Betriebsrat: Ziehen, Zerren, Zugeständnisse

Vor rund einem Jahr sorgte Dachser Food Logistics Bremen für negative Berichterstattung. Die Gewerkschaft Verdi stellte Strafanzeige gegen den Niederlassungsleiter wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit. Laut Verdi hatte Dachser den Betriebsratsvorsitzenden in seiner Position herabgestuft und Mitgliedern des Betriebsrats mehr Gehalt geboten, wenn sie den Betriebsrat verlassen. Dachser widersprach den Vorwürfen. "Ein Angriff auf den Betriebsrat ist immer auch ein Angriff auf die ganze Belegschaft und die Demokratie", sagte damals Thomas Warner, Verdi-Fachbereichsleiter Postdienste, Spedition und Logistik für Niedersachsen und Bremen. Ob und wie das Verfahren mittlerweile beendet wurde, ist nicht bekannt. Aber der Fall zeigt, wie wichtig eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist. Zum einen können Kontroversen dem Image schaden und zu langwierigen und kostenintensiven Prozessen führen. Zum anderen kann durch Streitigkeiten zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat das ganze Unternehmen leiden. Wichtige Entscheidungen müssen aufgeschoben werden, Innovationen werden gebremst. Ein vertrauensvolles und konstruktives Miteinander hingegen kann Prozesse beschleunigen und das Unternehmen voranbringen. Rechte des Betriebsrats Die Regeln für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Betriebsrat finden sich im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Dort ist in Paragraf 2 Abs. 1 bestimmt, dass Betriebsrat und Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten. Im Betriebsverfassungsgesetz sind außerdem die Rechte und Pflichten der Parteien geregelt. "Die wichtigsten Rechte des Betriebsrats sind die echten Mitbestimmungsrechte nach Paragraf 87 BetrVG sowie die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten wie Einstellungen, Versetzungen oder Kündigungen", erklärt Linda Pouyadou, Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kanzlei HSK Arbeits- und Wirtschaftsrecht in Augsburg. "In diesem Rahmen darf der Arbeitgeber keine Maßnahmen umsetzen, ohne dass es eine Einigung mit dem Betriebsrat gegeben hat. Das gilt insbesondere für Arbeitszeiten, Urlaubszeiträume, die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen sowie Kurzarbeit. Personellen Maßnahmen kann der Betriebsrat unter bestimmten Umständen widersprechen, sodass der Arbeitgeber sie nicht umsetzen darf, es sei denn, das Arbeitsgericht ersetzt die Zustimmung des Betriebsrats." Neben diesen Mitbestimmungsrechten gibt es auch Rechte, die den Mitgliedern des Betriebsrats selbst zustehen. Allen voran steht hier der besondere Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds grundsätzlich als unzulässig anzusehen ist. Eine außerordentliche, also fristlose Kündigung ist zwar unter Angabe eines triftigen Grundes möglich, wirksam wird sie aber nur, wenn der Betriebsrat zustimmt. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber gemäß Paragraf 40 BetrVG die Kosten übernehmen, die dem Betriebsrat durch seine Tätigkeit entstehen, also beispielsweise für Sitzungen und Sprechstunden, Räumlichkeiten, Mobiliar und aktuelle Gesetzgebung. Außerdem hat der Betriebsrat das Recht, Schulungen zu besuchen, in denen das für sein Amt erforderliche Wissen vermittelt wird (Paragraf 37 Abs. 6 BetrVG). Diese Kosten muss ebenfalls der Arbeitgeber tragen. Pflichten des Betriebsrats Natürlich hat auch der Betriebsrat Pflichten gegenüber dem Unternehmen. "Betriebsräte sind verpflichtet, mit dem Arbeitgeber zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammenzuarbeiten. Der Betriebsrat muss die Belange des Betriebes genauso im Blick behalten wie die der Arbeitnehmer. Gerade was wirtschaftliche Aspekte angeht, entsteht leider in der Praxis oft der Eindruck, dass Arbeitnehmervertretungen die Belange der Betriebe hintenanstellen. Dies ist allerdings zu kurz gedacht. Geht es dem Betrieb finanziell schlecht, so hat dies immer auch Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, welche bis hin zu betriebsbedingten Kündigungen gehen können", so Rechtsanwältin Pouyadou. Dass der Betriebsrat das Wohl des Unternehmens im Blick hat, hält auch Roland Rüdinger, geschäftsführender Gesellschafter der Rüdinger Spedition GmbH, für ausschlaggebend für eine gute Zusammenarbeit. "Bei uns gibt es seit 20 Jahren einen Betriebsrat und die Zusammenarbeit klappt gut. Solange der Betriebsrat sich am Unternehmenswohl orientiert, ist er eine absolute Bereicherung", so der Unternehmer. Im Interesse von Unternehmensführung und Betriebsräten sollte es immer liegen, im Sinne des Unternehmens zusammenzuarbeiten. Aus ihrer Erfahrung weiß Linda