Potenziale erfolgreich heben

Jeder Endkunde kennt das Problem: Viele im Internet eingekauften Produkte werden zu Zeiten zugestellt, in denen aus beruflichen oder privaten Gründen eine persönliche Anwesenheit nicht möglich ist. Was liegt also näher als ein "Wunschliefertag"? Mit einem Webtool, das diesen Namen trägt, wirbt seit Kurzem die mittelständische Spedition Gras-Gruppe in Neuwied. Der Kunde erhält per SMS oder E-Mail die Nachricht, dass seine Sendung zur Auslieferung bereitsteht und an ausgewählten Tagen mit individuellen Zeitfenstern zugestellt werden kann. Er sucht dann einen passenden Termin aus und bestätigt diesen mit seiner Sendungsnummer und Postleitzahl. Liegt keine E-Mail-Adresse oder Handynummer vor, ruft ein Mitarbeiter des Call Centers an und schlägt "Wunschliefertage" vor. Neue Prozesse, neue Abläufe "Für dieses Tool mussten Avisierungsprozesse und Arbeitsabläufe angepasst werden", betont Armin Geißler, Geschäftsführer der Jentsch Logistik in Köln, die zur Gras-Gruppe gehört. Das Konzept realisierten die eigenen Mitarbeiter, IT-Arbeiten erledigte das Tochterunternehmen Informatik Team. "Auf einen externen Berater konnten wir verzichten", freut sich Geißler. "Ein solcher Experte hätte sich das Know-how, das unsere Mitarbeiter haben, erst mühsam erarbeiten müssen." Die klassische Domäne von Beratern Die Erschließung von neuen Geschäftsfeldern und Märkten gilt als klassische Domäne von Beratungsunternehmen. Mit detaillierten Marktanalysen, Handlungsempfehlungen auf Basis von erfolgreichen Referenzbeispielen sowie Coachings und Workshops für Management und leitende Mitarbeiter haben diese den Weg für viele erfolgreiche Projekte geebnet. Wenn jedoch die Erschließung abgeschlossen ist, wachsen die Mitarbeiter mit den neuen Aufgaben und verbessern die Dienstleistungen ihres Arbeitgebers erheblich. Die Gras-Gruppe, ein Mitglied der Stückgutkooperation IDS Logistik, erlebt dies gerade am Beispiel der Privatkundenzustellung von Haushaltsgeräten, Home Trainern und anderen sperrigen Produkten. 2012 startete sie in dieses neue Geschäftsfeld mit Lieferzeiten von drei bis vier Tagen. 2015 konnte sie diese nach der Umstellung der Sendungsavisierung auf E-Mail auf durchschnittlich 24 Stunden verkürzen. Mit dem "Wunschliefertag" will Gras die Betriebsabläufe weiter verbessern. "Wir machen so die Lagerabläufe effizienter und lasten die Lkw besser aus", betont Geißler. Im Umkehrschluss kommen Logistikdienstleister an Beratungsunternehmen vor allem dann nicht vorbei, wenn die beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen der eigenen Mitarbeiter nicht mehr weiterhelfen. "Eine Beratung ist immer dann notwendig, wenn Standardantworten auf komplexe Fragestellungen nicht ausreichen und individuelle Lösungen entwickelt werden müssen", sagt Ralph Ehmann, Vorstand von IWL AG. Das Ulmer Unternehmen, das unter anderem Noerpel und ITG als Kunden nennt, hat in jüngster Zeit mehrere Branchendienstleister bei neuen Kontraktlogistikprojekten und logistischen Mehrwertdiensten unterstützt. So wünschte ein Kunde Hilfe dabei, neue Dienstleistungen zu entwickeln, wie Aufbügeln von Textilien in der Fashion-Logistik. Auch für die Weiterentwicklung von logistischen Netzwerken, die Konzeption von neuen Standorten und die Vorbereitung von Verlader-Ausschreibungen hat es sich wiederholt ausgezahlt, Logistikberater einzusetzen. Viele Consultants arbeiten auch für Industrie- und Handelsunternehmen und kennen die Anforderungen der verladenden Wirtschaft an Dienstleister genau. Viele sehen vor allem bei der Konzeption von Netzwerken und der Gestaltung von Lagerabläufen erhebliches Einsparpotenzial, weiß Holger Clasing, Vice President der 4Flow AG. Das Berliner Beratungsunternehmen hat in jüngster Zeit laut eigener Aussage für mehrere Speditions- und Logistiknetze die Produktionskosten