Zäsur bei Ansorge

In Kürze Seit 1993 war Wolfgang Thoma geschäftsführender Gesellschafter von Ansorge Logistik in Biessenhofen, das unter seiner Ägide erfolgreich zum Speditions- und Logistikunternehmen umgebaut wurde. Zum Jahresende hört Thoma auf. Sein Nachfolger wird Benedikt Roßmann, Enkel des Firmengründers Erhard Ansorge. Am 31. Dezember 2023 endet bei Ansorge Logistik in Biessenhofen eine Ära. Nach 38 Jahren Betriebszugehörigkeit hört Wolfgang Thoma als geschäftsführender Gesellschafter auf. Dann wird Benedikt Roßmann mit 36 Jahren alleiniger Chef des Ostallgäuer Logistikunternehmens, das sein Großvater Erhard Ansorge 1961 in Kaufbeuren/Germaringen gegründet hat (siehe S. 19). Vorbereitet darauf sieht sich Roßmann, auch wenn "die Fußstapfen groß sind", sagt er im Gespräch mit der VerkehrsRundschau (siehe S. 20). Immerhin kennt der studierte Betriebswirt das Geschäft von der Pike auf - zum einen von seinem Großvater selbst, zum andern und vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit Thoma seit fünf Jahren, von dem er viel gelernt hat. Oder um es mit den Worten von Thoma zu sagen: "Die Erfahrung des Alters, gepaart mit der Dynamik der Jugend - wenn man das vernünftig vereint, funktioniert das eben." Zukunftsfähige Weichenstellung Dass das Ganze dennoch eine Zäsur für Ansorge wird, lässt sich schnell erahnen, wenn man das Betriebsgelände der Spedition an ihrem Hauptsitz in Biessen-hofen betritt: 135.000 Quadratmeter ist es groß, 35.000 Quadratmeter Fläche davon umfassen die Lager- und Logistikhallen, mehr als 180 Mitarbeiter arbeiten hier. Und überall leuchten rote Ansorge-Lkw. Über 150 Lkw und 400 Auflieger (alle kranbar für den Kombinierten Verkehr (KV)Straße-Schiene) verfügt das Unternehmen, die in Deutschland und Italien unterwegs sind - vor allem für die Kundensegmente Konsumgüter, Maschinenbau, Stahl und Papier. "Wir sind sehr gut aufgestellt und haben im Markt ein sehr gutes Standing. Unsere Voraussetzungen sind also so gut", ist sich Thoma sicher, "dass ein Nachfolger das Unternehmen weiter erfolgreich führen kann." Das war beileibe nicht immer so. Als Wolfgang Thoma Mitte der 1980er-Jahre als studierter Jurist bei Erhard Ansorge startete, war das Unternehmen noch klassischer Transportbetrieb - mit rund 60 eigenen Fahrzeugen. Und an die Spitzen lokaler Spediteure kann er sich noch gut erinnern. Naserümpfend hätten sie ihm da zu Beginn seiner Karriere zugeraunt: "Bist ja nur ein Transporteur." Ein Seitenhieb, den er nie vergessen hat. "Andererseits war das für mich immer Ansporn und Triebfeder, das Unternehmen permanent nach vorne zu entwickeln." Vielleicht auch deshalb steht Ansorge heute "pumperlgsund" da, wie Thoma es selbst formuliert. Zahlen, Daten, Fakten Das Speditions- und Logistik-unternehmen Ansorge Logistik mit Hauptsitz in Biessenhofen/Ostallgäu wurde 1961 von Erhard Ansorge gegründet. Mittlerweile beschäftigt der Betrieb nach eigenen Angaben insgesamt rund 500 Mitarbeiter an fünf Standorten: Biessenhofen, Neuss, Singen, Limbach-Oberfrohna und Dubino, Italien. Ansorge verfügt über 150 Lkw und 400 Auflieger. Zum Umsatz macht der Betrieb traditionell keine Angaben. Der Mittelständler ist insbesondere in den Kundensegmenten Konsumgüter, Maschinenbau, Stahl und Papier aktiv. Ende dieses Jahres hört der langjährige Geschäftsführer Wolfgang Thoma nach insgesamt 38 Jahren Betriebszugehörigkeit bei Ansorge auf. Alleiniger geschäftsführender Gesellschafter wird dann Benedikt Roßmann, der Enkel von Gründer Erhard Ansorge. Im