Bremerhaven. Branchenverbände aus Transport-, Spedition und Logistik und die Verlader-Verbände aus Industrie und Handel haben Anfaner Woche eine tragfähige Einigung für eine Neufassung der ADSP 2017 erzielt. Damit gibt es wieder gemeinsam erarbeitete Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von beiden Seiten zur Anwendung empfohlen werden. Doch was bedeutet das konkret und auf welche Änderungen müssen sich Transportunternehmen und Speditionsdienstleister damit einstellen? Transportrechts-Experte Thomas Wieske, Institutsleiter am Studiengang Transportwesen-Logistik der Hochschule Bremerhaven (ILRM), hat sich das Werk genauer angeschaut.
VerkehrsRundschau: Wie wichtig ist es, dass sich die Verbände der verladenden Wirtschaft sowie der Transport-, Speditions- und Logistikbranche auf eine Neufassung der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen ADSP 2017 geeinigt haben?
Thomas Wieske: Diese breite Einigung auf gemeinsame ADSp ist sehr wichtig und gut – für alle Seiten. Das Fracht-, Speditions- und Lagergeschäft ist durch schnelles Handeln gekennzeichnet und dazu bedarf es möglichst unkomplizierter und ausgewogener Vertragsschlüsse zwischen den Auftraggebern und Dienstleistern. Das unterscheidet sich vom klassischen Handelsvertrag, in dem beide Seiten über eine längere Zeit einen Vertrag aushandeln können. Hier helfen die neuen ADSp den Geschäftspartnern also insofern weiter, da ansonsten die Regelungen des Handelsgesetzbuches (HGB) gelten würden , die aber eben in diesem Bereich lückenhaft sind . Deshalb sind nun die gemeinsamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der ADSp 2017 so wichtig, zumal die Spezifika aller Seiten durch die Spitzenverbände in diese AGB eingebracht werden konnten. Das Ergebnis ist nun ein Kompromiss, mit dem beide Seiten zufrieden sein können.
Vor einem Jahr scheiterten die Gespräche der Spitzenverbände. Mit der Folge, dass die Verlader ihre eigenen Deutsche Transport- und Lagerbedingungen (DTLB) und die Spediteure die ADSp 2016 präsentierten. Sind diese mit den neuen ADSp 2017 nun obsolet – ebenso wie die VBGL des BGL?
Letztlich ist es Sache der jeweiligen Vertragsparteien, sich auf die Vertragsinhalte zu einigen. Wenn man sich also zum Beispiel vor einem Jahr für drei Jahre auf die VBGL geeinigt hatte, würden diese noch zwei Jahre lang gelten. Genauso gilt dies bei den ADSp2016 und den DTLB, wobei sich letztere bekanntlich kaum auf dem Markt durchgesetzt haben. Jede Partei kann also letztlich selbst entscheiden, welche Vertragsbedingung sie zugrunde legt, wobei alle Unternehmen gut daran täten, die neuen ADSp2017 anzuwenden.
Für wie kritisch halten Sie aus Sicht der Fracht- und Lager-Dienstleister den Paragraph 16 zum Punkt „Vergütung“? Dort wird ganz klar gesagt, dass mit der vereinbarten Vergütung alle Leistungen nach dem Verkehrsvertrag abgegolten und Nachforderungen also im Prinzip nicht möglich sind. Wie bewerten Sie diesen Passus aus Sicht der Transportunternehmen und Speditionsdienstleister?
