Mercedes-Benz: Wasserstoff im Härtetest

In Kürze Im wasserstoffbasierten Bennstoffzellen-Antrieb könnte die Zukunft der Fernverkehrs-Lkw liegen. Wie weit die innovative Technik bereits entwickelt ist, zeigte Mercedes-Benz anhand zweier Prototypen auf der anspruchsvollen Brenner-Autobahn von Innsbruck zum Pass. Die (mögliche) Zukunft des Straßengüter-Fernverkehrs - sie summt, zischt und dampft! Weshalb sich der Autor des Artikels beim Nähern an diese Actros-Prototypen dem Vergleich mit einer Dampflok nicht ganz erwehren kann, auch wenn sie mit der mobilen Vergangenheit natürlich absolut nichts gemein haben. Der Vergleich passt allerdings auch optisch, beim Blick hinter die Kabine. Wegen Platzmangel am Rahmen und unter dem Fahrerhaus der 4x2-Sattelzugmaschine müssen die Daimler-Ingenieure hier viel Technik unterbringen. Unzählige Schläuche, Kabel, Schaltschränke und Kühlventilatoren ragen hinten fast über die Höhe der Gigaspace-Großraumkabine hinaus - was für ein wuchtiges Erscheinungsbild sorgt. Flüssig bringt mehr Reichweite Bei den beschriebenen Prototypen handelt es sich um Daimlers GenH2-Trucks, die sich per wasserstoffbasiertem Brennstoffzellen-Antrieb fortbewegen. Eine Antriebsform, der nicht nur Mercedes-Benz viel Potenzial bei der Vision klimaneutraler Transporte zutraut. Welche Fortschritte man bei der neuen Technik mittlerweile gemacht hat, will der Hersteller bei einer Fahrt über die anspruchsvolle Brenner-Autobahn mit voller Ausladung demonstrieren. Bevor wir den 1370 Meter hohen Brennerpass von Innsbruck aus unter die Räder nehmen, widmen wir uns dem einzigen, aber wichtigen Unterschied der zwei Zugmaschinen. Der zeigt sich beim Blick auf die runden Hochdruck-Kryotanks rechts und links am Rahmen eines der Actros. Wenn Ihnen dabei spontan LNG, also verflüssigtes Erdgas, in den Sinn kommt, liegen Sie gar nicht so falsch. Denn das Prinzip ist beim Wasserstoff das Gleiche, nämlich möglichst viel Reichweite zu generieren. Dafür wird das Wasserstoff-Gas auf mindestens minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt, wodurch es sich verflüssigt. In diesem Aggregatzustand weist der Wasserstoff eine deutlich höhere Energiedichte auf. Folglich lässt sich im Tank mehr Energie speichern, sprich die Reichweite deutlich erhöhen. Daimler Truck rechnet für die Serienversion mit knapp 1000 Kilometern, die der GenH2 mit seinen beiden je 40 Kilo fassenden Flüssigwasserstoff-Tanks mit 40 Tonnen Gesamtgewicht ohne Tankstopp rollen kann. Im Vergleich dazu soll der Bruder mit den insgesamt 18 Kilogramm bunkernden H2-Gas-Tanks am Rahmen nur 200 Kilometer schaffen. 70 kWh große Pufferbatterie Davon angesehen ist das weitere Funktionsprinzip identisch. Vereinfacht gesagt wird der Wasserstoff aus den Tanks gedrückt, entsprechend aufgeheizt und mittels eines E-Turboladers auf den passenden Druck gebracht. Die beiden hintereinander unter der Kabine verbauten Brennstoffzellen nutzen den Wasserstoff unter Zuhilfenahme von Sauerstoff für die Stromproduktion. Ein Hochvolt-Zwischenkreis verteilt die erzeugte Energie anschließend weiter. Abhängig davon, wie viel Power die Person hinter dem Lenkrad gerade abfordert, wird der Strom in der nominell 70 kWh großen Pufferbatterie gespeichert oder gleich an die beiden in der Hinterachse integrierten Elektromotoren geleitet. Davon bekommt der Fahrer oder die Fahrerin wenig mit. Auch große Umstellungen im Vergleich zum Diesel-Actros sind kaum nötig. Ein paar Minuten sollte man beim "Kaltstart" aber einplanen, weil die beiden Brennstoffzellen zum Hochfahren etwas Zeit benötigen. Wer nach dem Starten sofort losfährt, muss daher zunächst mit einer reduzierten Power rechnen. Länger als die obligatorische Abfahrtkontrolle wird es bis zur vollen Kraft allerdings nicht dauern, versprechen die Daimler-Ingenieure. Die Idee des geplanten Batterie-Knopfes im Cockpit erachten wir dennoch als praxisgerecht. Mit