Weggespült

Mindestens 182 Tote, Schäden in Milliardenhöhe und etliche zerstörte Existenzen - die Flutkatastrophe, die Mitte Juli vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gewütet hat, hat in ganz Deutschland für Bestürzung gesorgt. Viele Menschen in den Hochwassergebieten haben alles verloren. "Wir gehen von versicherten Schäden zwischen 4,5 Milliarden und 5,5 Milliarden Euro aus", sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen. Rund 40.000 Kraftfahrzeuge seien insgesamt durch die Fluten beschädigt oder zerstört worden. Der Schaden bei Kfz-Versicherern betrage rund 200 Millionen Euro, bei Transportversicherern 100 Millionen. Wie die Deutsche Bahn (DB) mitteilte, haben Hang- und Dammrutsche, aber auch Gleisunter- und -überspülungen zu massiven Zerstörungen an der Schieneninfrastruktur geführt. Betroffen seien 600 Kilometer Schiene, 180 Bahnübergänge, knapp 40 Stellwerke, mehr als 1000 Oberleitungs- und Signalmasten und über 50 Brücken. "In dieser Dimension wurde unsere Infrastruktur noch nie auf einen Schlag zerstört", stellte DB Netz-Vorstand Volker Hentschel fest. Die DB schätzt die Schadenssumme nach erstem Augenschein auf rund 1,3 Milliarden Euro. Ziel sei es, 80 Prozent der beschädigten Infrastruktur bis Jahresende wieder auf Vordermann zu bringen, so Hentschel. Allerdings müssten einige Strecken fast komplett erneuert werden, dort könne die Instandsetzung Jahre dauern. Besonders betroffen sei dabei das Ahrtal, die Eifel, das Siegerland und der Bereich rund um Hagen. Umwege und Umsatzverluste Auch auf der Straße sind die Einschränkungen infolge der Fluten weiterhin groß. So bleiben die stark beschädigten Autobahnen A 61 und A 1 bis auf Weiteres wohl gesperrt. Das trifft unter anderem die Spedition Rüttgers Transporte aus Solingen. "Unsere Fahrer müssen aktuell teilweise Umwege von bis zu 50 Kilometern in Kauf nehmen", berichtet Geschäftsführer Dirk Rüttgers. Sein Unternehmen mit 18 Mitarbeitern ist spezialisiert auf Getränke- und Leergutlogistik. Infolge der Flutkatastrophe gab es einen Umsatzverlust von rund 100.000 Euro bis Ende Juli. Einer seiner Verlader sei wohl bis zu drei Monate nicht in der Lage, sein Mineralwasser abzufüllen, da dessen komplette Abfüllanlage durch das Hochwasser zerstört wurde. Und das, wo es nach pandemiebedingt abgesagten Veranstaltungen und geschlossener Gastronomie nun endlich wieder aufwärtszugehen schien. Noch schlimmer getroffen hat es die Spedition Torwesten aus Essen. In der Nacht von 14. auf den 15. Juli war der Deilbach, der unterirdisch unter dem Betriebshof des Tankbierspezialisten verläuft, so sehr angeschwollen, dass sich der darüberliegende Asphalt und die Bepflasterung anhoben und sich ein 20 mal 30 Meter großes Loch auftat. Eine Zugmaschine inklusive Tank-Auflieger, die an der Stelle parkte, rutschte in das Loch und verschwand bis zum Dach im Wasser. Der Fahrer hielt sich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise nicht im Führerhaus auf. "Das gesamte Speditionsgelände war zeitweise wegen Einsturzgefahr gesperrt", berichtet Geschäftsführer Dirk Torwesten. Inzwischen ist der Lkw geborgen, die Sperre wieder aufgehoben und die Bundeswehr hat eine Übergangsbrücke über den Kanal errichtet. "Allerdings sind wir nach wie vor stark eingeschränkt, weil uns dadurch etwa 40 Prozent unseres Geländes fehlen", sagt Torwesten. Acht von rund 2000 Mitgliedsunternehmen des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen seien von der Flutkatastrophe besonders schwer getroffen worden, berichtet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Marcus Hover. Das größte Problem vieler Speditions- und Transportunternehmen vor Ort sei vor allem die teilweise vollkommen zerstörte Infrastruktur. "Insgesamt hat die Branche aber noch mal Glück gehabt." "Herzerwärmend" findet er die große Hilfsbereitschaft, die derzeit herrsche (siehe Beispiel dazu im Kasten oben). Ihn erreichen zahlreiche Angebote von Menschen, die Flutopfer unterstützen wollen. "So schlimm die Situation für alle Betroffenen ist, so schön ist es auch, Momente völliger Selbstlosigkeit zu sehen", sagt Hover. Mehr zum Thema unter #Naturkatastrophen www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze In den Hochwassergebieten im Westen Deutschlands steht teilweise kein Stein mehr auf dem anderen. Von den massiven Schäden an Straße und Schiene sind auch örtliche Speditions- und Transportunternehmen betroffen. Positiv: Viele, die es nicht so hart erwischt hat, zeigen große Hilfsbereitschaft. "Planvolles Vorgehen ist wichtig" Steffen Gebhart ist Lkw-Fahrlehrer aus Neustadt an der Weinstraße (Pfalz) und besitzt vier eigene Lkw. Als der 41-Jährige von den Folgen der Flutkatastrophe hört, zögert er nicht lange:"Ursprünglich wollte ich einen meiner beiden 7,5-Tonnen-Lkw meiner Heimatstadt Neustadt zur Verfügung stellen, falls zusätzliche Transportkapazitäten gebraucht würden. Nachdem die Stadt mein Angebot leider nicht angenommen hat, habe ich die Hilfskonvois in die betroffenen Gebiete im Landkreis Ahrweiler selbst durchgeführt. Unterstützung hatte ich dabei von Nachbarn, Freunden, Bekannten, dem roten Kreuz Neustadt und Andernach, der Feuerwehr Remagen sowie ehemaligen und auch aktiven Fahrschülern. Alle meine vier Lkw plus zwei zusätzliche aus meinem Netzwerk waren im Einsatz. Bisher sind wir von 18. Juli bis 25. Juli insgesamt sechs Touren gefahren und haben die Menschen vor Ort mit haltbaren und auch speziell glutenfreien Lebensmitteln, Trinkwasser und IBC-Containern zur Wasserbevorratung versorgt. Die Reaktionen der Flutopfer, als wir mit den Hilfsgütern ankamen, haben mich sehr gerührt. Wichtig war mir bei den Aktionen ein planvolles Vorgehen - wir haben vor jeder Tour die Spenden aus unseren Sammeltouren vorsortiert und mit den Verantwortlichen vor Ort abgestimmt, was gebraucht wird und wie wir verfahren sollen. Die Kommunikation mit dem Roten Kreuz Andernach und der Kreisverwaltung in Ahrweiler hat dabei sehr gut funktioniert. Was schade ist: Einige Menschen haben die Chance genutzt, Dinge loszuwerden, die sie nicht mehr brauchen - es kostet viel Platz und Zeit, um so etwas wieder auszusortieren." sn

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