Ich denke, dass der Bereich Vergütung ein großes Thema der Verladerschaft war. Aber: Die ADSp 2017 sind nun ein echter Kompromiss aus Verhandlungen der Verbände im Interesse ihrer Mitglieder, also auch der Verlader. Das Thema Standgeld, Wartezeiten etc. beschäftigt die Speditionsbranche schon seit langem – und ich höre auf Veranstaltungen immer wieder, dass man Zeitfenster zwar definieren kann, sich diese bei den Auftraggebern aber nicht umsetzen lassen. Und wegen eines Standgeldes von 70 Euro die Stunde werden die wenigsten ihre Auftraggeber verklagen. Im Übrigen bezieht sich diese Klausel auf alle vorhersehbaren Kosten, also nicht auf unvorhersehbare Kosten, z.B. eine unvorhersehbare Schließung eines Grenzübergangs. Man muss aber die ADSp wirklich als ein Geben und Nehmen zwischen allen Verbänden sehen. Deswegen lassen sich schwer einzelne Klausen herausnehmen und sagen: Schaut mal, das ist schlecht – ohne, dass ich das Gesamtwerk im Blick habe.
Stichwort Auftraggeberhaftung – Paragraph 29. Dort wird die Haftung auf 200.000 Euro je Schadensereignis begrenzt. Ist es korrekt, dass der Unterschied zwischen fahrlässigem und grob fahrlässigem Schaden und Vermögensschaden nun nicht mehr gemacht wird?
Ganz genau. Bei den normalen Fällen, bei fahrlässigen Fällen und bei Fällen, bei denen ein Verschulden des Auftraggebers nicht nachgewiesen werden kann, haftet der Auftraggeber mit 200.000 Euro je Schadensereignis. Und das ist schon ganz beachtlich. Beachtlich ist, dass die artifizielle Verknüpfung des Schadensersatzes mit dem Gewicht des Transportgutes weggefallen ist, wie noch in den DTLB oder dem HGB vor 2013. Hier wurde das Prinzip des vollen Schadensausgleichs der Logistik-AGB übernommen. Übrigens damals auch auf Betreiben der Verlader. Das heißt, der Auftraggeber kann seinen Versicherungsschutz entsprechend anpassen und die Differenzierung zwischen Güterschaden, Vermögensschaden und mehr fällt weg.
Wenn jetzt aber tatsächlich grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt worden ist, wäre dann die Haftung größer – oder wäre dann die Haftung auch auf 200.000 Euro beschränkt?
Dann wäre die Haftung größer, denn wenn wir uns Punkt 29.2. anschauen, dann steht dort, dass diese Haftungsbeschränkungen keine Anwendung finden bei Personenschäden oder wenn der Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beziehungsweise durch die Verletzung vertragswesentlicher Pflichten verursacht ist. Das bedeutet, dass die 200.000 Euro die Minimalhaftung sind und die Auftraggeber ihre Versicherung entsprechend anpassen werden.
Sie würden unter dem Strich also sogar sagen, dass dieser Paragraph 29 ist aus Sicht der Transportunternehmen und Speditionsdienstleister durchaus positiv zu bewerten ist?
Auch der Paragraph 29 ist bei der Höhe der Haftungssumme ein klassischer Kompromiss. Ich nehme mal an, dass die Speditionsseite eine unlimitierte Haftung gefordert hatte wie in ADSp 2016 und den VBGL - die Verladerseite 8,33 Sonderziehungsrechte (SZR) je Kilogramm, und 200.000 Euro je Schadensereignis ist der Kompromiss. Für die Abwicklung von Spezialtransporten wie im Chemiebereich müsste dann individuell eine höhere Grundhaftung mit den Verladern vereinbart werden. Man denke nur an den Unfall in Ludwigshafen. Deshalb wüde ich es nicht für ausgeschlossen erachten, in einem zweiten Schritt zu überlegen, für bestimmte Arten von Verkehren und Leistungen, wie z.B. Chemietransporten, noch spezielle Vertragsbedingungen zu schaffen.
Wie sieht es denn mit dem Wegfall des ADSp-Deckblatts aus? Daran hatte sich ja die Speditionsbranche stark gestoßen. Vielleicht können Sie nochmal ganz kurz sagen, worin die Forderungen der DTLB in diesem Punkt bestanden und worin jetzt ganz klar die Vorteile der Spedition liegen?