Windschatten mitwachsen Erster wichtiger Meilenstein war hier der Weg in die Logistik. Denn spätestens 1993, als mit der Liberalisierung des Güterkraftverkehrs-Marktes der Berufszugang im Transportgewerbe geöffnet wurde und dort die Tarifpflicht fiel, stand für Thoma fest: "Nur auf dem Standbein Transport zu stehen, war riskant. Auf zwei Beinen steht es sich besser. Unser Geschäftsfeld musste also breiter werden - am liebsten in der Logistik und am liebsten zusammen mit Großkunden, um in deren Windschatten als Dienstleister mitwachsen zu können." Wachsen um jeden Preis sei aber nie sein Anspruch gewesen, betont der Geschäftsführer. "Umsatz ist etwas fürs Auge. Ertrag ist etwas für den Verstand. Ich bin Verstandesmensch und wollte Geld verdienen." Deshalb sei der Umbau von Ansorge, die Entwicklung weg vom reinen Transport- hin zum Logistikunternehmen immer von einer gewissen konservativen Vorsicht getragen gewesen, aber auch von Dynamik für die Zukunft. Thomas Leitlinie dabei: "Wir haben immer mit Augenmaß investiert." Innovative Logistik Als Quantensprung für Ansorge bezeichnet Thoma die Zusammenarbeit mit einem großen Nahrungsmittelkonzern - ein Coup, der ihm mit 38 Jahren gelang und ihn seinem Ziel, in der Logistik zu wachsen, deutlich näher brachte. Als kleinerer Mittelständler durfte Ansorge damals 1994 für den Kunden ein vollautomatisches Hochregal-Lager errichten mit entsprechenden Mehrwertdiensten wie Kommissionierung, Konfektionierung und Retouren-Bearbeitung inklusive Shuttle-Service von der Produktion ins Logistikzentrum. "Das war ein Geschäft, das damals nur Konzernlogistikern vorbehalten war", erzählt Thoma sichtlich stolz. "Und für uns war dies der Einstieg in die Filigran-Logistik. Damit waren wir in der Szene der innovativen Logistik unterwegs." Die Zusammenarbeit mit dem Kunden besteht im Übrigen nach wie vor - seit nunmehr über 40 Jahren. Positiver Nebeneffekt der Kooperation mit Konzernkunden war auch, dass weitere große Unternehmen auf Ansorge aufmerksam wurden. So zählen heute einige namhafte internationale Firmen zum Kundenportfolio des Allgäuer Betriebs. Was Thoma vor allem freut: "Die Zusammenarbeit mit anspruchsvollen Kunden hat uns als Unternehmen weitergebracht." Das sei für ihn ein ganz wesentlicher Punkt. Denn als Dienstleister könne man sich immer nur durch bessere Qualität und eine vernünftige Kosten-Kalkulation von anderen im Wettbewerb erfolgreich abheben. "Mein Anspruch war es, dass wir immer einen Schritt voraus sind." Auch deshalb habe Ansorge immer wieder in den vergangenen Jahren innovative und nachhaltige Transport-, Logistik- und Gebäudetechnologien vorangetrieben. "Wir leisten in etlichen Bereichen Pionierarbeit und sehen uns dort durchaus als Innovationsführer." "Ich will das Unternehmen weiter voranbringen, dort etwas schaffen" Ab Januar sind Sie alleiniger Chef der Spedition Ansorge. Wie fühlt sich das für Sie an? Die Fußstapfen sind natürlich groß (lacht). Trotzdem empfinde ich viel Vorfreude. Ich will das Unternehmen weiter voranbringen, dort etwas schaffen. Aber ich blicke auch mit Demut und Respekt auf diese Aufgabe. Wir beschäftigen viele Mitarbeiter und haben anspruchsvolle Kunden. Das ist eine Verantwortung, der ich gerecht werden will. Sie haben fünf Jahre mit Wolfgang Thoma zusammengearbeitet, um sich auf Ihre Aufgabe als künftiger Unternehmenschef vorzubereiten. Was waren da Ihre wichtigsten "Lessons Learned"? Fünf Jahre sind ein guter Zeitraum, weil ich dadurch das Unternehmen in konjunkturellen