Volvo kündigt H2-Verbrenner an

Man hatte das Gefühl, der Weg für emissionsfreie Lkw-Antriebe sei weitgehend vorgezeichnet: Elektro-Lkw würden in den nächsten Jahren peu à peu den Markt erobern und irgendwann, kämen dann die Lkw mit Brennstoffzellenantrieben, mit denen kleine Nischen bedient werden, die nicht mit reiner Batterietechnologie abdeckbar sind. Dass im Hintergrund auch an anderen Technologien, wie dem H2-Verbrenner, geforscht wird, war klar. Dass aber gleich zwei Hersteller binnen weniger Wochen ankündigen, diese Fahrzeuge tatsächlich auch auf den Markt bringen zu wollen, ist schon eher ungewöhnlich. So ist es aber passiert: Anfang April kündigte MAN noch für dieses Jahr eine Kleinserie mit H2-Verbrennern an; Volvo Trucks zog Ende Mai mit der Ankündigung nach, man wolle 2026 in die Kundenerprobung starten und Ende des Jahrzehnts den offiziellen Marktstart einläuten. Alle Antriebe benötigt Warum investieren Hersteller, die sich eigentlich auf elektrische Antriebe fokussieren, plötzlich in eine neue Form des Verbrennungsmotors? Diese Frage beantwortet unter anderem Jan Hjelmgren, der bei Volvo Trucks den Bereich Produktmanagement und Qualität leitet: "Wir denken, es wäre schade, eine Technologie zu verbieten, es ist viel besser, Emissionen zu verbieten. Wir haben extrem ehrgeizige Ziele und diese werden wir nur dann erreichen, wenn es künftig umweltfreundliche Verbrennungsmotoren gibt." Obwohl in Europa bereits einige Stimmen das Verbrenner-Aus auch für Lkw fordern, erkennt Hjelmgren kein Risiko in der Entwicklung: "Ich glaube, es wäre riskant, nicht in dieses Segment zu investieren. Wir können nicht genau vorhersehen, was die Politik entscheiden wird", so der Volvo-Vertreter. Die Schweden planen, ab 2026 in die Kundenerprobung zu starten. Das Konzept des H2-Verbrenners hat man bei DAF schon lange auf dem Schirm. Die Niederländer hatten vor einigen Jahren schon begonnen, einen CNG-Motor auf H2-Antrieb umzustellen. In den kommenden Jahren, so ließ es ein Sprecher von DAF verlauten, wolle man den Lkw auf den Markt bringen. Man sehe in dem Konzept eine vielversprechende Technologie für den Fernverkehr sowie für hochgewichtige Transporte. Zustimmung zum H2-Verbrenner-Konzept gibt es inzwischen von fast allen Herstellern: Daimler-Truck hatte noch vor neun Monaten in einer VR-Umfrage zu künftigen Wasserstoff-Antrieben nur die Brennstoffzelle erwähnt. Heute klingt das Statement, das ein Unternehmenssprecher jetzt auf Anfrage abgegeben hat, etwas anders. Erste Ergebnisse aus den Vorentwicklungen mit einem Unimog-Prototypen hätten gezeigt, "dass der Wasserstoff-Verbrennungsmotor durchaus eine sinnvolle, komplementäre Lösung für die Dekarbonisierung des Antriebsstrangportfolios von Daimler Truck sein könnte." Technisch seien sich der Diesel und der H2-Motor so ähnlich, dass er schon in den nächsten Jahren als kostengünstige CO2-freie Lösung zum Einsatz kommen könnte, zum Beispiel bei Baustellenfahrzeugen. Ähnlich äußert man sich bei Iveco: "Wir glauben, dass diese Technologie, die kürzlich von der EU als emissionsfreie Alternative anerkannt wurde, eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung unserer Industrie spielen kann," erklärt Pressesprecher Patrick Wanner. Im vergangenen Jahr hat Iveco den Multi-Fuel-Motor XCursor 13 auf den Markt gebracht, der sich laut Wanner auch auf den Einsatz von Wasserstoff trimmen ließe. Was durchaus noch in diesem Jahrzehnt geschehen könne. Zustimmung zum Konzept gibt es auch von Scania, die Schweden lassen verlauten, dass man in rund drei Jahren zwei verschiedene H2-Verbrenner-Konzepte auf den Markt bringen will: Ein umgebauter Diesel und ein modifizierter Gasmotor sollen die Basis darstellen. Beide Systeme sollen mit einem 700 bar-Drucksystem arbeiten, das heute bereits bei den wenigen H2-Pkw auf dem Markt zum Einsatz kommt. Das sagt das Start-up Keyou Das Start-up Keyou hatte vor einem Jahr seinen ersten Prototypen mit H2-Verbrenner auf die Straße geschickt; einen umgerüsteten Mercedes-Benz Actros mit 7,8 Liter-H2-Motor, der vorher mal ein Diesel war. Dass sich jetzt mehrere große OEMs auch mit dem Thema H2-Verbrenner befassen, sieht man bei Keyou keineswegs kritisch. "Diese Strategie überrascht uns tatsächlich überhaupt nicht", erklärt der Marketingdirektor Jürgen Nadler auf VR-Anfrage. Dass immer mehr OEMs das Potenzial erkennen würden, sehe man als "starkes Signal". Keine Überschneidung mit OEMs Auch Konkurrenz fürchtet man Keyou durch die jüngsten Entwicklungen nicht, so Nadler: "Wir sehen OEMs nicht als Konkurrenz, da sie ein anderes Geschäftsfeld abdecken als wir." Es sei sogar eher andersherum: "Im Gegenteil ist es für uns sogar eher von Vorteil, dass auch immer mehr etablierte Hersteller an dem Thema arbeiten, da die politischen Rahmenbedingungen für Wasserstoffmotoren nach wie vor deutlich schlechter sind als für andere alternative Antriebstechnologien." Keyou sieht