Rangieren per Fingerdruck

So ganz geheuer ist die Vorstellung von autark fahrenden Lastwagen auf unseren vollen Autobahnen wohl kaum jemanden. Wenn der Kollege Computer aber nicht auf viel befahrenen Straßen, sondern auf dem Speditionshof übernimmt und die Fernsteuerung hilft, den Überblick zu behalten sowie selbst schwierigste Manöver mit schwer zu steuernden Eurocombis zu meistern, kann's eine echte Hilfe sein. Nur auf den erste Blick ein normaler LKW Vom außen sieht der ZF-Innovationstruck eigentlich wie ein ganz normaler Lang-LKW aus: Vorne dran eine XF-Sattelzugmaschine von DAF, ein Dreiachs-Sattelauflieger und dahinter noch ein tief gekuppelter Zentralachs-Anhänger. Die Feinheiten und Finessen stecken unter dem Bett, an der Lenkung und zwischen Motor und Kupplung ... Doch der Reihe nach: Die Servotwin-Lenkung von ZF ist kein Novum. Als Überlagerungslenkung unterstützt sie den Fahrer im Hinblick auf niedrige Lenkkräfte. Im vorliegenden Fall ist es allerdings nicht unbedingt der Fahrer, der am Lenkrad einen Richtungsbefehl in Gang setzt. Vielmehr kommt der vorgegebene Lenkwinkel beim autarken Rangieren von einem Elektro-Motor. Weil sich der Innovationstruck komplett elektrisch fahren lässt, hat ZF die eigentlich vom Motor angetriebene Servopumpe durch eine ebenfalls elektrische Antriebseinheit ersetzt. Was allein schon eine Innovation ist, weil diese E-Pumpe im Gegensatz zum konventionellen Aggregat nur arbeitet, wenn Bedarf besteht. Das im DAF-Prototyp verbaute Traxon-Getriebe verfügt über ein Hybridmodul, das seine Energie beim Rangieren aus einem Hochleistungs-Akkupack bezieht. Bei geöffneter Kupplung ist der E-Motor vom Verbrenner abgekuppelt und stellt mit 120 Kilowatt Leistung und 1000 Newtonmetern Drehmoment ausreichend Power zur Verfügung. Damit lassen sich selbst 60 Tonnen schwere Kombinationen problemlos bewegen. Bis zu zehn Rangiermanöver durchschnittlicher Ausprägung wären möglich, so die Spezialisten von ZF. Und falls der Akku leer ist, lässt sich der Zug entweder konventionell manövrieren - oder die Batterien sind nach wenigen Minuten mit erhöhter Leerlaufdrehzahl wieder zu 100 Prozent aufgeladen. Lautloses Rangieren per App Das Rangiermanöver selbst steuert der Fahrer von außen mit einer App. Die zeigt die Fahrzeugkombination von oben. Der Fahrer kann sein Smartphone oder Tablet so ausrichten, dass es der Orientierung des LKW entspricht. Tippt er den (letzten) Anhänger an, kann er reversieren. Tippt er via Touch-Pad auf die Zugmaschine, fährt der Zug vorwärts. Sobald der Finger auf der Benutzeroberfläche verweilt, geht's los. Durch Ziehen der virtuellen Zugmaschine oder des dargestellten Anhängers nach links oder rechts gibt der Benutzer vor, wohin der LKW fahren soll. Es gibt jeweils drei Geschwindigkeitsstufen - vorwärts mit vier, zwei oder einem km/h, rückwärts jeweils halb so schnell. Zusätzlich erscheinen auf dem Bildschirm Bilder von je drei der insgesamt zwölf um den LKW positionierten Kameras. Die werden so geschaltet, dass jeweils jene Bereiche eingeblendet werden, von denen der Fahrer am weitesten weg steht. So behält der Fahrer stets den optimalen Überblick und die sonst schnell passierten Rangierunfälle lassen sich auf diese Weise