Umstrittener Rabatt

Ausländische Lkw-Fahrer bekommen hohe Rabatte auf ihre Bußgelder. Bis zu 50 Prozent. Das geht aus einer Liste des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) hervor, die der Verband Camion Pro veröffentlicht und an die VerkehrsRundschau (VR) weitergeleitet hat. Für viele klingt das auf den ersten Blick nach dem Wilden Westen, wo der Sheriff willkürlich entscheidet, wie der Verbrecher bestraft wird, und so gar nicht nach dem Rechtsstaat Deutschland. Empörung in der Öffentlichkeit Da der Verband Camion Pro über dieses Verfahren der BAG-Kontrolleure mit Politikern, Gewerkschafts- und Verbandsvertretern und Unternehmern auf einer Pressekonferenz im Internet diskutierte, schlugen die Wellen hoch in den sozialen Medien. Auch in einigen Fachmedien fanden die Liste und die Debatte prominenten Widerhall. Doch was steckt wirklich dahinter? Werden ausländische Fahrer einseitig bevorzugt und womöglich Recht und Ordnung missachtet? Macht hier eine Behörde ihr eigenes Ding? Zulasten nicht nur der deutschen Fahrer, sondern womöglich auch zulasten der deutschen Unternehmen? Denn aus dem Verband Camion Pro wurde zudem der Verdacht geäußert, nicht nur ausländischen Fahrern, sondern auch ausländischen Unternehmen würden bei Bußgeldern oder Strafen Nachlässe gewährt. Belege konnte der Verband für diese Behauptung allerdings nicht vorweisen. Im Nachhinein stellt sich jedoch raus, dass hier einiges aufgebauscht wurde. Zu den Fakten: Ja, es gibt diese Liste, wobei die vom 1. Februar 2017 datiert. Auf dieser Liste sind über 180 Staaten notiert. Daneben jeweils eine Spalte mit 25 und 50 Prozent, die Höhe der Abschlagssumme. Bei den meisten Staaten steht in beiden Spalten ein "N" für nein, weil Fahrer beispielsweise aus Asien oder Südamerika hier nicht anzutreffen sind. Von Bedeutung sind ausschließlich Fahrer aus ost- und südosteuropäischen Ländern. Dort findet sich ein "J" für ja bei fast allen Ländern. Bei Kroatien, Polen, Ungarn, Slowakei, der Tschechischen Republik und der Türkei beispielswiese in der Spalte 25 Prozent. Bei Bulgarien, Rumänien, den baltischen Staaten oder Russland befindet sich das "J" bei 50 Prozent. Das BAG hat auf die Pressekonferenz von Camion Pro reagiert. In einer Mitteilung stellt die Behörde klar, dass sich die Kontrolleure an die Bußgeldrichtsätze halten, die sich in den bundeseinheitlichen Buß- und Verwarnungsgeldkatalogen finden. Diese Bußgeldrichtsätze wiederum orientieren sich an den durchschnittlichen Einkommensverhältnissen eines Beschäftigten in Deutschland. "Sie gehen also vom allgemeinen Lohnniveau in Deutschland aus", heißt es in der Mitteilung. Wenn es jetzt um die Bußgeldhöhe geht, dann müssen die Kontrolleure drei Aspekte berücksichtigen: die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, den Grad der Verantwortlichkeit der betroffenen Person sowie insbesondere auch deren wirtschaftliche Verhältnisse. Für Fahrer, die nicht in Deutschland wohnhaft sind und die bei Unternehmen angestellt sind, die ihren Sitz nicht in Deutschland haben, geht das BAG davon aus, dass sie ein Einkommen beziehen, das im Regelfall deutlich unter dem in Deutschland üblichen Lohnniveau liegt. "Nach ständiger Rechtsprechung muss das BAG daher darauf achten, dass das festzusetzende Bußgeld verhältnismäßig zu den Einkommensverhältnissen des Betroffenen ist und ihn nicht über Gebühr belastet", teilt die Behörde mit und begründet somit die Rabatte. Kein Rabatt für Unternehmer Eines stellte die Behörde im Übrigen klar: Für Unternehmer kommt keine unterschiedliche Höhe der Bußgelder in Betracht. Nun wurde auf der Pressekonferenz angemerkt, dass über Spesen und Zuschläge die Gehälter der in Osteuropa beschäftigten Fahrer durchaus beachtliche Höhen erreichen können. Konkrete Zahlen wurden allerdings nicht genannt. Womöglich verfügt auch das BAG nicht über solche Daten und hat daher die Liste angefertigt. "Auch wenn wir überrascht sind, dass es so eine Liste gibt, so ist es doch positiv, dass diese Abschläge nicht vollkommen willkürlich erteilt werden", sagte Martin Bulheller, Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), der Verkehrs-Rundschau. Allerdings vertritt er die Ansicht, dass die Höhe der Abschläge diskussionswürdig, da zu pauschal ist. Bulheller gibt zu bedenken, dass die Abschläge erst ab einem Bußgeld von über 250 Euro zur Geltung kommen und dann auch nur für den Betrag über 250 Euro. Wenn also 450 Euro Bußgeld verhängt werden, müsste ein Ungar 400 Euro zahlen und ein Fahrer aus Litauen für die gleiche Tat 350 Euro. Doch wie lässt sich das Problem lösen, wenn auch weiterhin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bußgeldempfängers berücksichtigt werden muss? "Das ist unheimlich schwer", gestand Bulheller zu. "Das BAG handelt nach Gesetz. Aber die Abschlagshöhen sind zu hinterfragen. Eine neue Lösung sollte auf jeden Fall näher an der Praxis sein", forderte Bulheller und machte denjenigen Hoffnung, die sich benachteiligt fühlen: "Der BGL ist in Kontakt mit dem BMVI und dem BAG, um eine Verbesserung herbeizuführen. Aber das wird wohl noch etwas dauern." Rabatte häufig gar nicht gewährt Die VR hatte das BAG mit verschiedenen Fragen zur Bestimmung des Bußgeldes konfrontiert. Eine ganz zentrale Frage: Wie häufig wird ein Bußgeld erhoben, das über 250 Euro liegt? Das BAG gab dazu keine konkrete Zahl bekannt, teilte aber mit: "Der ganz überwiegende Anteil der Bußgelder, die gegenüber Fahrern festgesetzt werden, liegt unterhalb von 250 Euro." Was auch immer "überwiegend" heißt: Die Rabattierung dürfte in deutlich mehr als 50 Prozent der Ahndungen gegenüber Fahrern nicht zur Anwendung kommen. Auch wenn es sicher Verbesserungsbedarf in der Ahndungspraxis seitens des BAG gibt und die Verwunderung im Gewerbe nachvollziehbar ist: Der große Skandal, wie in der Öffentlichkeit vielfach suggeriert wurde, ist die Rabattliste nicht - zumindest nicht, was das Ausmaß betrifft (siehe auch Editorial Seite 3). Mehr zum Thema finden Sie unter #BAG www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Aus einer Liste geht hervor, dass das BAG Fahrern aus Osteuropa einen zum Teil hohen Rabatt bei den Bußgeldern gewährt. Es mag überraschen, aber damit handelt das BAG nach Gesetz und Ordnung. Trotzdem kommen aus dem Gewerbe Forderungen, dass sich an der Ahndungspraxis etwas ändern muss.

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