Das ADSp-Deckblatt war eine eigenwillige Idee. Dahinter stand, dass man dort vermutlich individuelle Regelungen einbringen wollte. Ein struktureller Fehler bei den DTLB war, dass sie in mehreren Punkten immer wieder auf individuelle Regelungen verwiesen haben – und da sagt Ihnen natürlich jeder Versandleiter eines Großverladers, dass er keine Zeit für individuelle Regelungen hat. Die DTLB sind trotz einiger guter Anregungen, einfach für die Art von Gewerbe, wie wir es betreiben, schlecht strukturiert und damit kaum praxistauglich.
Eine Forderung der DTLB bestand auch darin, dass die Unternehmen bestimmte Qualitätsnachweise erbringen müssen. Im Prinzip hätte jedes Transport- und Speditionsunternehmen nach ISO9001 zertifiziert sein müssen. Dieser Punkt ist mit den ADSp 2017 auch gefallen. Wie sehen Sie das aus Sicht der Transportunternehmen?
Auch das macht das Geschäft einfacher – vor allem bei Zurufgeschäften. Die DTLB stellen sehr hohe Anforderungen an den Frachtführer, um überhaupt einen Auftrag zu erhalten. Das kann durchaus Sinn machen bei einer langfristigen, mehrjährigen Zusammenarbeit Wenn jedoch ein Verlader kurzfristig über eine Frachtenbörse oder per Telefon einen Lkw brauche, der um 14 Uhr Ware abholt und von München nach Mailand bringt, da ist es fraglich, ob der Frachtführer all diese Voraussetzung erfüllen kann – es sei denn, für den Transport kann nur ein zertifiziertes Unternehmen eingesetzt werden, z.B. einen Lebensmitteltransport.
Was raten Sie nun schlussendlich Transport- und Speditionsdienstleistern? In einem ersten Schritt vermutlich alle Verträge zu prüfen - aber was noch?
Transport- und Speditionsunternehmen sollten mit ihren Auftraggebern über eine Anpassung der Verträge in Richtung ADSp 2017 reden. Also die Verträge zunächst lesen, dann mit dem Versicherer sprechen und bestätigen lassen, dass der Versicherungsschutz, der für 2017 besteht , auf Basis der ADSp 2017 besteht und der vorhergehenden ADSp 2003, 2016 und VBGL, da mit großer Wahrscheinlichkeit Geschäft auf dieser Basis auch in 2017 noch abgewickelt wird. Die Prolongationsverhandlungen mit den Versicherungen laufen ja derzeit. Wenn die Verhandlungen schon abgeschlossen sind, sollten die Unternehmen jetzt nachfragen, ob der Schutz auch auf Basis der ADSp 2017 besteht und sich bestätigen lassen, dass diese auch Teil der Deckungszusage sind. Das dürfte in aller Regel kein Problem sein.
Im Endeffekt entsteht den Unternehmen also kein Nachteil, weil sich die Verbände erst jetzt auf die neuen ADSp 2017 verständigt haben?
Ich glaube nicht, dass den Unternehmen Nachteile entstehen, sondern gehe davon aus, dass alles bestens läuft. Man wird sicher über den einen oder anderen Punkt diskutieren, aber: Die ADSp 2017 sind ein Vertragswerk, das in einigen Punkten Vorteile für die Verlader und in anderen Punkten Vorteile für die Spediteure mit sich bringt. Als Einheit schaffen die ADSp 2017 eine Win-Win Situation für beide Seiten, für Verlader wie Speditions- und Frachtunternehmen. Die ADSp 2017 sind nur als ein einheitliches Werk zu verstehen. Damit kann man eigentlich nur hoffen, dass das Rechtssprechungsrisiko aus der Interpretation einzelner losgelöster Bestimmungen dadurch insgesamt reduziert wird. Das wäre ein großer Gewinn für alle Seiten.
Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa.