Angst vor Corona

In Transport- und Logistikunternehmen geht die Angst vor dem Virus-Kollaps um. Bei den einen, weil sie fast nicht wissen, wie sie die unerwartet hohen Transportmengen stemmen sollen, die zum Beispiel im Lebensmittel- und Pharmabereich derzeit auf sie einprasseln. Andere dagegen leiden unter den abrupten Schließungen vielerorts im Einzelhandel und der Autombilindustrie. Ihr Geschäft ist quasi über Nacht zusammengebrochen. Lockdown sorgt für Kurzarbeit "Wir erleben in der Wirtschaft derzeit ein zweigeteiltes Bild", bringt Wolfgang Stölzle, Professor für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen/Schweiz, die aktuelle Gemengenlage auf den Punkt. Wobei die Zahl der Firmen, die aktuell abstürzen, wohl ungleich höher sein dürfte, schätzt er. "Ein großer Teil unseres Geschäfts steht still und folglich bewegt sich auch beim Transport nur wenig", berichtet CSO Maximilian Meyer, der mit CFO Peter Schnitzler und seiner Schwester das Familienunternehmen Meyer & Meyer in Osnabrück führt. Der Betrieb hat sich vor allem auf Fashion- und Automobillogistik spezialisiert. "In unseren Lagern kommt zwar seit Mitte März noch neue Ware an, die produziert wurde", sagt Meyer. "Aber durch den Lockdown der Bundesregierung vor zwei Wochen geht von uns nichts mehr in den Großhandel und in die Handelsfilialen raus - außer die Waren für unsere Onlinekunden." 1800 Mitarbeiter an insgesamt 13 Standorten in sechs Ländern in Nordafrika sowie in Osteuropa beschäftigt Meyer & Meyer. Der Umsatz lag in 2019 bei rund 230 Millionen Euro. In diesem Jahr wird es weniger sein. "Unser Umsatz bricht aktuell im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stark ein", sagt Meyer. Für viele Mitarbeiter hat er deshalb Kurzarbeit angemeldet: Konkrete Zahlen kann er nicht nennen, da sich die Situation derzeit jede Woche ändere. Denn den Dienstleister trifft es aktuell doppelt schlimm - bedingt durch die Werksschließungen namhafter Automobilbauer und -zulieferer, die ebenfalls zum Kundenkreis von Meyer & Meyer zählen. Angst bei Transporteuren "Diese Schließungen erfolgen von jetzt auf gleich, fallweise auch relativ unkoordiniert zwischen dem deutschen Headquarter und den Auslandsniederlassungen", ergänzt Haluk Selvi, der bei Meyer & Meyer die Operative verantwortet. "Weil das Ganze so dynamisch ist, ist es deshalb im Moment für uns sehr schwierig, die Kapazitäten richtig zu planen." Und noch schlimmer, die Distributionszentren laufen laut Selvi derzeit voll, weil zwar Ware produziert, aber nicht ausgeliefert werden kann. Die Angst sitzt jetzt aber vor allem den vielen kleinen und mittleren Transportbetrieben im Nacken,. "Die Unternehmen erwirtschaften ohnehin im Schnitt nur unter ein Prozent Umsatzrendite und deren Eigenkapitalquote geht gegen Null." Darauf verweist Hubertus Kobernuß, bis März Inhaber der Kobernuss Spedition in Uelzen, der auch Präsident von Transfrigoroute Deutschland ist. "Und in der Coronakrise bricht denen der Umsatz weg, ihre Ausgaben laufen aber weiter." Umso schlimmer sei es, schimpft er, dass Speditionsnetze offenbar die jetzige Situation nutzen, um von ihren Frachtführern Preisnachlässe zu fordern "Alles das drückt massiv auf die Liquidität der Transportbetriebe", warnt Kobernuß, "20 Prozent könnten deshalb am Ende des Jahres schlimmstenfalls vor dem Aus stehen." Was Transporteuren helfen würde, ist für Kobernuß klar: Die unbegrenzten Kredite, die die Bundesregierung in ihrem Hilfspaket der Wirtschaft zusichert, müssen auch bei den kleinen Transportbetrieben ankommen. "Solange aber die Hausbanken nicht zu 100 Prozent von ihrer Haftung befreit sind, werden sie nur schwer und nach langwierigen Eigenkapital-Prüfungen die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Betrieben gewähren." Sinnvoller seien ohnehin direkte Zuschüsse, da Kredite irgendwann auch zurückgezahlt werden müssen. Entsprechend hart kritisiert Wolfgang Stölzle das von der Bundesregierung verhängte Kontaktverbot. Vor allem aber die Grenzschließungen und die Ausgangssperren des Freistaats Bayern sind ihm ein Dorn im Auge: "Das sind schwerste Fehlentscheidungen", urteilt er. Der quasi