Ein Wasserstoff-Prototyp von MAN im VR-Lkw-Test

Der Dreh am Zündschlüssel dieses MAN TGX löst das klassische Anlassergeräusch aus, gefolgt vom bestens bekannten Brummen eines Verbrennungsmotors. Zunächst also kaum zu glauben, dass wir in einem Lastwagen sitzen, dessen Antrieb für die Zukunft durchaus wegweisend sein könnte? Zumal unter der Kabine bekannte Technik steckt in Form des D38-Reihensechszylinders plus der automatisierten Zwölfgang-Schaltung von ZF, bei MAN "Tipmatic" genannt. Wasserstoff ohne Brennstoffzelle Das Revolutionäre ist aber der Kraftstoff, den die dreiachsige Sattelzugmaschine verkostet. Sie verbrennt Wasserstoff, um Vortrieb zu erzeugen. Wobei die Betonung auf verbrennen liegen muss. Denn anders als bei Brennstoffzellen-Fahrzeugen, die ebenfalls Wasserstoff tanken, wird das Gas hier in den Zylindern des Motors verbrannt. Also eben fast wie bei einem Diesel. Aber eben nur fast, denn anders als beim "Ölmotor" entstehen bei der Verbrennung von Wasserstoff lediglich Wasser sowie geringe Mengen NOx als Abgase. Mehr als 1 g CO2/tkm entlässt der H2-Verbrenner aber nicht in die Umwelt, weshalb er seit der Neuregelung der CO2-Regularien auf EU-Ebene als "Zero-Emission-Vehicle" - zu Deutsch: abgasfreies Fahrzeug - eingestuft wird. Zusätzlich unterscheidet sich das Arbeitsprinzip des Wasserstoff-Verbrenners von dem des Diesels. Zwar bildet, wie bereits erwähnt, MANs D38-Topdiesel die technische Basis. An dem hier "H45" genannten Aggregat werden für den Wasserstoffeinsatz aber mehrere Modifizierungen nötig, die MAN im hauseigenen Motoren- und Batteriewerk in Nürnberg vornimmt. Einerseits wird die Bohrung der Brennräume von 138 auf 145 Millimeter vergrößert, wodurch der Gesamthubraum von 15,3 auf 16,8 Liter steigt. Eine Modifizierung, die laut MAN nötig wird, um die geringere spezifische Leistung von Wasserstoffmotoren auszugleichen. Vor allem wird aber ein neuer Zylinderkopf inklusive Zündkerzen fällig, wodurch der originäre Selbstzünder zum Ottomotor mutiert. Vom Zündstrahl-Verfahren, dass beispielsweise Volvo Trucks für seine geplanten H2-Verbrenner favorisiert, halten die MAN-Entwickler nämlich nicht viel. Bei Volvo übernimmt eine kleine Menge HVO-Diesel den Job der Zündkerze, um das Selbstzünderprinzip zu erhalten. Stattdessen betonen die MAN-Verantwortlichen nicht ohne Stolz, den weltweit ersten H2-Direkteinspritzer auf die Räder gestellt zu haben. Konkret bläst die Steuerungselektronik den gasförmigen Kraftstoff nach dem Schließen des Einlassventils gezielt ein und zündet das Luft-Gas-Gemisch beim Erreichen des oberen Totpunktes des Kolbens. Schöner bassiger Sound In der Kabine des hTGX genannten Prototypen, der Teil einer insgesamt 200 Exemplaren umfassenden Kleinserie ist, die MAN ab kommendem Jahr ausliefern will, bekommt man davon nur insofern etwas mit, als dass sensibilisierte Ohren ein leicht weicheres Verbrennungsgeräusch feststellen - bezogen zum D38-Diesel. Wobei der bassige Sound durchaus als Ohrenschmaus durchgeht. Ansonsten ist von der zukunftsträchtigen Technik beim Fahren nicht viel zu spüren. Einfach wie gewohnt den Getriebeschalter am rechten Lenkstockhebel auf "D" stellen und buchstäblich Gas geben. 