wirkungsvoll vermeiden. Für die erste Demonstration des Systems hat sich ZF einen Eurocombi ausgesucht, der rückwärts im 90-Grad-Winkel an eine Rampe zu rangieren war. Schon beim ersten Versuch klappt das hervorragend. Wer mit ein wenig Gefühl und Kenntnis eines LKW den Anhänger am Bildschirm mit ruhiger Hand und gezielten, kleinen Lenkbewegungen manövriert, reversiert zielsicher in die Endposition. Ein wenig Einfühlungsvermögen und der Verzicht auf heftige "Lenkausschläge" bewirken harmonische Bewegungen und einen kleinen Korridor, in dem sich die Kombination bewegt. Doch selbst der absichtliche initiierte Fehlversuch mit zu weitem Lenkwinkel führt am Ende zum Ziel. Dann muss die Zugmaschine zwar heftig lenken und der Zug braucht deutlich mehr Platz zum Rangieren - an der Zielrampe dockt der hintere Zentralachser aber am Schluss trotzdem an! Trotz der vielen aufgesetzten Technik: Angst, entmündigt zu werden, mussen LKW-Fahrer auch in Zukunft nicht haben. Wer Spaß an der Herausforderung hat, kann seinen LKW auch ganz konventionell, mit Verbrennungsmotor und Rückwärtsgang, an die Rampe rangieren. Die Technik lässt sich außerdem auch für Standard-Sattelzüge, Gliederzüge oder andere Eurocombi-Varianten nutzen. Letztlich gibt der Fahrer nur ein, um welche Art Zug es sich handelt. Die Vorgabe der Lenkbefehle erfolgt auf Basis von Lenkwinkelsensoren - im Falle des Testzuges an der Sattelplatte sowie an der Kupplungsdeichsel des Zentralachsanhängers. Den Rangierassistenten kann der Fahrer auch nutzen, um den Zentralachser anzukuppeln oder seine Zugmaschine auf- und abzusatteln. Allein das ist ein Riesenvorteil, weil man nicht mehr ständig ein- oder aussteigen und auf die Arbeitsplattform klettern muss ... Ferngesteuerter Truck im Maßstab 1:1 Auch wenn für manche die Vorstellung von Dutzenden auf der rechten Spur hintereinander gekoppelten LKW, die von selbst lenken, bremsen und das richtige Tempo halten, ein Horror ist: Mit dem Tablet in der Hand einen Eurocombi zentimetergenau rangieren zu können, weckt das Kind im Manne! Schon stark, mal einen ferngesteuerten 25,25-Meter-Zug im Maßstab 1:1 bewegen zu können. Vom Sicherheitsgewinn und der Tatsache, dass selbst unerfahrene Fahrer damit umgehen können, mal ganz abgesehen. Traxon Hybridmodul Sechs Prozent weniger Verbrauch Während die Hybridisierung im Verteilersegment nicht recht ins Rollen kommt - weil zu teuer und die Potenziale zum Rekuperieren doch nicht so groß sind - macht der zusätzliche E-Antrieb im Fernverkehrsauto immer mehr Sinn. Nach Testfahrten von ZF sind rund sechs Prozent Ersparnis drin, wenn Rollphasen genutzt werden, um die Akkus zu laden. Die kompakten Batterien sitzen im Test-DAF rechts am Rahmen, sind kaum größer als zwei herkömmliche Batteriekästen und auch nicht sonderlich schwer. Neben dem rein elektrischen Fahren auf rund einem Kilometer können sie auch als Booster genutzt werden.Dann geben sie ihre Energie zum Beispiel beim Anfahren oder am Berg ab und sorgen so für ein kostenloses Plus an Leistung. Für sechs Prozent Ersparnis müssen die Entwickler sonst rechte Kopfstände machen. Und 120 kW und 1000 Nm zusätzlich sind auch nicht zu verachten. gg

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