Pouyadou, dass das nicht immer ganz einfach ist. "Eines der größten Probleme in der Praxis sind Defizite bei der Kommunikation. Ich stelle oft fest, dass massive Skepsis gegenüber der anderen Seite besteht und dadurch die Kommunikation durch eine gewisse Abwehrhaltung geprägt ist. Die im Gesetz vorgeschriebene vertrauensvolle Zusammenarbeit wird dadurch erschwert und es entstehen unnötige und teure Streitigkeiten, die auch negative Auswirkungen auf die Belegschaft haben können." Betriebsratswahl: Diese Regeln gelten Grundsätzlich darf ein Betriebsrat in einem Unternehmen gebildet werden, das mindestens fünf wahlberechtigte Beschäftigte hat, von denen mindestens drei wählbar sind. Wahlberechtigt sind alle Beschäftigten, die am Wahltag 16 Jahre (früher 18 Jahre) alt sind und mindestens sechs Monate im Betrieb beschäftigt sind. Nicht wahlberechtigt und nicht wählbar sind leitende Angestellte im Unternehmen. Ansonsten gibt es keine weiteren Einschränkungen. Auch Auszubildende, Minijobber oder Leiharbeitnehmer, wenn ihr Einsatz im Betrieb auf mehr als drei Monate ausgelegt ist, sind wahlberechtigt. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2019 wurden im Jahr 2019 insgesamt 46 Prozent der Beschäftigten in Deutschland durch einen Betriebsrat vertreten. Der Wirtschaftszweig "Verkehr und Lagerei" lag dabei bei 38 Prozent im Westen und 29 Prozent im Osten. Ob es einen Betriebsrat gibt, hängt wesentlich auch von der Betriebsgröße ab. 2019 hatten in Betrieben mit fünf bis 50 Beschäftigten nur neun Prozent einen Betriebsrat, in Betrieben mit mehr als fünfzig Mitarbeitern hingegen 90 Prozent. Anhand von Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lässt sich ableiten, dass insgesamt die Betriebsratsgremien in Deutschland abnehmen, vor allem in Betrieben mit 51 bis 500 Beschäftigten. Stefan Thyroke, Bundesfachgruppenleiter Speditionen, Logistik und KEP bei Verdi, sagt, die Logistikbranche bilde die Gesamtzahlen ziemlich gut ab. "In unserer Branche ist die Lage nicht schlechter oder dramatischer als in anderen Branchen." Da zum Beispiel im Bereich Güterbeförderung und Straßenverkehr rund 70 Prozent der Betriebe ein bis neun Beschäftigte haben, gibt es in diesen größtenteils keinen Betriebsrat. Trotzdem beobachtet er, dass es in der letzten Zeit wieder vermehrt zu Betriebsratswahlen gekommen ist. Dies könnte seiner Einschätzung nach an der Pandemie liegen. "Immer dann, wenn es schwierig ist, wollen Beschäftigte etwas unternehmen, dann kommt es vermehrt zum Wunsch, einen Betriebsrat zu wählen", so Thyroke. Grundsätzlich bewertet er die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung als gut. Oft sei die Unternehmensleitung froh, dass sie einmal etwas mit dem Betriebsrat regeln kann, das dann auch für alle gilt, und damit Probleme nicht jedes Mal einzeln angehen muss. "Je kleiner der Betrieb, desto schwieriger ist es", sagt Thyroke. In kleinen Betrieben, wo der Chef es oft gewöhnt sei, alles alleine zu entscheiden, sei es meist schwieriger zu akzeptieren, dass das jetzt nicht mehr so ist. Behinderung hat Konsequenzen Soll im eigenen Unternehmen ein Betriebsrat gegründet werden, sollte man dies nicht nur zum Wohl des Unternehmens als Chance sehen und mit dem Betriebsrat ein gutes Miteinander finden. Denn es ist keine Frage des Wollens, den Betriebsrat in seinem Tun zu unterstützen, sondern eine Pflicht. Versucht die Unternehmensleitung einen Betriebsrat zu verhindern, oder ihn in seiner Arbeit zu behindern, hat das Konsequenzen und kann in schwerwiegenden Fällen auch eine Straftat sein. "Arbeitnehmervertretungen dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Unzulässig ist deshalb alles, was die Betriebsratsarbeit beeinträchtigt. Bei Zuwiderhandlungen kann der Betriebsrat gerichtlich einen Unterlassungsanspruch durchsetzen. Darüber hinaus begehen Arbeitgeber, die die Betriebsratsarbeit oder die Wahl behindern, Ordnungswidrigkeiten oder machen sich im schlimmsten Fall sogar strafbar. Paragraf 19 BetrVG sieht für Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor", weiß Fachanwältin Linda Pouyadou. Gesetz für mehr Betriebsräte Unter anderem, um die Anzahl an Betriebsratsgremien zu erhöhen, hat die Bundesregierung das Betriebsrätemodernisierungsgesetz beschlossen, das am 18. Juni 2021 in Kraft trat. Das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt, so der ausführliche Titel, soll die Gründung von Betriebsräten fördern und die Betriebsratswahl erleichtern. Zudem wird das Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf den Einsatz künstlicher Intelligenz gestärkt. "Durch das frühzeitige Einbinden des Betriebsrats soll das Vertrauen der Belegschaft in neue Techniken