ermittelt und Maßnahmen für deren Senkung entwickelt. Ambitionierte Projekte im Alleingang "Vor allem bei weltweiten Wertschöpfungsketten sind die Ausgaben oftmals nicht mehr transparent", stellt Clasing fest. "Das stellt für jeden Dienstleister ein Risiko dar, das behoben werden muss." Selbst weltweit tätige Unternehmen können deshalb auf Berater nicht verzichten, 4Flow nennt unter anderem DB Schenker, Hellmann und Kühne + Nagel als Kunden. Die Unternehmen selbst versichern, dass sie nur für Einzelprojekte Berater einschalten. "Bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen und der Erschließung neuer Märkte verlassen wir uns vornehmlich auf die Kompetenzen und Erfahrungen unserer Mitarbeiter und Netzwerkpartner", sagt zum Beispiel Matthias Wagner, Vorstand Road & Rail von Hellmann Worldwide Logistics. "Beratungsunternehmen ziehen wir nur in Ausnahmefällen für konkrete Geschäfte hinzu." Auch viele Kooperationen engagieren vergleichsweise selten Berater, weil sie mit den unterschiedlichen Stärken ihrer Mitgliedsunternehmen ambitionierte Projekte im Alleingang stemmen können. So hat die Speditionskooperation IDS Logistik die bundesweite Privatkundenbelieferung ohne Beratungsunternehmen realisiert. "Planung, Konzept und Umsetzung erfolgten inhouse", versichert Geschäftsführer Michael Bargl. Auf Synergieeffekte mit historisch gewachsenen Kompetenzen setzt IDS auch für die Zukunft. Möglicherweise soll der von der Gras-Gruppe entwickelte "Wunschliefertag" 2017 bundesweit von allen Mitgliedsunternehmen angeboten werden. Den Defiziten auf der Spur Kleine und mittlere Logistikunternehmen, die nicht einem Netzwerk angehören, stehen vor ganz anderen Herausforderungen. Sie müssen häufig auch dann Beratungsunternehmen einschalten, wenn die Mitarbeiter keine Zeit für Aufgaben haben, die sie auch selbst erledigen können. "Wenn ein Logistikunternehmen mit seinen Leistungen nicht wirtschaftlich arbeiten kann, führt an einem Beratungsunternehmen kein Weg vorbei", sagt Ehmann. Die Berater übernehmen dann Aufgaben, die in größeren Unternehmen die Controller erledigen. Sie hinterfragen eingefahrene Betriebsabläufe und stoßen häufig auf Kostentreiber in der IT, im Fuhrpark- und Lagermanagement oder aber in der Unternehmensführung selbst. Veraltete Systeme mit unzureichenden Schnittstellen, unwirtschaftliche Arbeitsabläufe mit schlechtem Personalmanagement, falsche Marktpositionierung mit unrentablen Kunden: Solchen Defiziten kommen Beratungsbetriebe gerade bei kleineren und mittleren Firmen auf die Spur. "Manche Betriebe können ihre Probleme mit einer neuen IT, einem zusätzlichen Kunden oder moderneren Fahrzeugen lösen", weiß Bernhard Rieger, Inhaber von BR Consulting in Röhrmoos (Landkreis Dachau). Andere müssen langjährige Geschäftsfelder und -konzepte völlig infrage stellen. So berichtet Rieger von einer Spedition, die auf Wunsch eines Großkunden ihre Preise für Mineralöltransporte überprüfte und keine Möglichkeiten für Kosteneinsparungen entdeckte. Als daraufhin Rieger die Lager- und Transportabläufe durchcheckte, musste er dem Inhaber mitteilen, dass dieser das traditionsreiche Geschäftsfeld seit Jahren mit anderen Feldern quersubventioniert hatte und mit nur einem Großkunden unmöglich Gewinne erzielen kann. "Jetzt verhandelt dieses Unternehmen mit dem Kunden über eine Fortsetzung der vorhandenen Preise", sagt Rieger. Vieles deutet auf einen Rückzug hin. Hoher Abstimmungsbedarf zu Anfang Solche Beratungsprojekte dauern häufig Wochen oder gar Monate. Wiederholt hat Rieger erlebt, dass er vor der eigentlichen Analyse der Betriebsabläufe zahlreiche Daten, die der Kunde nicht hat, selbst erheben muss. Als Konsequenz muss dieser Mitarbeiter für die Beantwortung von umfangreichen Fragekatalogen freistellen und sich Zeit für regelmäßige Jour-Fix-Termine nehmen. Innerhalb dieser stimmt