Hochphasen, aber auch in schwierigeren Phasen erleben konnte. Und für mich war es sehr hilfreich zu sehen, wie mein Vorgänger auch mit Krisen umgeht. Konjunkturell gute Zeiten managt man anders als Zeiten, die von großer Unsicherheit geprägt sind - oder aber Situationen, in denen man sehr schnell reagieren muss, wie etwa während Corona oder zu Beginn des Kriegs in der Ukraine. Da habe ich von Wolfgang Thoma viel gelernt, vor allem in solchen Zeiten Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren - auch einmal eine schwierigere Zeit einfach auszuhalten. Sprich: Man muss nicht immer das Segel komplett einholen, nur weil ein starker Wind aufkommt. Manchmal reicht es schon, das Segel zu reffen. Alternative Antriebe Um nur zwei Beispiele zu nennen: Am 10. Februar 2012 startete Ansorge als erstes Unternehmen deutschlandweit mit zwei Lang-Lkw den fünfjährigen Feldversuch. "Wir haben damit gezeigt, dass der Lang-Lkw sehr wohl im Vorlauf zur Schiene eingesetzt werden kann. Schiene und Lang-Lkw lassen sich sehr gut verbinden", freut sich Thoma. Ein Herzensanliegen für ihn - immerhin setzt Ansorge schon seit Mitte der 1980er-Jahre auf den Kombinierten Verkehr Straße-Schiene. Ein anderes Beispiel ist das Thema Alternative Antriebe, mit dem sich Thoma seit 2015 befasst. Weil es damals keine passende Lösung gab, baute er zusammen mit Sensor-Technik Wiedemann und Toni Maurer die erste vollelektrische Sattelzugmaschine "Elias" für den Einsatz im KV und kurze Shuttle-Verkehre mit einer Reichweite von 200 Kilometern. Diese Lösung präsentierte er auf der IAA 2018 - auch hier leistete Thoma ein gutes Stück Pionierarbeit. Mittlerweile setzt Ansorge neun eigene E-Lkw des Modells Volvo FH ein. Und es sollten eigentlich noch deutlich mehr werden. Doch seitdem das Bundesverfassungsgericht Mitte November der Bundesregierung per Gerichtsentscheid Gelder für den Klima- und Transformationsfonds gestrichen hat, ist auch die Zukunft des Förderprogramms KsNI unklar. Als mittelfristiges Ziel waren bei Ansorge 20 E-Lkw bis zum Jahr 2025 geplant. Ob sich dies jetzt umsetzen lässt, ist aktuell völlig unklar. Bis 2030, so das erklärte Ziel der beiden Geschäftsführer, soll der CO2-Ausstoß der Spedition halbiert werden. "Ohne die 80 Prozent Förderung durch das Förderprogramm KsNI ist die Anschaffung von E-Lkw für Transportunternehmen allerdings nicht leistbar", räumt Thoma unumwunden ein. "Der E-Lkw kostet nun einmal im Vergleich zu konventionellen Diesel-Lkw drei- bis dreieinhalb Mal mehr. Diese Mehrkosten ist auch kein Kunde bereit zu tragen. Andererseits haben wir uns beim Thema Elektromobilität einen großen Vorsprung erarbeitet, weil wir uns schon seit Jahren damit beschäftigen", betont Benedikt Roßmann. "Wir wissen, welche Routen wir fahren können, wir kennen die optimalen Ladezyklen. Und diese Erfahrung können wir in Kundenprojekten jetzt einbringen." Zumal es bei jeder Innovation Lernkurven gebe. "Wir haben diese hinter uns, die waren auch durchaus steinig. Viele andere fangen bei der E-Mobilität dagegen jetzt bei null an." Herzensthema Energie-Autarkie Bei so vielen Ideen und nicht nachlassender Gestaltungsfreude drängt sich die Frage auf: Wird Thoma wirklich loslassen können, wenn zum Jahreswechsel offiziell seine Zeit als Geschäftsführer bei Ansorge endet? "Natürlich war ich hier lange Zeit der große Stratege. Aber irgendwann muss auch ich das Steuer übergeben", sagt er dazu. Ohnehin sei es für ihn immer ein wichtiges Ziel gewesen, ein erfolgreiches und