seinen Business-Case in der Umrüstung von bestehenden Fahrzeugen, damit aktuelle Diesel recht unkompliziert auf H2-Antrieb umgerüstet werden können. Neben dem Sieben-Liter-Motor befasse man sich nun seit einiger Zeit auch mit dem schweren Segment und kooperiere nach eigenen Angaben mit zwei führenden OEMs, um auch hier Angebote auf dem Markt platzieren zu können. Die richtige Nische finden Scanias Konzernschwester MAN war der zweite Hersteller, der dieses Jahr die Einführung des H2-Verbrenners angekündigt hatte. Im Interview mit der VR bekräftigt Lukas Walter, der Sales-Verantwortliche des Münchner Herstellers, dass man noch in diesem Jahr mit der Auslieferung einer Pilotflotte starten will: "Mit unserer Kleinserie von zunächst rund 200 Fahrzeugen testen wir den Markt und sehen, wie das Konzept angenommen wird", so Walter. Dabei wird MAN wohl der erste OEM mit einem H2-Verbrenner auf dem Markt sein, denn schon 2025 will man erste Modelle des "hTGX" an ausgewählte Kunden in Europa ausliefern. Generell sieht man die Antriebstechnologie vor allem in der Nähe von Wasserstofferzeugung zu Hause; entsprechend ist zu erwarten, dass die Lkw beispielsweise in Skandinavien oder in der Nähe von Häfen zum Einsatz kommen. Der eine oder andere mag jetzt vielleicht hoffen, dass der Wasserstoff-Verbrenner das Potenzial zur großen Überraschung in sich trägt und er vielleicht einfach die nächste, logische Folge auf den Dieselmotor ist. Denn technisch sind sich die Konzepte recht gleich, entsprechend wenig Umstellung hinsichtlich Praxiseinsatz und Wartung ist nötig. Dennoch, dieses Szenario wird vermutlich nicht eintreten, wenn man den Experten Glauben schenkt. "Es ist nicht zu erwarten, dass der Wasserstoff-Verbrenner den batterieelektrischen Antrieb verdrängen kann", gibt MAN-Sales-Chef Walter zu Protokoll. Der kosteneffiziente Einsatz von Wasserstoff hänge stark von Förderungen ab und batterieelektrische Antriebe würden im direkten Vergleich fast immer die kostengünstigere Lösung sein. Walter: "Trotzdem eignet sich der Wasserstoff-Verbrenner für einzelne, spezifische Marktsegmente, der Großteil wird aber batterieelektrisch sein." Ähnliches gibt auch Philipp Rose, Director bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC, im Podcast VerkehrsRundschau Funk zu bedenken. "Nach meiner Einschätzung ist das weniger eine technische Herausforderung, sondern vielmehr eine Frage von Preis und Verfügbarkeit des Wasserstoffs." Dies spiele Rose zufolge eine klare Rolle dabei, ob dieser Markthochlauf überhaupt funktionieren kann oder nicht. "Die Preise, die ich heute wahrnehme, und die Prognosen, die ich für 2030 sehe, zeigen mir nicht, dass wir in eine wettbewerbsfähige Reichweite von Wasserstoffkosten kommen." Der Schwellenwert dafür liegt laut Rose bei etwa vier Euro pro Kilogramm. Der Experte geht deshalb auch davon aus, dass Wasserstoffantriebe nur dann eingesetzt werden, wenn es keine Alternative dazu gibt. Verbrenner gegen Brennstoffzelle Wenn der H2-Verbrenner mit einer Technologie in Konkurrenz treten könnte, dann wäre es wohl die Brennstoffzelle. Hier ist das Überraschungspotenzial in einigen kleinen Nischen vielleicht berechtigt. Denn, was man so unter dem Radar hört, wird die Brennstoffzelle noch länger in der Entwicklung benötigen und besonders heiße Regionen die kühlbedürftige Technik noch vor zu große Herausforderungen stellen. Da kommt ein grüner Verbrenner gerade recht, denn er kann schnell eingesetzt werden und braucht kaum Umgewöhnung. Langfristig wird es dann spannend sein, ob sich der H2-Verbrenner halten kann, oder ob er doch von der bedeutend effizienteren Brennstoffzelle verdrängt wird. Das kann heute kaum beantwortet werden, denn abgesehen von den systemischen Nachteilen der Brennstoffzelle, die aber vielleicht künftig der Vergangenheit angehören könnten, wird auch der Preis eine wichtige Rolle spielen. Greift Brüssel ein? Einzig fraglich ist, ob dieses Rennen überhaupt bis zum Ende durchgezogen werden kann, oder ob es schon im Vorfeld eine politische Weichenstellung aus Brüssel geben wird. Ein Verbrenner-Verbot würde frühzeitig den Weg klar machen und wäre definitiv eine Fehlentscheidung - weil es noch gar keinen Bedarf dafür gibt, und man - wenn man vom H2-Verbrenner spricht und den Abgas-Berichten der OEMs vertraut - eine tatsächliche Null-Emissions-Technologie verbieten würde. Aus Nutzersicht muss man sich die Hoffnung machen, dass das nicht passiert. Denn was jetzt schon absehbar ist - unabhängig davon, welche Technologie verwendet wird: Alternative Antriebe werden wahrscheinlich nie die Multi-Funktionalität des Diesels erreichen. Und noch stehen wir am Anfang und wissen vielleicht noch gar nicht von etwaigen Problemen, die bei Elektroantrieben lauern können. Besser, man hat dann einen (grünen) Verbrenner in der Hinterhand, auf den man sich im Zweifel verlassen kann.

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