 18 Meter hohen Distributionszentrum Platz. Im Schnitt lagert Dillewijn Zwapak rund 300 von ihnen täglich ein und aus. Um den steigenden internen Palettentransport zu entlasten, aber auch um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat auch der Kontraktlogistiker Arvato Supply Chain Solutions (SCS) im Distributionszentrum Harsewinkel in sechs fahrerlose Transportfahrzeuge von Jungheinrich investiert. Seit Kurzem übernimmt das FTS alle bodenebenen Palettentransporte des Healthcare-Bereichs und bringt täglich 400 Paletten zu ihrem Ziel. "Beschädigungen an Paletten werden minimiert, da das System millimetergenau arbeitet", nennt Fabian Generotzky, Director Operations bei Arvato SCS, einen positiven Nebeneffekt. Eigener LogiMAT-Ausstellungsbereich Auch liegt die Quote an tödlichen Unfällen mit FTS bei null. Dagegen hatten Unfälle mit Staplern, Gabelhubwagen & Co. 2018 mit 16 Prozent den größten Anteil an Unfällen im innerbetrieblichen Transport und teils schwerwiegende Folgen, zeigen aktuelle DGUV-Zahlen. Tipp: Wer sich für die neuesten Lösungen und Entwicklungen bei mobilen Transport- und Pickrobotern interessiert, der wird auf der kommenden Intralogistik-Fachmesse LogiMAT vom 10. bis 12. März in Stuttgart fündig. In Halle 2 gibt es angesichts ihrer wachsenden Bedeutung in der Intralogistik erstmals einen eigenen Ausstellungsbereich für autonome FTF. Rückblick: 66 Jahre FTS und kein bisschen jünger 1954 erfand Arthur Barrett in Northbrook (Illinois, USA) mit seiner Firma Barrett Electronics den "Guide-O-Matic", das erste fahrerlose Fahrzeug. Der Plattenriese EMI brachte es 1956 nach Europa, nach Deutschland kam es 1962/63. Mitte der 70er-Jahre launchte Barrett dann als erstes unbemanntes Schubfahrzeug den Hubwagen für Doppelpaletten "Stop&Drop". Er konnte automatisch an vordefinierten Plätzen Paletten abladen. Ende des Jahrzehnts erfand Mannesmann Demag das Unit-Load-Plattform-FTS"Unicar", das unterschiedlichste Ladeeinheiten zwischen Arbeitsstationen handhaben konnte.Immer neue Navigationsarten erhöhten die Flexibilität der Geräte. Die ersten FTS verfügten über einfache Spurfolgetechniken und orientierten sich an Farbstreifen auf dem Boden. Mechanische Schalter, Notstoppvorrichtungen und Stoßfänger sicherten FTS und Umfeld gegeneinander ab. 1976 fand das "Mailmobile" von Lear Siegler, ein automatisch fahrendes Regal zur Postverteilung in Großgebäuden, seinen Weg schon mithilfe eines unsichtbaren fluoreszierenden Streifens auf dem Boden, kombiniert mit einem Sensor für ultraviolettes Licht. Später richteten sich die Fahrzeuge nach einem unter der Decke angebrachten, gefolgt von einem im Boden eingelassenen Draht. Ähnlich funktionierte die Rasternavigation, die sich am Startpunkt orientierte, aber recht ungenau war.Beliebt wurde auch die Spurführung mit Bodenmagneten. 1995 hielt mit dem LGV (Laser Guided Vehicle) die Lasernavigation Einzug, vorangetrieben von Schlafhorst Automation. Physische Leitlinien wurden obsolet, Fahrkursänderungen einfach möglich. Raummarkierungen wurden mit Einführung der Navigation mittels Umgebungsmerkmalen überflüssig. Auch die Antriebsart veränderte sich mit der Zeit. Verfügten die ersten FTS über Blei-Säure-Batterien, gefolgt von Blei-Säure-Gel-Batterien, bildeten Nickel-Cadmium-Batterien die nächste Stufe. Schon Ende der 60er gab es Vorrichtungen zur automatischen Batterieladung. Heute sind Lithium-Ionen-Batterien auf dem Vormarsch. akw "Die Fahrzeuge werden immer intelligenter" Jan Drömer, Vorstand Fachabteilung Fahrerlose Transportsysteme im VDMA Fachverband Fördertechnik