der Consultant mit der Unternehmensführung und ihren engsten Mitarbeitern das weitere Vorgehen ab. "Vor allem beim Start eines Beratungsprojekts ist der Abstimmungsbedarf hoch", sagt Rieger. "Anschließend ist der Kunde vor allem bei der Umsetzung gefordert." Häufig sträuben sich Mitarbeiter oder Betriebsrat gegen die bevorstehenden Änderungen vor allem, wenn mit Entlassungen zu rechnen ist und machen den Berater für die anstehenden Umbrüche verantwortlich. Der Kunde sollte deshalb die Empfehlungen des Beraters im Alleingang durchsetzen. "Wenn er regelmäßig Durchlaufzeiten überprüft, kommt er selbst manchen Kostentreibern auf die Spur und kann von sich aus Gegenmaßnahmen treffen", rät Ehmann. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Tipp Zusammenarbeit mit Unternehmensberatern - Zwischen Berater und Kunde muss ein Vertrauensverhältnis herrschen. Fragen Sie zuerst in Ihren persönlichen Netzwerken nach einem geeigneten Consultant.- Informieren Sie sich in Branchenverzeichnissen und -portalen wie Krongaard und bei Kammern und Verbänden über Beratungsunternehmen. Außer branchenbekannten Namen wie 4Flow, Städtler, Dr. Schaab & Partner oder Neef gibt es zahlreiche Einzelkämpfer, welche mit strategischen Partnern etwa aus der IT-Branche zusammenarbeiten und auch komplexe Projekte meistern können.- Sprechen Sie mit den Kandidaten über ihre Arbeitsschwerpunkte und lassen Sie sind Referenzen über vergleichbare Projekte vorlegen. Viele Berater arbeiten überwiegend für Verlader. Achten Sie bei der Auswahl auch auf Branchenübereinstimmungen mit der eigenen Kundschaft.- Kalkulieren Sie mit hoch dreistelligen Tagessätzen pro Berater. Prüfen Sie, ob Sie für die Beratung Fördergelder von Bund, Ländern oder der EU in Anspruch nehmen können. Über entsprechende Programme informieren die Portale foerderdatenbank.de des Bundeswirtschaftministeriums und dihk.de/beratungsfoerderung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Außer Existenzgründer können mittelständische Unternehmen mit maximal 250 Beschäftigten beziehungsweise 50 Millionen Euro Jahresumsatz Fördergelder beantragen.bot Experten-Tipp Bahnlogistik - eine Nische, die (noch) für viele Neuland ist Für die meisten Speditionen ist Bahnlogistik ein unbekanntes Feld. Die Organisation von Schienengütertransporten inklusive der Vorlauf-, Nachlauf- und Rangierverkehre ist für Straßengüterverkehrsbetriebe ungewohnt komplex."Ohne das Know-how eines Spezialisten kann ein Einsteiger in diesem Markt kaum Fuß fassen", bilanziert Christian Krüger, Inhaber von Hamburg Transport Consulting."An einer gründlichen Beratung führt kein Weg vorbei." Allein über die Marktakteure wissen viele Speditionen kaum Bescheid. Viele kennen laut Krüger nur DB Cargo und deren Tochterfirmen, nicht aber die zahlreichen Privatbahnen, die in den letzten Jahren im Markt Fuß gefasst haben. Dem Wettbewerbsbericht 2015 der Deutschen Bahn zufolge macht ihr Marktanteil über 39 Prozent aus."Unternehmen wie EVB, Rheincargo und TX Logistik sind längst aus ihrem Nischendasein herausgewachsen", sagt Krüger, der selbst für die Deutsche Bahn sowie mehrere Privatbahnen gearbeitet hat."Mit diesen Marktteilnehmern können auch komplexere Verkehre im Bundesgebiet organisiert werden."Krüger entwickelt Konzepte für Ganzzüge sowie Einzelwagenverkehre, die unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls von Privatbahnen organisiert werden können. Zusätzlich führt er Kunden in die operative Umsetzung ein."Im Unternehmen muss ein Ansprechpartner für Waggonreparaturen, Rangierfahrten und andere Prozesse vorhanden sein", sagt der Experte."Außerdem sollte die Unternehmensführung die Kunden überzeugen." Neben Kostenargumenten spricht seiner Erfahrung nach vor allem die gute Planbarkeit für Bahnverkehre dafür. bot

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