staatlich verordnete Shutdown, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen, stehe in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den die Wirtschaft dadurch erleide. "Im B2B-Segment dürfte es fast keinen geben, dem es im Moment gut geht. Selbst die Stückgutnetze, die noch vor wenigen Wochen angesichts der Konsumnachfrage gut liefen, brechen mittlerweile ein." Licht und Schatten liegen aber, wie eingangs gesagt, in Zeiten des Coronavirus mehr denn je beieinander. Das zeigt das Beispiel von Lebensmitteltransporteur Ludwig Meyer in Friedrichsdorf, der sich derzeit kaum vor Aufträgen retten kann. "Normalerweise sind für uns die ersten drei Monate im Jahr eher saure Gurkenzeit. Im Moment aber fahren wir auf Volllast", sagt Matthias Strehl, Geschäftsführer des Unternehmens. Enorme Wertschätzung für die Logistik Über 5000 Filialen von Lebensmitteldiscountern fahren die 1200 Verteilerfahrzeuge von Meyer Logistik derzeit täglich an. "Als es mit dem Thema Coronavirus losging, war das hektisch. Da hat sich die Gemengenlage ja stündlich, sogar minütlich geändert. Wir sind da fallweise fast halbleer zu den Märkten gefahren", erzählt Strehl. "Diese Warenmengen im rechtlich zulässigen Rahmen ausliefern zu können, war herausfordernd. Gerade in der Anfangsphase, als der Bedarf sehr, sehr groß war", räumt Strehl unumwunden ein. Mittlerweile aber habe der Gesetzgeber - was sehr helfe - einiges vereinfacht, etwa die Lenk- und Ruhezeiten gelockert, das Sonntagsfahrverbot im Non-Food-Segment aufgehoben. "Zu wenig Kapazitäten oder auch zu wenige Lkw-Fahrer gab es aber zu keiner Zeit", betont der Meyer-Logistik-Geschäftsführer. Auch dass osteuropäische Fahrer, die bei deutschen Speditionen angestellt sind, durch die Coronakrise in ihre Heimat geflohen seien, kann er nicht bestätigen. "Im Gegenteil: Jeder Fahrer zieht im Moment richtig mit. Die Fahrer sind hochmotiviert, obwohl sie keinen Cent mehr für ihren Einsatz erhalten. Der aktuelle Krankenstand dürfte sogar unter dem regulären Niveau liegen." Und was Strehl besonders freut: "Unsere Logistikbranche erfährt derzeit eine enorme Wertschätzung. Das motiviert alle unsere Beschäftigten sehr." Bleibt nur zu hoffen, dass diese Motivation bei allen lange anhält. Denn noch wagt keines der Transport- und Logistikunternehmen, mit denen die VerkehrsRundschau dieser Tage sprach, Prognosen darüber abzugeben, wie sich die Pandemie am Ende für sie auswirken wird. Die soeben vom deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) veröffentlichten Zahlen lassen aber nichts Gutes ahnen: Über 80 Prozent der deutschen Unternehmen - und das betrifft die Betriebe aller Branchen - rechnen demnach in diesem Jahr mit Umsatzrückgang. Jeder vierte Betrieb schreibt sogar mehr als die Hälfte des Umsatzes ab und fast jedes fünfte Unternehmen sieht sich von Insolvenz bedroht. "Wenn aber eine Branche sich auf eine solche Situation - mit allen ihren Tiefen, aber auch Höhen - flexibel einstellen kann, dann ist es die Logistikbranche", macht Stölzle Mut. "Die Improvisation liegt den Logistikern im Blut. Sie sind es gewohnt, aufgrund von Kundenwünschen schnell Kapazitäten bereitzustellen oder auch abzubauen." Positiv sei auch, dass die Kunden, in den genannten Boom-Branchen, die Leistungen der Dienstleister finanziell honorieren. Mit seinem Wissenschaftsteam entwickelt Stölzle derzeit einen Quick-Check. Er soll in Kürze erhältlich sein und für kleinere Mittelständler mit bis zu 1000 Mitarbeitern innerhalb von zwei Tagen ausweisen soll, wie sich zum Beispiel Auftragseinbrüche auf die Kennzahlen ihres Unternehmens auswirken, wann es für sie kritisch werden könnte und mit welchen Maßnahmen sie erfolgreich gegensteuern können. eh Mehr zum Thema finden Sie unter #Epidemien www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Coronavirus-Pandemie stellt das deutsche Transport- und Logistikgewerbe auf die historisch wohl größte Bewährungsprobe. So müssen die Unternehmen einerseits die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Andererseits brechen vielerorts von kurz auf gleich die Geschäfte ein.

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