Reif für die Serienfertigung

Unsere Zukunft ist grün -und wenn sie ganz besonders sauber ist, dann blau. Volvo wählt den Kompromiss und lässt die aktuellen "Electric Trucks" in Türkis vorfahren. Ungeachtet der Farbe weist allenfalls der kleine Schriftzug an der Front auf die neue Antriebstechnik hin, denn optisch glaubt man, einen normalen FH beziehungsweise FMX vor sich zu haben. Umgewöhnung ist nicht nötig Durchaus erwünscht, denn man will in Göteborg keine Vorbehalte schüren. Fahrer und Unternehmer sollen den Eindruck haben, dass sich nichts geändert hat - außer eben die Antriebsmaschine. So verwundert es wenig, dass auch innen quasi alles beim Alten ist. Es gibt einen "Zündschlüssel". Nur, dass der nix zündet, sondern die Leistungselektronik hochfährt. Alleine an kleinen Anzeigen im gewohnten Display, etwa die der Reichweite, merkt der Fahrer, dass etwas anders ist. Volvo verspricht für die nahe Zukunft digitale Energieflussanzeigen, wie man sie aus E-Pkw kennt. Ob das wirklich nötig ist, muss jeder für sich entscheiden ... Im Fernverkehrs-FH wie auch dem für die Tests zur Verfügung stehenden FMX, gedacht für Einsätze auf der Baustelle, sorgen insgesamt drei E-Motoren für Vortrieb. Wie von den elektrischen Antrieben gewöhnt, stehen Leistung und Drehmoment im Überfluss zur Verfügung (siehe Kasten Seite 64). Heißt im konkreten Fall fast 4500 Nm schon aus dem Stand. Wer also unvernünftig das "Gaspedal" voll durchdrückt, beschleunigt auch mit bis zu 44 Tonnen erlaubtem Gesamtgewicht ruckzuck bis 90 km/h - wo Volvo auch die E-Trucks abregelt. Deutlich über 300 km sind möglich Im Umgang mit E-Antrieben versiert, verzichten wir auf solche Gewaltexzesse und beschleunigen energiesparend, aber nicht langsam und schwimmen gut im Verkehr mit. Eine Wohltat ist das quasi nicht vorhandene Fahrgeräusch. Vom tief im Rahmen sitzenden Antrieb, der über eine relativ kurze Kardanwelle die konventionelle Hinterachse antreibt, ist nichts zu hören. Unter der Kabine sitzen lediglich das Modul für die Leistungselektronik sowie der auch beim E-Antrieb nötige Kühler. Links und rechts am Rahmen finden sich auch bei der Sattelzugmaschine bis zu sechs Batterieboxen. Die bieten je Box eine Kapazität von 90 kWh und sind als Sixpack rund drei Tonnen schwer. Zum Gewicht der Zugmaschine macht Volvo keine konkreten Aussagen - ebenso wenig zum Preis. Rechnet man den Verzicht auf den Dieselmotor, addiert die Last der E-Motoren sowie der Elektronik, dürfte man bei gut 2,5 Tonnen an zusätzlichem Ballast liegen. Und die Mutmaßung, dass der FH Electric dreimal so viel kostet wie ein FH Diesel, wird zumindest nicht abgestritten. Auf jeden Fall versichern die Schweden glaubhaft, dass die Bestellungen für die E-Trucks aus Göteborg signifikant angestiegen wären, seit es die 80-Prozent-Förderung für die saubere Antriebstechnik gibt ... Eine tolle Art des Lkw-Fahrens Am Steuer der elektrifizierten Trucks ist man geneigt, diesen Erfolg nachvollziehen zu können. Neben der leisen Art, sich fortzubewegen, ist es der hohe Fahrkomfort, der beeindruckt. Die im Test auf 36 Tonnen ausgeladene Sattelkombination lässt sich spielend im Einpedal-Betrieb bewegen. Will heißen: Das Bremspedal ist eigentlich unnötig. Wer ausreichend vorausschauend fährt und die drei Rekuperationsstufen der elektrischen Bremse sinnvoll einsetzt, generiert nicht nur zusätzliche Reichweite, sondern kann ohne Betriebsbremse verzögern - zumal die Electric Volvos bis nahezu Stillstand herunterfahren. Das in FH und FMX verbaute I-Shift-Getriebe schaltet gewohnt schnell und nutzt vorwiegend die hohen Gänge - konkret 7, 9, 11 und 12. Selbst auf die Frage, warum man denn trotz E-Antrieb ein Getriebe braucht, haben die Volvo-Ingenieure gleich mehrere stichhaltige Antworten: Erstens werden die E-Trucks auf dem gleichen Band gebaut wie die konventionellen Autos. Modularität war ergo Pflicht. Zweitens braucht man bei bis zu 44 Tonnen in jedem Fall ein Getriebe, um alle Eventualitäten abdecken zu können. Und drittens passen so die vorhandenen getriebeseitigen Nebenantriebe und Kunden könnten Aufbauten von "alten" Diesel-Lkw auf die neuen Elektro-Trucks umsetzen. Im Rahmen dieser