Scope-3-Emissionen: Was Emissionen wert sind

"Lkw-Hersteller sind heute ein CO2-lastigeres Investment als die Öl- und Stahlindustrie." In einer Studie berichtet der europäische Umweltverband Transport & Environment (T&E) über die CO2-Intensität von Lkw-Herstellern. Im Fokus der Erhebung steht die Forderung an die OEMs, ihre sogenannten Scope-3-Emissionen fachgerecht offenzulegen beziehungsweise schneller auf emissionsfreie Antriebe umzusteigen. Der Begriff Scope-3 wird in diesem Bericht des Öfteren zu lesen sein. Er beschreibt Emissionen, die auf indirektem Wege entstehen. 15 Kategorien gibt es; die wichtigste, von der hier die Rede ist, trägt die Nummer elf: die Emissionen, die bei der Verwendung des verkauften Produktes ausgestoßen werden. Der Wert ist deshalb so wichtig, da auch Lkw-Hersteller ab dem laufenden Geschäftsjahr 2024 dazu verpflichtet sind, nach Jahresabschluss ihre komplette Emissionslandschaft (Scope 1, 2, 3) offenzulegen. Warum aber gerade die Kategorie elf der Scope-3-Emissionen relevant ist, liegt auf der Hand: Lkw verursachen das absolute Gros ihrer Emissionen bei der Fahrt, insgesamt macht dieser Bereich je nach Hersteller über 95 Prozent der Gesamtemissionen des Konzerns aus. Unterschiedliche Wege Noch ist keiner der OEMs dazu verpflichtet, aber gegen Transparenz hat bekanntlich niemand etwas und so darf man auch heute schon seine Scope-3-Emissionen offenlegen. Unter den sieben großen Lkw-Herstellern gibt es in dieser Sache unterschiedliche Herangehensweisen: MAN, Scania und Iveco haben jene Werte bereits in ihren aktuellen Jahresberichten beziehungsweise Nachhaltigkeits-Reportings vermerkt. DAF und Daimler Truck verzichten bisweilen darauf, Volvo und Renault Trucks erscheinen im übergreifenden Bericht der Volvo Group. Die Kritik von T&E richtet sich zunächst direkt an Daimler und DAF - also jene, die heute noch keine Scope-3-Werte veröffentlichen. Kim Kohlmeyer, Policy Manager bei T&E, sagt auf VR-Anfrage: "Mit diesem Verhalten verstoßen Hersteller bisher nicht gegen geltendes Recht, sie handeln jedoch intransparent und schaden dem Klima." Die Begründung dahinter: "Weder für Investoren noch für politische Entscheidungsträger werden die wirklichen Klimawirkungen der Unternehmen wirksam vermittelt." Auf diese Vorwürfe hin hat sich der Hersteller DAF schriftlich geäußert. In dem Statement heißt es, da die Berechnung der Scope-3-Emissionen eine grobe Schätzung mit vielen Variablen (z.B. Routen, Wetterbedingungen, Gesamtgewicht, Fahrzeugkonfiguration) seien, habe man sie bislang nicht veröffentlicht. Für das kommende Jahr kündigte der niederländische Hersteller aber deren Publikation an; was keine große Überraschung ist, da dies bekanntlich Pflicht wird. Man bekenne sich ferner zum europäischen CO2-Reduktionsziel von 45 Prozent im Jahr 2030 und wolle seine Scope-3-Emissionen bis dahin entsprechend senken. Ein ausführliches Statement liegt auch von Daimler Truck vor. Ein Konzernsprecher erklärt darin, dass man aufgrund der Abspaltung von der Daimler AG eine eigenständige und nachhaltige Geschäftsstrategie entwickelt habe. Man sei gerade dabei, die eigenen Scope-3-Emissionen zu ermitteln, was aufgrund der Komplexität des Verfahrens aber noch andauere. "Wir gehen davon aus, dass die Höhe der Scope-3-Emissionen etwa in der Größenordnung, wie in der Studie genannt, liegt", so der Sprecher. Die Kritik von T&E richtet sich auch an Unternehmen, die bereits Emissionen veröffentlichen - in den Augen des Verbandes aber weniger als tatsächlich vorhanden. Dieser Vorwurf wird unter anderem an Volvo Trucks herangetragen. Ein Unternehmenssprecher weist die Kritik zurück und erklärt gegenüber der VR, dass man die von T&E verwendeten Verkaufszahlen nicht nachvollziehen könne. Im Fall von Volvo liegt in der Tat ein komplizierter Fall vor; denn den Bericht hat die Volvo Group veröffentlicht, die nicht nur die Lkw-Marke Volvo, sondern auch noch Renault Trucks und Volvo Penta (Schiffsmotoren) beinhaltet. Eine Differenzierung der Scope-3-Emissionen in die einzelnen Marken wird dem Unternehmenssprecher zufolge nicht vorgenommen. Bei der Berechnung der Emissionen aufgrund der reinen Verkaufszahlen können verschiedene Modelle verwendet werden, die folglich auch unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. So rechnet T&E etwa mit von den Herstellern übermittelten Verbräuchen und Jahresfahrleistungen der EU-Kommission. Volvo Trucks erhebt die Werte dem Sprecher zufolge auf anderen Wegen: "Wir verwenden in unseren Berechnungen Daten für einzelne Lkw-Modelle und sogar einzelne Lkw auf der Grundlage von tatsächlich erfassten Daten. Dieser Faktor sowie Unterschiede bei den Verkaufsdaten können zu Abweichungen bei den Ergebnissen führen." Die Kritik, man habe zu geringe Emissionen