dem ließe sich der H2 für kurze Rangiermanöver auf Batterie fahren - ohne, dass die Brennstoffzellen erst hochfahren müssten. Dampf-Fahne als Erkennungszeichen Für unseren Trip brennerwärts warten wir natürlich, bis alle Systeme die volle Leistung liefern. Dann, wie beim Verbrenner, wird per Dreh am rechten Lenkstock-Hebel die Fahrtrichtung vorgegeben, und nach dem Tritt aufs Gaspedal setzt sich der H2 kommod in Bewegung, wie es für elektrische Fahrzeuge typisch ist. Permanent leise im Hintergrund hörbar bleibt allerdings das Geräusch des erwähnten E-Turbos. Wird Leistung abgefordert, schalten sich außerdem die elektrischen Lüfter temporär zu, um die Technik temperaturmäßig bei Laune zu halten. Insgesamt ist der H2 aber äußerst leise unterwegs und vermittelt eher das Gefühl, über die Autobahn zu schweben, anstatt zu fahren. Kaum zu bemerken ist bei knapp 32 km/h ebenfalls der einzige Fahrstufenwechsel in den zweiten Gang. Deutliches Erkennungszeichen ist dagegen die weiße Rauchfahne, die der Wasserstoff-Mercedes permanent hinter sich her zieht - was bei unseren Testfahrten auf nicht wenige Verkehrsteilnehmer irritierend wirkte. Das sieht zwar merkwürdig aus, ist aber völlig ungefährlich, denn das Einzige, was der GenH2 ausstößt, ist Wasserdampf. Überdenken sollten die Ingenieure aber noch mal die Position des "Auspuffs" oben hinter dem Fahrerhaus. Die hat nämlich zur Folge, dass man auf dem Bild der linken Mirrorcam mitunter nichts weiter sieht als weißen Rauch. Bis zur Serie will Daimler das Thema Dampfentwicklung aber sowieso noch mal verbessern. Über jede Kritik erhaben ist die Kraftentfaltung. Zwei mal 330 kW könnten die Brennstoffzellen in die Waagschale werfen. Mercedes-Benz limitiert die Power in den Prototypen aktuell zwar auf insgesamt 580 kW, die genügen aber ebenfalls völlig, um auch ausgeladen mit 40 Tonnen im Brenner-Überholverbot auf vorausfahrende Diesel-Kollegen aufzulaufen. Letztere sind zugleich in Sachen Drehmoment klar geschlagen: Mercedes-Benz spricht von mehr als 4000 Newtonmetern im Peak! Den dafür nötigen Strom zieht das System an den steileren Stichen der Brenner-Autobahn aus der Pufferbatterie; deren aktueller Füllstand lässt sich im rechten Bildschirm des digitalen Actros-Cockpits abrufen. Immerhin zwölf Prozent sind noch übrig, als der Brennersee in Sichtweite rückt und wir das Wendemanöver zurück nach Innsbruck einleiten. Rekuperation plus Retarder Ab hier geht es die meiste Zeit bergab, weshalb das Antriebssystem folglich auf Energie-Rückgewinnung schaltet. Dafür gehen die Brennstoffzellen in ihren Mindest-modus von knapp 20 Kilowatt, während die Elektromotoren zu Generatoren mutieren, um die entstehende Roll- und Bremsenergie zur Stromerzeugung zu nutzen. Das füllt einerseits die Pufferbatterie wieder und hilft gleichzeitig das Tempo bergab verschleißfrei im Zaum zu halten. An anspruchsvollen Gefällen muss trotzdem der hydraulische Retarder eingreifen, den der GenH2 zusätzlich an Bord hat. Auch hier sind die Ingenieure aktuell noch emsig bei der Arbeit, denn in der Serie soll die Rekuperation intelligent gesteuert erfolgen, sprich über die Daten des GPS-Tempomaten stets zum energetisch besten Zeitpunkt. Doch auch so meldet der Akkufüllstand zurück in Innsbruck wieder 80 Prozent Kapazität. Abschließend ein paar Worte zum ungewöhnlich kurzen Spezial-Curtainsider von Fliegl, den beide Prototypen zogen. Der ist nötig, weil der GenH2 mit einem Standard-Trailer die geltenden Längenmaße sprengen würde. Die spätere Serienversion soll aber alle nötigen Forderungen des Gesetzgebers erfüllen, damit die längere Zugmaschine legal alle Trailer-Typen schultern darf. Bis dahin werden aber noch viele Diesel-Lkw den Brenner rauf und runter rollen, denn der GenH2 soll frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in den Daimler-Verkaufslisten zu finden sein.

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