26 Tonnen hat die 6x4-Zugmaschine in Kombination mit dem Kippauflieger zu bewegen. Bei diesem eher leichten Gewicht fällt die Leistungsentfaltung des H45 vernachlässigbar schwächer aus als mit einem vergleichbar starken Diesel-Kollegen. Lediglich das Drehzahlniveau fällt etwas höher aus, weil beim Beschleunigen später hoch- und an Steigungen früher heruntergeschaltet wird, als man es von modernen Diesel-Motoren gewöhnt ist. Mit dieser Strategie bewegt sich der H2-TGX souverän vorwärts. Allerdings wagen wir die Prognose, dass sich bei höheren Tonnagen die Tatsache deutlicher bemerkbar machen könnte, dass der 520 PS entwickelnde H2-Motor "lediglich" 2500 Newtonmeter Drehmoment freisetzt, und damit immerhin 150 Nm weniger als der gleichstarke Diesel - in Form des neuen D30-Dieselmotors mit 12,7 Liter Hubraum. Der "Otto"-Arbeitsweise geschuldet ist außerdem die prinzipbedingt geringe Motorbremskraft, die im Testfahrzeug von einem kräftigen Retarder ausgeglichen wird. Nach der kurzen Testfahrt wieder am Ausgangspunkt angekommen, wird es Zeit für einen ausgiebigen Rundgang ums Fahrzeug. Da fallen vor allem die vier runden Tanks hinter der Kabine ins Auge, die insgesamt 56 Kilogramm Wasserstoff bunkern und die Länge der Zugmaschine um knapp 80 Zentimeter erhöhen. Normale Standardauflieger darf der hTGX damit bis auf Weiteres also nicht ohne Ausnahmegenehmigung auf die Sattelplatte nehmen. Eine hochexplosive Mischung, die da direkt im Rücken des Fahrers/der Fahrerin mitfährt. Doch die MAN-Techniker zerstreuen alle Bedenken. Es handele sich hier um die festesten und bruchsichersten Tanks der Welt, die ein geradezu unglaubliches Testprozedere durchlaufen mussten und so klar das neudeutsche Prädikat "Unkaputtbar" tragen. Knapp 90 kg H2-Verbrauch Knapp neun Kilogramm Wasserstoff sollen die Förderpumpen pro 100 Kilometer aus den Tanks entnehmen, womit bis zu 600 fernverkehrstaugliche Kilometer mit einer Flaschenfüllung drin wären. Das anschließende Wiederauffüllen ist laut MAN in weniger als einer Viertelstunde erledigt, vorausgesetzt, man findet auf der Strecke eine entsprechende Wasserstofftankstelle mit den nötigen 700 bar Druck. Auf der linken Fahrzeugseite unterhalb der H2-Flaschen ragt der Stutzen des AdBlue-Behälters heraus. Allzu oft dürfte man diesen allerdings nicht befüllen müssen, denn für die Reduktion der bei der H2-Verbrennung entstehenden Stickoxide sind laut MAN lediglich zehn Prozent der AdBlue-Menge eines vergleichbaren Diesels nötig. Bleibt noch die Frage, ob der Wasserstoffverbrenner dem Elektro-Lkw nun den Rang ablaufen wird. Ganz klar nein, versichern die MAN-Strategen! Die Batterieelektrik bleibe für den Großteil der Verkehre die beste Wahl. Der H2-Verbrenner könne aber in Spezialanwendungen, in abgelegenen Gegenden ohne umfassende Ladeinfrastruktur oder bei Sonderfahrzeugen mit vielen Achsen eine Alterative sein, die wenig Bauraum für leistungsstarke Akkus bieten. 60 der 200 geplanten Serienfahrzeuge sollen bereits vergeben sein. Zum Großteil an skandinavische Kundschaft, wie es aus der MAN-Zentrale heißt. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor, (MAN "H45" auf Basis des D38-Dieselmotors), Direkteinspritzung, Turbolader, Verbrennung nach dem Otto-Prinzip, Zero-Emission-Fahrzeug mit SCR-Kat; Hubraum: 16.800 cm3 Leistung: 520 PS (382 kW), max. Drehmoment: 2500 Nm b. 900-1300/min Getriebe automatisiertes 12-Gang- Schaltgetriebe "Tipmatic", synchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe

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