Philosophie setzen die Schweden auch auf konventionelle Hinterachsen, im Falle der gefahrenen FH mit 315/70er-Reifen eine 3,08er-Hinterachsübersetzung, beim FMX mit 315/80er-Bereifung 3,09. In jedem Fall erlaubt der Baukasten auch andere Übersetzungen, wenn unter anderem ein Volumenchassis gefordert wäre. Große Range an Fahrzeugen Generell plant Volvo ein breites Anwendungsspektrum, mit Achskonfigurationen von 4x2 bis 8x4 sowie Radständen von 3800 bis 6700 Millimetern - ergo zeigen die beiden Test-Lkw die jeweils obere und untere Grenze des Möglichen. Auch der schwere Vierachser fährt sich behände. Die von Volvo bekannte "Dynamik-Steering"-Lenkung arbeitet auch mit der gelenkten Nachlaufachse auf niedrigem Kräfteniveau und vermittelt trotz ihrer Leichtgängigkeit in FH und FMX einen sehr guten Kontakt zur Straße. Trotz des gestiegenen Eigengewichts samt höherem Gewicht auf der Vorderachse spricht die Federung sauber an, vor allem auch im FH, der über eine luftgefederte Starrachse vorne verfügt. Die in Göteborg im Stadtbereich üblichen Querschwellen meistert der Volvo souverän, ohne dass in der Kabine derbe Stöße ankommen. Bis rund 60 km/h kann man sich im geräumigen Fahrerhaus fast im Flüsterton unterhalten. Darüber sind minimale Windgeräusche zu vernehmen. Wie der Volvo-Begleiter versichert, ist ein Kamerasystem in Vorbereitung. Fahren in dem im wahrsten Wortsinn elektrisierenden Volvo gestaltet sich also äußerst angenehm für den Fahrer. Wer mit einem Diesel-Volvo klarkommt, hat auch im E-Volvo keine Probleme. 20 % mehr Reichweite, wenn alles passt Ungeachtet dessen schadet eine Fahrerschulung nicht. Denn wer die E-Trucks optimal bewegt, schafft bis zu 20 Prozent mehr Reichweite. Volvo unterstützt diese Eigenart durch einen "Electric Range Simulator", mit dem der Nutzer feststellen kann, ob sich ein E-Truck lohnt. Fahrer und Fuhrparkleiter bekommen Unterstützung durch das Telematiksystem Dynafleet sowie eine fahrzeugbasierte "Route Application", die hilft, passende Strecken zu finden und durch Routenwahl und angepassten Fahrstil so weit wie möglich zu kommen. Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, muss sich allerdings noch etwas gedulden. Produktionsstart für FMX und FH ist die zweite Jahreshälfte 2022 - dann auch in grüner oder blauer Lackierung. Modularer Antriebsstrang bis 490 kW (666 PS) Um alle sechs Baureihen der Electric-Trucks passend zum Einsatz antreiben zu können, arbeitet Volvo Trucks mit modularem Antriebskonzept. Bei leichten und mittelschweren Fahrzeugen kommen ein beziehungsweise zwei E-Motoren zum Einsatz, kombiniert mit einem Zweigang-Planetengetriebe – im Grunde genommen die Range-Gruppe eines I-Shift-Getriebes. Bei den schweren Versionen verwendet Volvo drei E-Motoren in Kombination mit dem 12-Gang-I-Shift-Getriebe. In der Praxis wird vorwiegend in der großen Gruppe gefahren (Gänge 7 bis 12). Nur wenn es Topografie oder Tonnage erfordern, kommt die kleine Gruppe zum Einsatz. Beim Ausrollen kann der Fahrer über die „Motor-bremsfunktion“ und den entsprechenden Hebel am Lenkrad drei verschieden starke Rekuperationsstufen aktivieren.− Synchronmaschine mit 163 kW (222 PS) und max. 1495 Nm; bis zu drei Motoren in Kombination möglich; max. 28.000 Nm an der Kardanwelle− Drei Nebenabtriebe: elektrisch (40 kW), elektromechanisch (70 kW) sowie getriebeseitig (bis zu 150 kW) − LiIon-Batterien aus eigener Produktion, je Stack 90 kWh Kapazität und ca. 500 kg Gewicht.; im Maximum bis zu sechs Stacks (540 kWh)− Wechselstromladung mit max. 43 kW an der Wallbox (0 bis 100 % in 10 Stunden) oder Gleichstrom-ladung (bei 500 bis 750 V) mit CCS2 und max. 250 kW (0-80 % 1,4 Stunden bzw. 0-100 % in 1,9 Stunden) gg Mehr zum Thema finden Sie unter #Volvo www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Mit FH und FMX Electric erweitert Volvo Trucks das Programm um zwei schwere Lkw mit batterieelektrischem Antrieb. Bei ersten Testfahrten überzeugen die "Zero-Emission-Lkw" durch Reichweite, geräuschfreien Antrieb und hohen Reifegrad. 300 Kilometer Reichweite schaffen FH und FMX Electric unter allen Umständen - 500 km wären auch drin.

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