gestärkt werden", so Linda Pouyadou. Dazu wird der Kündigungsschutz für Beschäftigte, die die Gründung eines Betriebsrats initiieren, erheblich ausgeweitet und das Wahlverfahren vereinfacht (mehr dazu siehe Kasten auf Seite 37). Ob das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wirklich dazu beiträgt, dass mehr Betriebsräte gegründet werden, wird sich erst zeigen. "Der ausgeweitete Kündigungsschutz dürfte in der Praxis die einschneidendste Änderung für Arbeitgeber sein. Beschäftigte, die den Ausspruch einer Kündigung fürchten, können ohne großen Aufwand einen weitreichenden Kündigungsschutz erzielen. Ob dieser zusätzliche Schutz für Wahlinitiatoren tatsächlich erforderlich ist, sei dahingestellt. In allen Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes können Arbeitgeber ohnehin Kündigungen nur dann aussprechen, wenn es hierfür eine soziale Rechtfertigung gibt. Einen erweiterten Kündigungsschutz sieht das Gesetz bereits jetzt für alle Mitglieder des Wahlvorstandes vor. Wer also tatsächlich beabsichtigt, einen Betriebsrat zu gründen, ist bereits jetzt vom Gesetz weitreichend geschützt", sagt die Augsburger Arbeitsrechtsexpertin. Neu ist auch, dass Betriebsratssitzungen unabhängig von der Corona-Pandemie in Form von Videokonferenzen durchgeführt werden können. "Bedauerlich ist", so Linda Pouyadou, "dass dies nicht auch als Möglichkeit für Einigungsstellen in das Gesetz eingefügt wurde." Im Rahmen der Einigungsstellen wird entschieden, wenn sich in Fällen der echten Mitbestimmung Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen können. Da daran oft viele Personen, inklusive Rechtsanwälten und Sachverständigen, teilnehmen, hätte sich Pouyadou auch hier eine Regelung für Videokonferenzen, unabhängig von der Pandemie, gewünscht. Hier könnte zukünftig noch nachgebessert werden. Bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber sein Ziel erreicht und es durch die neuen Regelungen zukünftig wieder mehr Betriebsräte gibt. Mehr zum Thema unter #Unternehmensführung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat ist wichtig, denn andauernde Konflikte können sich negativ auf das Unternehmen auswirken. Was es im gegenseitigen Umgang zu beachten gilt und was ein neues Gesetz nun bewirken soll. Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Die wichtigsten Änderungen auf einen Blick Virtuelle Betriebsratssitzung: Sitzungen des Betriebsrats können durch Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden. Elektronische Signatur: Betriebsvereinbarungen, Richtlinien, Sozialpläne und andere Dokumente können mit einer qualifizierten elektronischen Signatur abgeschlossen werden. Erleichterung der Betriebsratswahlen: Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens auf Betriebe bis zu 100 Beschäftigte; Wahlanfechtung durch den Arbeitgeber wird erschwert. Erleichtertes Wahlrecht: Das Mindestalter für die Wahlberechtigung zur Betriebsratswahl wurde vom 18. auf das 16. Lebensjahr gesenkt. Die Altersgrenze für Auszubildende bei der JAV-Wahl wurde gestrichen. Erweiterter Kündigungsschutz: Kündigungsschutz für Beschäftigte, die zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung einladen oder die Bestellung eines Wahlvorstands beantragen; Beschäftigte, die eine Betriebsratswahl initiieren und hierfür eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgeben, sind unkündbar. Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes: Beschäftigte, die mobil oder im Homeoffice arbeiten, haben den gleichen Versicherungsschutz wie Beschäftigte im Betrieb (Wege zum Essen oder zur Toilette mitversichert, ebenso zur Betreuungsstätte der Kinder). Mitbestimmung bei mobiler Arbeit: Der Betriebsrat hat ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der mobilen Arbeit, zum Beispiel zu Zeit, Ort, Erreichbarkeit und Sicherheitsaspekten. Mitbestimmung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI): Der Betriebsrat darf einen Sachverständigen bei Fragen zum Einsatz von KI hinzuziehen. Verantwortung für den Datenschutz: Der Arbeitgeber bleibt immer datenschutzrechtlich verantwortlich, auch was die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat betrifft.

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

Betriebsrat: Ziehen, Zerren, Zugeständnisse

HASHTAG

#Unternehmensführung

Logistik Restart: Gelungener Auftakt in Hamburg

Hapag-Lloyd verstärkt Afrika-Geschäft

DP World will Imperial aufkaufen

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Duvenbeck übernimmt Sander Logistics

Who is Who Logistik: Themen und Trends für 2025

STELLENANGEBOTE

Area HR Business Partner

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

WEITERLESEN

NEWSLETTER