Auf dem Weg der Besserung

Seit gut einem Jahr gilt europaweit ein neuer Hygiene- und Sicherheits-Standard für die Pharma-Logistik: die Good Distribution Practice (GDP). Die Richtlinie soll sicherstellen, dass Arzneimittel auf dem Weg zur Apotheke oder ins Krankenhaus nicht durch unsachgemäße Behandlung Schaden nehmen. Viele Transporteure sind aktuell dabei, sie umzusetzen. "Das ist keine kleine Übung, hier geht es um erhebliche Investitionen in Immobilien und Fahrzeuge", sagt Christian Knoblich, Geschäftsführer der Trans-o-flex Logistics Group, Weinheim. Deren Tochtergesellschaft Thermo-Med betreibt seit mehreren Jahren das einzige flächendeckende Netz für aktiv temperaturgeführte Transporte von Arzneimitteln. Um auch für große Mengen eine GDP-konforme Lösung zu haben, hat das Unternehmen im Oktober 2013 angekündigt, das Netz des größeren Trans-o-flex-Schnell-Lieferdienstes auf aktiv temperaturgeführte Transporte umzubauen. Als Vorbereitung auf die Kapazitätsausweitung wurde vor einem halben Jahr ein Großprojekt gestartet, an dem drei Dutzend Mitarbeiter beteiligt sind. Im kommenden Oktober soll es abgeschlossen werden. Die Nachfrageseite drängt schon auf eine schnelle Umsetzung. "Das ist in allen Kundengesprächen Thema Nummer eins", sagt Knoblich. Konkret geht es um den Bereich zwischen 15 und 25 Grad Celsius (Ambient, aktive Temperaturführung). In diesem Korridor sollen Arzneimittel demnächst gelagert sowie transportiert werden. Er muss künftig genau so strikt eingehalten werden wie die Vorgaben im klassischen Kühlbereich. Das fordert selbst Marktgrößen wie Transo-flex heraus: "Wir müssen nicht nur Arbeitsprozesse anpassen und Personal qualifizieren, sondern auch Umschlagplätze und Fahrzeuge temperieren", erklärt Knoblich. Klimatisierungsgeräte müssten eingebaut und Temperaturmessgeräte installiert werden. Die nötigen Ausrüstungen würden derzeit gekauft - sofern sie am Markt überhaupt verfügbar seien. "Es ist schwierig, kurzfristig Kühlfahrzeuge und -boxen in ausreichender Menge zu bekommen", sagt Knoblich. Zusätzlich erschwerend wirke die allgemeine Unklarheit rund um das Thema. "Im Markt herrscht noch kein Konsens darüber, in welchem Zeitraum und in welcher Ausprägung die Anforderungen der GDP umgesetzt werden müssen", sagt er. Auslegung der GDP ist oft noch unklar Tatsächlich rätseln selbst Fachleute noch über die genaue Auslegung der Richtlinie, während auf Behördenseite eine Expertenfachgruppe an einer "konsolidierten Meinung" arbeitet, wie es von den verantwortlichen Stellen heißt. All das bremst die Umsetzung. Aus der Sicht von Trans-oflex-Geschäftsführer Knoblich gibt es derzeit keinen Logistikanbieter, der die GDP für große Mengen in der Feindistribution komplett abbilden kann. Allerdings erwartet er, dass sich das Raumtemperatur-Segment spätestens 2015 etabliert haben wird. Große Kurier-, Express- und Postdienstleister wie Go! spüren schon, dass pharmazeutische Versender nach GDP-Konformität fragen (siehe Unternehmensbeispiel im Kasten). Grundsätzlich gilt: Eine direkte Kontrolle durch die Behörden müssen die Transportunternehmen nicht fürchten. Denn sie findet auf einer Ebene darüber statt, bei den Arzneimittelherstellern und Pharma-Großhändlern. Rund 130 Inspektoren überwachen bundesweit insgesamt 5800 Betriebe der Branche. Im letzten Berichtsjahr 2011 gab es insgesamt 1255 Kontrollen. Neu ist, dass bei diesen Prüfungen auch auf die Logistik geschaut wird. "Der Hersteller oder Großhändler muss dafür sorgen, dass der Transportdienstleister die GDP-Standards einhält", erklärt Arno Terhechte, Dezernent bei der Bezirksregierung Münster. Die Kontrolle der Dienstleister funktioniert also quasi "um die Ecke": Der Großhändler muss zunächst beim Spediteur ein GDP-Audit durchführen - und den entsprechenden Auditbericht dann dem behördlichen Inspektor auf Wunsch vorlegen. Dass Beamte beim Dienstleister vor Ort selbst kontrollieren, ist bislang nicht Praxis. "Allerdings wird das diskutiert", sagt Terhechte. Häufiger Mangel ist die Qualifizierung Da die Übergangsfrist zur Umsetzung der GDP im September letzten Jahres verstrichen ist, kann kein Marktteilnehmer auf behördliche Nachsicht hoffen. Findet ein Inspektor Anzeichen dafür, dass sich ein Transportdienstleister nicht an die Leitlinie hält, wird das bei dessen Auftraggeber beanstandet. "Das ist immer öfter der Fall", berichtet Terhechte, der selbst als Inspektor tätig ist. Ein typischer Mangel: Es kann nicht nachgewiesen werden, dass Fahrzeuge und Lager überhaupt für die Pharmalogistik geeignet sind (Fachwort: Qualifizierung). Daneben gibt es regelmäßig Mängel bei der Dokumentation. Welche Sendungen unter welchen Bedingungen (Temperatur) transportiert wurden, muss im Nachhinein klar nachvollziehbar sein. Ebenfalls häufig beanstandet wird das Fehlen einer sogenannten Risikobewertung. Nach der neuen Richtlinie muss der Logistiker nämlich eine schriftliche Analyse aller Transportwege vornehmen. Er muss sich zum Beispiel fragen: Sind alle Lagerstellen entlang der Kette ausreichend gegen unbefugten Zugriff geschützt? Besteht die Gefahr, dass an einem Punkt die Kühlkette unterbrochen wird? Ist das Arzneimittel überhaupt für einen langen LKW-Transport geeignet? Das ist relevant bei Medikamenten, die durch Erschütterung ausflocken oder auskristallisieren. All diese Risiken muss der Dienstleister einerseits benennen und andererseits Maßnahmen formulieren, sie zu beseitigen. Was passiert, wenn diese Ausarbeitung nicht vorliegt oder gegen andere GDP-Standards verstoßen wird? "Die Sanktionen hängen von der Bewertung durch die Behörde ab", erklärt Experte Terhechte. Entscheidend sei, welche Schäden für den Patienten entstehen könnten. Gravierend sind zum Beispiel Pannen mit Impfstoffen, die durch Einfrieren ihre Wirkung verlieren. Stellt ein Inspektor fest, dass der Transportdienstleister bei deren Beförderung nicht ausreichend Vorsorge gegen Temperaturschwankungen getroffen hat, wird das als "kritischer Mangel" eingestuft und muss unverzüglich abgestellt werden. Die Behörde würde dem Großhändler dann untersagen, diesen Dienstleister weiter einzusetzen, es sei denn, er verbessert seine Temperaturführung unverzüglich. Sind von dem Mangel weniger kritische Pharmaprodukte betroffen, räumen die Behörden längere Fristen zur Beseitigung ein. Bei allen Sanktionen gilt: Sie richten sich immer an den Hersteller oder Händler, nie an den Dienstleister direkt. In der Praxis macht das natürlich keinen Unterschied, da der Spediteur oder Lagerbetreiber bei anhaltenden Beanstandungen damit rechnen muss, den Kundenauftrag zu verlieren. Kontrollintensität ist unterschiedlich Panik vor breit angelegten Kontrollen ist allerdings nicht angebracht. Ob und wie intensiv sich die Kontrolleure der Bezirksregierungen auch mit logistischen Aspekten beschäftigen, schwankt von Region zu Region. "Die Kontrollpraxis ist hier ganz unterschiedlich. Die Guideline lässt Interpretationsspielraum zu. Letztendlich ist auch die Situation vor Ort in den Betrieben nicht einheitlich", sagt die auf Pharmalogistik spezialisierte Unternehmensberaterin Nicola Spiggelkötter. Es habe schon Fälle gegeben, in denen die Behörden in ihrem Inspektionsbericht Verstöße gegen GDP-Regeln geahndet hätten, so die Expertin. Bleibt die Frage: Wie lange dauert es noch, bis die GDP flächendeckend umgesetzt ist? "Bei den namhaften Anbietern wird das kein Thema sein", meint Marktkennerin Spiggelkötter. Ihre Prognose: Da große Transportdienstleister schon lange nach Standards wie IFS oder ISO arbeiten, könnten sie sich rasch auf die neue Leitlinie einstellen. Mit der Umsetzung schwerer tun sich kleine Unternehmen. Hier wird es auch weiterhin Mängel geben, wie nicht richtig angebrachte oder kalibrierte Temperatursensoren. Beraterin Spiggelkötter warnt allerdings davor, das Augenmerk ausschließlich auf die Technik zu legen. "Es geht auch immer um Prozesse, immer auch um das Gesamtsystem." Vor allem, um das in der GDP geforderte Qualitätsmanagement einzuführen, werde oft zu wenig Manpower zur Verfügung gestellt, sagt Beraterin Spiggelkötter. Unternehmensbeispiel Go! Express & Logistics feilt am Qualitätsmanagement Teure und empfindliche Arzneimittel zu transportieren gehört bei Go! Express & Logistics schon lange zum Geschäft. Deshalb stand für den KEP-Dienstleister schon früh fest, die neue GDP-Leitlinie umzusetzen."Das ist unerlässlich, wenn man diesen Markt halten will", sagt Martina Baerecke, die das Umsetzungsprojekt geleitet hat. Schon im Herbst 2012 begann Go!, sich auf die neuen Regularien einzustellen. Erste Maßnahme: Die Mitarbeiter wurden im Umgang mit sogenannten Spill-Kits geschult. Diese Art von Notfallkoffer kommt dann zum Einsatz, wenn zum Beispiel Krebsmedikamente (Zytostatika) verschüttet werden, die potenziell gesundheitsschädlich sind. Er enthält unter anderem Schutzanzüge und Plastiktüten, um die Verschüttungen aufzunehmen."So etwas ist einem Logistiker zunächst fremd", erklärt Baerecke.Das Unternehmen hat sich schrittweise auf die neuen Anforderungen vorbereitet: Unter anderem gab es neue Reinigungs- und Hygienevorschriften, angefangen von den Fahrzeugen bis zu den sanitären Anlagen, die nun mit Desinfektionsmittelspendern ausgestattet sind.Sämtliche Maßnahmen wurden in ein unternehmensweites Dokumentenmanagement eingebettet. Außerdem führte Go! einheitliche Formulare ein, sodass für alle Mitarbeiter schneller ersichtlich ist, wo und wann eine Maßnahme gilt sowie welche Person dafür zuständig ist."Das ist zunächst viel Arbeit, doch es erleichtert auch vieles", sagt Baerecke. Den Mitarbeitern besonders schwer zu vermitteln war die risikobasierte Denkweise, wie sie die GDP fordert. Jede erdenkliche Störungsquelle muss erfasst werden, um ein Risiko im Vorfeld auszuschließen. Für die Forderung nach Schädlingsbekämpfung (Pest Control) heißt das zum Beispiel, folgende Fragen zu bedenken: Liegt die Umschlaghalle neben einem Kartoffelacker? Wenn ja, ist das Risiko eines Befalls durch Kartoffelkäfer hoch und muss durch geeignete Maßnahmen verhindert werden. "Gerade die großen pharmazeutischen Versender legen sehr viel Wert auf eine risikobasierte Vorgehensweise", sagt Baerecke.Bewusst nicht investiert hat Go! in neue Kühlmaschinen für Lager und Fahrzeuge. "Davon steht nichts in der GDP", begründet Baerecke. Man setze eher darauf, dass der Versender mit einer passenden Verpackung für eine stabile Umgebungstemperatur sorge. Und was ist das Fazit des Mammutprojekts? Baerecke lacht: "Im Prinzip tunt man das vorhandene Qualitätsmanagement-System." cg

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