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VR-Kommentar: Milliarden-Grab Oberleitungs-Lkw

03.11.2023 09:05 Uhr | Lesezeit: 4 min
Ein Lkw mit Oberleitungsantrieb fährt auf einer "E-Highway"-Teststrecke
Ein Lkw mit Oberleitungsantrieb fährt auf einer "E-Highway"-Teststrecke
© Foto: Bernd Settnik/ picture alliance

Noch immer geistert das Thema Oberleitungs-Lkw durch die Medien – aktuell wieder angefacht durch einen „Erkenntnisbericht“ des Fraunhofer ISI sowie des BOLD-Projekts und des ifeu-Institutes. VR-Chefredakteur Gerhard Grünig schätzt die Lage in seinem Kommentar ein.

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Noch immer geistert das Thema Oberleitungs-Lkw durch die Medien – aktuell wieder angefacht durch einen „Erkenntnisbericht“ des Fraunhofer ISI sowie des BOLD-Projekts und des ifeu-Institutes. Ich meine: gebetsmühlenartiges Wiederholen, teils falscher Fakten macht aus Mist kein Gold.

„Technologieakzeptanz, Chancen und Hindernisse für die Industrie sowie das politische Umfeld“, wollte man analysieren, so die am Oberleitungs-Lkw-Feldversuch beteiligten Institute und Forschungseinrichtungen. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanzierten Projekt sollte die klima- und umweltbezogene Auswirkungen der Oberleitungstechnologie untersuchen. Aktuell kam der Abschlussbericht, der - so die Beteiligten - die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfasst und das Potenzial bewertet.

Was einen stutzig macht, ist gleich die erste Einschätzung: „Aufgrund ihrer hohen Effizienz, vergleichsweise niedriger Kosten und positiver Klimaauswirkungen stellen Oberleitungs-Lkw eine vielversprechende Option dar, wenn sie mit erneuerbaren Energien betrieben werden.“ Mit Verlaub, das ist der gleiche einfach unwahre Ansatz wie mit dem E-Lkw insgesamt. Zunächst mal ist ein E-Lkw, nur weil er keinen Auspuff hat, NICHT per se klimaneutral. Well-to-Wheel heißt das Zauberwort. Und wo sind denn die Kosten eines O-Lkw „niedrig“. Allenfalls, wenn man den Lkw alleine betrachtet. Faktencheck: Basis ist ein Hybrid-Lkw mit Stromabnehmer, oder Pantograph wie Ingenieure gerne sagen – bin ich übrigens auch, bleibe aber trotzdem bei Stromabnehmer. Der kostet gegenüber einem normalen Diesel-Lkw rund dreimal so viel! Ist das „niedrig“? Eher nicht, vor allem wenn man noch die exorbitanten Infrastrukturkosten einkalkuliert. Als ich mich das erste Mal mit dem Thema beschäftigt habe, wurde die Ausstattung aller deutschen Hauptverkehrsadern mit 17! Milliarden Euro beziffert. Erinnern Sie sich noch, was Stuttgart 21 anfangs kosten sollte, oder die Elbphilharmonie? Gut, ich werde unsachlich. Aber 17 Milliarden werden NIE reichen.

Lobbyarbeit Oberleitungs-Lkw?

Weiter heißt es im Erkenntnisbericht, dass drei Feldversuche durchgeführt werden, um elektrische Antriebssysteme für schwere Nutzfahrzeuge zu testen. Wer betreut eigentlich den vierten? Denn so viele sind es tatsächlich. Und was wollte man damit alles erreichen. Mal alle vorhandenen Lkw zusammenführen, um Lastkollektive zu messen – sind übrigens nur 15 bis 20 (bei 800.000 schweren Lkw insgesamt). Genaue Zahlen bekommt man jedenfalls nicht. Dann wollte man noch Platooning probieren, quasi einen Zug auf der Autobahn realisieren. Nach unseren Erkenntnissen ist nie was daraus geworden. Wir haben immer nur davon gehört, dass die Lkw mehr stehen als fahren, die Oberleitungen defekt sind oder Trafos die Grätsche gemacht haben. Zudem wurde allen Beteiligten offenbar ein Maulkorb verhängt. Das sind durchaus Unternehmen dabei, zu denen die VerkehrsRundschau gute Kontakte hat. Die Wahrheit hat kaum einer erzählt. Und wenn, dann unter dem „Siegel größter Verschwiegenheit“. Haben wir uns natürlich daran gehalten. Einen positiven Eindruck vom Oberleitungs-Lkw-Projekt haben wir damit aber nicht bekommen.