solides Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben. "Dieses Ziel habe ich erreicht und darauf bin ich stolz." Gleichwohl weiß Thoma auch: "Für mich wird es mit Sicherheit eine Zäsur, wenn ich bei Ansorge aufhöre. Ich habe ja auch sehr viel Herzblut in das Unternehmen gesteckt." So gesehen werde er gerne weiter seine Erfahrung einbringen, wenn er danach gefragt wird. An zukunftsgerichteten Einfällen mangelt es dem Noch-Geschäftsführer zumindest nicht. Jüngstes Herzensthema, das er für sich entdeckt hat, ist die Energie-Autarkie. So habe Ansorge laut Thoma schon vor zwölf Jahren an seinem Standort in Biessenhofen in die erste Photovoltaik-Anlage investiert, die jährlich eine Million Kilowattstunden produziert. Und da sich die Stromspeicher-Möglichkeiten stetig weiterentwickeln und die Zusammenarbeit mit dem lokalen Stromanbieter sehr gut funktioniert, ist er sich sicher: "Schon in ein, zwei Jahren wird Ansorge über so viel eigenproduzierten Strom verfügen, dass wir mit unserer PV-Anlage und unseren sechs eigenen Ladestationen zehn bis 20 E-Lkw für unsere Shuttle-Verkehre im Umkreis von150 Kilometer versorgen können." Gänzlich ohne zusätzliche Versorgung aus dem öffentlichen Stromnetz werde es zwar wohl nie gehen. "Eine möglichst hohe Energie-Autarkie ist für uns dennoch ein wichtiges strategisches Ziel." Eine weitere Innovation, an der Ansorge arbeitet, ist das Thema Autonome Hubs. Etwas, das sich Roßmann als erklärter Digitalisierungs-Fan auf die Fahne geschrieben hat. So untersuchte er mit Porsche Consulting vor einem Jahr in einer Gemeinschaftsstudie die betriebswirtschaftlichen Potenziale autonomer Hubs - auch und gerade vor dem Hintergrund des Fahrermangels (Mehr dazu auch in der VR-Ausgabe 23/2023 - Who is Who Logistik 2024). "Wir sind aktuell mit verschiedenen Anbietern von autonomen Lkw-Konzepten im Gespräch, um Möglichkeiten für Pilotprojekte zu definieren. Ähnlich wie bei der E-Mobilität wollen wir auch beim Thema Autonome Lkw früh Erfahrungen auf der Lernkurve sammeln, um dann voll durchzustarten, wenn die Technologie marktreif ist", so Roßmann. Wachstum in der Nische Und welche Pläne hat Ansorge mittelfristig? Welche Ziele hat sich Roßmann als künftiger alleiniger Geschäftsführer gesetzt? "Mein Ziel ist ein gesundes organisches Wachstum in der Nische, in der wir uns etabliert haben. Und das ist nun mal das logistische Handling von hochwertigen und anspruchsvollen Gütern", erklärt er. "Das werden wir weiter ausbauen, auch durch das Angebot neuer logistischer Mehrwert-Dienste - insbesondere für die Konsumgüterbranche, aber auch für Industriekunden. In diesen Bereichen wollen wir weiter wachsen." Strategisches Ziel sei es, Qualitätsführer in bestimmten Feldern zu sein. Entsprechend werde Ansorge weiterhin in eigene Logistik-Immobilien investieren, kündigt Roßmann an. "Unser Ansatz ist es aber nicht, uns in spekulative Investitionen zu stürzen, sondern gezielt unternehmerische Risiken einzugehen, die wir kontrollieren können", formuliert er es. Konkret geplant sei das zum Beispiel am Standort Neuss, aber auch anderen Standorten. "Das Geschäftsfeld Logistik wird also bei uns deutlich an Bedeutung gewinnen."40 Prozent Umsatzanteil macht dieses Geschäft derzeit aus, mittelfristig sollen es über 50 Prozent sein. Und was ist für Roßmann im kommenden Jahr das wichtigste Projekt? "Ganz klar die Mitarbeitergewinnung und -bindung. Beides wird in Zukunft deutlich mehr Raum in meiner Arbeit einnehmen."

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