und IntralogistikIm Interview erklärt Jan Drömer, Vorstand Fachabteilung Fahrerlose Transportsysteme im VDMA Fachverband Fördertechnik und Intralogistik, welche Voraussetzungen für den FTS-Einsatz in Speditionen nötig sind.WIE VERBREITET SIND FTS IN SPEDITIONEN UND WAS SIND NOCH HÜRDEN FÜR IHREN EINSATZ?Wir erleben seit einigen Jahren einen regelrechten Nachfrageboom nach fahrerlosen Transportsystemen. Im Speditionsbereich sind sie aber noch nicht sehr stark verbreitet. Hürden sind vor allem die unterschiedlichen Lasten, die in den Betrieben transportiert werden - von der Zehn-Meter-Rolle über Europaletten bis hin zu Sperrgut. Überall dort, wo Lasten relativ strukturiert und Prozesse sehr stark repetitiv sind, eignen sich FTS.WELCHE ROLLE SPIELT DABEI DAS THEMA SICHERHEIT?Das hat bei allen FTS Prio eins. Personenschutzscanner überwachen die Umgebung und lassen die Geräte rechtzeitig stoppen, wenn nötig. Die Sicherheit von Personen geht immer vor. Um Sachschäden zu vermeiden, sind weitere Features möglich, beispielsweise mithilfe der 3-D-Sensorik. Darüber hinaus gibt es in puncto Sicherheit Normen in Europa, die wir einhalten müssen.WELCHE INFRASTRUKTURELLEN VORAUSSETZUNGEN SIND NÖTIG FÜR DEN FTS-EINSATZ?Erstens sollte der Boden einigermaßen eben sein. Zweitens beeinflusst die Umgebung die Wahl der Navigationsmittel. Laserscanner etwa eignen sich mit ihrer begrenzten Reichweite nicht für sehr große Hallen. Eine andere Herausforderung sind Blocklager, die sich permanent dynamisch auf- und abbauen. Wann sich welche Technologie eignet, entscheidet der Einzelfall. Eine Beratung ist daher unumgänglich. Optional bietet sich die virtuelle Planung am PC an.WAS KOSTEN DIE SYSTEME, WIE ENTWICKELN SICH DIE PREISE UND WELCHE FÖRDERUNGEN GIBT ES?Das erstreckt sich vom kleinen sechsstelligen Betrag bis in den Millionenbereich. Die Preisentwicklung ist konstant. Die Technologie an sich ist ja nicht neu und seit Jahrzehnten etabliert. Förderungen sind mir keine bekannt, aber das gibt es sicherlich.WAS MUSS ICH IN SACHEN SERVICE UND WARTUNG BEACHTEN?Einerseits geben das die gesetzlichen Unfallverhütungsvorschriften vor. Zudem empfehlen die Hersteller Wartungsintervalle. Wartungs- und Serviceverträge lassen sich individuell gestalten.WELCHE NUTZENEFFEKTE SIND MIT FTS IN SPEDITIONEN MÖGLICH?Staplerunfälle lassen sich durch FTS nahezu komplett vermeiden. Ein anderer Aspekt ist die Wirtschaftlichkeit: Vor allem im Mehrschichtbetrieb lässt sich so dem Mangel an qualifizierten Fachkräften begegnen.WIE LAUTET IHRE PROGNOSE ZUR KÜNFTIGEN VERBREITUNG VON FTS IN SPEDITIONEN?Ich glaube, dass FTS immer mehr Bereiche erobern werden, weil die Fahrzeuge immer intelligenter werden. Noch ist es ein Traum, dass die Fahrzeuge automatisch selbst Transportgüter und ihre Umgebung erkennen. Aber wir werden uns Schritt für Schritt dahin entwickeln, auch wenn es noch etliche Jahre in Anspruch nehmen wird.INWIEFERN KANN DER NEUE MOBILFUNKSTANDARD 5G DIESE ENTWICKLUNG BEEINFLUSSEN?Das ist ein sehr spannendes Thema. Heute sind die WLAN-Bänder in Fabrik- und Logistikanlagen oft voll ausgelastet. 5G ermöglicht, Teile der Datenverarbeitung aus dem Fahrzeug in die Cloud auszulagern und sie dort nahezu in Echtzeit abzubilden. Das könnte etwa die 3-D-Sensorik beflügeln. Zudem sind die Fahrzeuge in Steuerungsnetzwerke eingebettet. Wir binden die Peripherie heute vielfach über Kabel an. Ich sage immer, 5G ist der erste industrielle Mobilfunk. Und der Traum von der smarten Fabrik fängt mit Vernetzung an. akw

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