veröffentlicht, richtet T&E auch an die Iveco-Group. Jene lässt über einen Sprecher mitteilen, dass man sich zu den Vorwürfen nicht äußern möchte. Springen Investoren ab? Die viel wichtigere Frage ist aber eigentlich, welche Auswirkungen die Scope-3-Emissionen auf die Attraktivität von Lkw-Herstellern für Investoren haben. Glaubt man der Prognose von T&E, dann steht den OEMs eine schwere Zeit bevor. "Die meisten als nachhaltig eingestuften Investmentfonds investieren in Lkw-Hersteller. Da Fonds und andere große Finanzinstitute nun aber ihre Emissionen genau offenlegen müssen, werden umweltbewusste Anleger erkennen, wie viel CO2 sie finanzieren und ihr Geld wahrscheinlich in wirklich nachhaltige Anlagen umleiten", prognostiziert T&E-Sprecherin Kohlmeyer. Zu dieser These hat die VR mit Franziska Schütze gesprochen, die sich beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit dem Thema nachhaltige Investitionen auseinandersetzt. "Grundsätzlich", so Schütze, "beobachten wir, dass Umweltaspekte bei Investitionen immer wichtiger werden." Man sehe dies etwa bei Investmentfonds, die nach dem sogenannten "Best-in-Class"-Ansatz arbeiten: Hierbei wird verstärkt in die Top-Unternehmen eines Sektors investiert, zeitgleich werden Mittel für emissionsintensive Werte zurückgefahren. "In der Regel passiert dies aber nicht von heute auf morgen, sondern eher Schritt für Schritt", meint Schütze. Dennoch könne es in diesem Sektor aufgrund neuer Daten zu Verschiebungen kommen. Denn: Finanzinvestoren werden darauf achten, wie viele Emissionen durch die Produkte entstehen, in die sie ihr Geld anlegen, so die Expertin beim DIW: "Auch sie müssen künftig jedes Jahr einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Darin sind bei den Scope-3-Emissionen auch CO2-Ausstöße aufzuführen, in die der Investor zuvor sein Geld angelegt hat." Zudem handeln einige Fonds in diesem Segment nach dem Impact-Prinzip. Das bedeutet, dass sie mit ihrer Geldanlage einen positiven Effekt bei einem bestimmten Thema, wie etwa Nachhaltigkeit, erreichen möchten. Reduktionspläne für Banken Im Bankenbereich haben große Institute begonnen, sogenannte Transitionspläne zu erstellen. Die Deutsche Bank etwa führt in ihren Zielen auf, dass ihre Investitionen im Bereich "Light duty Vehicles" bis 2030 insgesamt 59 Prozent weniger Emissionen verursachen soll (Gramm CO2 pro Fahrkilometer, Anm. d. Red.). "Solange die Ziele des Unternehmens mit denen der Bank übereinstimmen, kann die Bank weiterhin in das Unternehmen investieren oder Kredite vergeben", sagt Schütze. Wenn (Scope-3-)Emissionen nicht be-richtet werden, verfahren Geldgeber bei der Einschätzung der Emissionen, in die sie investieren, in der Regel nach Mittelwerten, die es für die jeweiligen Branchen gibt. "Nur große Finanzinstitute werden vermutlich eigene Emissionsschätzungen aufstellen", glaubt Schütze. Dennoch erwartet die Finanzexpertin nicht, dass es bei Abweichungen zu ruckartigen Rücknahmen der Investitionen kommt: "Das würde mich sehr wundern, denn normalerweise wenden sich die Geldgeber zuerst an das jeweilige Unternehmen und versuchen herauszufinden, wie dort die Emissionen berechnet wurden." Erst dann könnte es, wenn Ungereimtheiten auftreten, tatsächlich zu einer Umverteilung von Investitionen kommen oder es würden, wenn es um Kredite geht, jene möglicherweise nicht erneuert oder verlängert werden, glaubt Schütze. Offen und ehrlich Was sicher zu erwarten ist: Nachhaltigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung, was in Zukunft durch die Berichterstattungspflicht für Scope-3-Emissionen noch verstärkt wird. Lkw-Hersteller sind also tatsächlich gut darin beraten, ihre tatsächlichen Umweltauswirkungen ehrlich darzulegen und klare sowie realistische Wege für die Reduktion ihrer Scope-3-Emissionen aufzuzeigen, um nicht vor ihren Geldgebern in Erklärungsnot zu kommen. Der Druck im Kessel dürfte allgemein steigen, denn um die Scope-3-Emissionen wirksam zu reduzieren, müssen Kunden verstärkt emissionsfreie Lkw kaufen, wofür bekanntermaßen noch der Anreiz fehlt. Den großen "Schock", von dem T&E spricht, erwartet indes nur der Umweltverband selbst. Dafür müssten Investoren auch etwas blauäugig unterwegs sein: Auch im Pkw-Bereich - wo übrigens teils seit Jahren Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht werden - weiß man um die Bedeutung und Höhe von Scope-3-Emissionen. Die Ausgangslage ist ähnlich wie bei den Lkw-Herstellern, denn auch im Pkw-Sektor entstehen über 90 Prozent der Emissionen bei der Nutzung der Produkte. Trotzdem werden die Lkw-OEMs in den kommenden Jahren unter Beobachtung stehen. Vor allem 2025, wenn alle ihre Emissionen in den Jahresberichten veröffentlichen müssen.

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