Wie geht’s weiter im Erkenntnisbericht? Mit einem „wer hätte es gedacht“:  „Einige Stakeholder im Energie- und Verkehrssektor sind offen für Oberleitungs-Lkw und mit der Technologie zufrieden“ heißt es. Klar, der O-Lkw ist eines der besten Beispiele für nahezu perfekte Lobbyarbeit. In dem Fall von Siemens. Zudem heißt es: „Scania hat eine sehr positive Einstellung gegenüber der Technologie und hat die Fahrzeuge für Feldversuche in Schweden und Deutschland zur Verfügung gestellt. Andere wie Daimler Truck sind kritischer, während die Mehrheit der Lkw-Anbieter unentschlossen ist.“ Sorry, aber das ist eine derartig verdrehte Wahrheit, dass man uns, hätten wir es geschrieben, zu Recht als Lügenpresse bezeichnen dürfte. Stimmt, Scania hat die O-Lkw gebaut. Und eine Menge Geld dafür bekommen – was für einen Lkw-Hersteller nur recht und billig ist. Es ist sein Zweck, Lkw zu produzieren und Geld damit zu verdienen. Und wenn man im konkreten Fall noch jemanden findet, der einem in weiten Teilen die Entwicklung seines zugegeben guten Hybrid-Lkw finanziert (der dann übrigens ohne Stromabnehmer auch an „normale“ Fuhrunternehmen verkauft wird) – Jackpot! Eine Aussage stimmt immerhin: Daimler Trucks ist kritisch. Und geben wir der Wahrheit die Ehre: Die anderen OEMs sind nicht unentschlossen, sondern keiner glaubt an diese dumme Art der Elektrifizierung.

Die Wahrheit über die Förderung der Oberleitungs-Lkw?

Wie der Bericht weiter ausführt, liegt die Skepsis am „allgemeinen Wissensmangel und irreführenden Informationen“. Nein, meine lieben Verfechter des O-Lkw. Wir haben keinen Wissensmangel und wir sind auch nicht falsch informiert. Wir nutzen nur unseren gesunden Menschverstand, frei von finanziellen Zuwendungen einer beeinflussbaren Politik. Ich möchte jetzt auch nicht den Unternehmen auf den Schlips treten, die sich am Feldversuch beteiligt haben – wie gesagt, wir kennen viele Protagonisten lange und haben einen guten Austausch. Aber wenn ich einen 300.000 Euro teuren O-Lkw für die gleiche Leasingrate bekommen hätten wie einen Standard-Lkw, dazu noch das Marketingpotenzial einer grünen Berichterstattung und die Dokumentation einer – vermeintlichen – Vorreiterrolle, ich hätte auch einen genommen.

Aber jetzt ist es an der Zeit uns ehrlich zu machen – und ich spreche jetzt nicht mal von Argumenten wie dem Rettungshubschrauber, der nicht mehr auf der Autobahn landen kann oder dem Schwertransport, der mit über vier Meter Höhe nicht mehr dort fahren kann. Das sind Probleme, die bekäme man sicher in den Griff. Ich lass‘ auch mal die Frage außen vor, für wen wir denn unsere Hauptverkehrsadern unter Strom setzen, denn dann würd’ ich am Ende in eine Ecke gerückt werden, wo ich sicher nicht hingehöre. Aber deutsche Transportunternehmen fahren selten quer durch unser Land – bezahlen aber die Oberleitung mit.

Ich bin der Ansicht, der Feldversuch war gut, weil man Dinge ausprobieren muss. Aber wenn man neutral die Ergebnisse zusammenfasst, können wir das Thema jetzt beerdigen und die Investitionen in Bereich geben, die sinnvoll sind. Wir brauchen keine O-Lkw, nicht alleine und nicht im Platoon. So was haben wir, heißt DB Cargo und muss nur entsprechend ertüchtigt werden! Batterieelektrische Lkw oder eben Hybrid-Trucks zu laden, geht auch einfacher. Auch da sage ich: Keine 17 Milliarden in den Oberleitungsausbau, sondern in den Aufbau von Megawatt-Ladern. Und wenn man schon mit der Idee eines elektrifizierten Verkehrs bzw. der Lademöglichkeit beim Fahren liebäugelt, dann keine Nischenlösung, sondern eine mit der man auch Busse, Transporter und Pkw laden kann – Zauberwort „Induktion“. Kennen übrigens die Meisten vom Smartphone. Klappt perfekt – egal ob Android oder IPhone.

Kombinierter Verkehr als Schlüssel der Verkehrswende

Lassen Sie mich noch einen letzten Aspekt aus dem Erkenntnisbericht anführen: „Viele internationale Akteure warten auf die Entscheidung der deutschen Regierung, da Deutschland als Schlüsselland wahrgenommen wird“, heißt es dort. Ich hoffe wir verlegen diesen Schlüssel! Der richtige Schlüssel ist aus meiner Sicht eine gut funktionierende Güterbahn und batterieelektrische Lkw, die verteilen. Dafür brauchen wir Geld - für Gleisstrecken, Verteil- und Umschlagzentren sowie eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur. Steuergelder mit derart fragwürdigen Projekten wie einem O-Lkw zu vergeuden, ist der falsche Weg. Jetzt muss nur noch jemand konsequent genug sein, die Oberleitung auf der Autobahn zu Grabe zu tragen. Aber der Zeitpunkt ist gut, Stahlschrott bringt aktuell 170 Euro die Tonne.

Und für erboste O-Lkw-Fans: gerhard.gruenig@tecvia.com. Und nein, ich verrate Euch nicht, wo mein Haus wohnt.

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