Mittelfristprognose Güterverkehr: Ein gutes Jahr 2022

Der Jahreswechsel ist der willkommene Anlass für eine Jahresplanung. Dienstleister und Verlader planen ihre Kapazitäten. Dabei tauchen Fragen auf wie: Wie viel Geld soll investiert werden? Welchen Laderaum, wie viele Mitarbeiter werden benötigt, um die Mengen zu bewältigen? Eine wichtige Orientierungsgröße für solche Entscheidungen ist die Entwicklung der Nachfrage. Neben der Expertise der Unternehmen liefert die Mittelfristprognose, die das Bundesverkehrsministerium halbjährlich in Auftrag gibt, wichtige Zahlen und Fakten. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zu der gerade veröffentlichten Studie zusammengetragen. 1 Mit welcher Entwicklung des Güterverkehrs können die Unternehmen im kommenden Jahr und 2023 rechnen? Die Zeichen stehen eindeutig auf Wachstum. Die Aufholjagd nach den Einbußen im Corona-Jahr 2020 setzt sich 2022 fort. Die Zuwachsraten flachen sich zwar leicht ab. Aber die Güterverkehrsleistung nimmt im laufenden Jahr mit 3,7 Prozent immer noch überdurchschnittlich zu (siehe Grafik rechts). Damit wird das Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2019 (698 Milliarden Tonnenkilometer) mit 729,1 Milliarden Tonnenkilometer im Jahr 2022 deutlich übertroffen. 2 Es gibt zahlreiche Unsicherheiten, die die Konjunktur beeinträchtigen könnten. Zum Beispiel die neue Corona-Variante Omikron. Fällt die Prognose daher nicht zu positiv aus? Die Aussage von Ralf Ratzenberger von Intraplan Consult ist eindeutig: "Nein." Mit Ausnahme des kurzen Teils zur Luftfracht hat Intraplan die komplette Prognose erstellt. Omikron stelle sicher eine Gefahr für die konjunkturelle Entwicklung da, so Ratzenberger. Vor allem dann, wenn aufgrund einer starken Verbreitung gravierende Einschränkungen für die Wirtschaft beschlossen würden, bis hin zu einem (Teil-)Lockdown. Aber: "Schon in der ersten und in der zweiten Corona-Welle war der Transportmarkt deutlich weniger stark betroffen als die Gesamtwirtschaft", sagt Ratzenberger. Die Zahlen geben ihm Recht. So ist 2020 die Güterverkehrsleistung in Deutschland nur um 3,7 Prozent rückläufig gewesen, während das Wirtschaftswachstum mit 4,6 Prozent deutlich stärker eingebrochen ist. "Hinzu kommt, dass der Rückgang bei der Transportleistung vor allem den internationalen Verkehr betroffen hat", erläutert Ratzenberger. Dort hätten nicht nur Grenzschließungen und Kontrollen, sondern vor allem der sinkende Außenhandel Deutschlands für erhebliche Rückgänge bei der Transportleistung gesorgt. Zum einen sei also der innerdeutsche Verkehr weniger stark belastet gewesen. Zum anderen hätten die Staaten aus den ersten beiden Wellen gelernt. Er geht davon aus, dass im Falle eines erneuten Lockdowns die Einschränkungen im internationalen Warenverkehr nicht mehr so massiv sein würden. 3 Was ist mit den Lieferschwierigkeiten? Lieferengpässe und knappe Transportkapazitäten sorgten 2021 für Einbußen bei Industrie und Handel. Könnten diese Engpässe nicht auch 2022 das Wachstum bremsen? Das will Ratzenberger nicht kategorisch ausschließen. "Ja, die Möglichkeit besteht", sagt er und verweist auf das letzte Jahr. Dort gab es vor allem einen Engpass an Halbleitern, unter dem vor allem die Automobilindustrie litt. Aber dann fehlten auch Rohstoffe wie Holz und es führten Engpässe in der Seefracht sowie die zeitweise Schließung von Häfen wegen Corona dazu, dass auch aus dem Handel immer häufiger die Aussage kam: Wir können nicht liefern. "Alle Konjunkturprognosen gehen jedoch davon aus, dass diese Engpässe sich in den nächsten Monaten auflösen werden", zitiert Ratzenberger die Einschätzung verschiedener Experten. Er vertraut auch den Kräften des Marktmechanismus, wonach neue Angebote geschaffen werden, wenn dauerhaft die Nachfrage das vorhandene Angebot übersteigt. 4 Wachstum ist nicht gleich Wachstum. In welchen Branchen ist 2022 und 2023 mit einer besonders guten Konjunktur zu rechnen? Nach wie vor ist das Segment "sonstige Produkte" dasjenige mit den höchsten Zuwachsraten. Zu diesem Bereich gehören auch die Container- und Stückguttransporte. 2022 sagt die Prognose ein überdurchschnittliches Wachstum in Höhe von 6,0 Prozent voraus (siehe Grafik Seite 26). Im Straßengüterverkehr rechnen die Experten für 2022 in diesem Segment sogar mit einem Plus von 6,2 Prozent. 2023 flacht das Wachstum zwar spürbar ab, ist mit 2,9 Prozent aber immer noch ordentlich. Auf eine überdurchschnittlich gute Nachfrage können sich 2022 auch die Dienstleister einstellen, die für Auftraggeber aus dem Bereich Maschinenbau/langlebige Konsumgüter und aus der Stahlindustrie tätig sind. Dort soll der Prognose zufolge die Verkehrsleistung um 4,4 Prozent (Maschinenbau) beziehungsweise 3,9 Prozent steigen. 5 Wer profitiert besonders vom starken Wachstum im Straßengüterverkehr? 2022 nimmt die Güterverkehrsleistung im Straßengüterverkehr um 3,5 Prozent zu. Wie schon in der Vergangenheit profitieren vor allem ausländische Anbieter. Sie können ihre Verkehrsleistung um 4,8 Prozent steigern. Aber auch deutsche Fuhrunternehmen können sich angesichts eines Wachstums von 2,5 Prozent nicht beklagen. 2023 müssen sie sich allerdings mit einer halb so hohen Zuwachsrate zufriedengeben (1,2 Prozent). Die ausländischen Anbieter kommen auf ein Plus von 3,4 Prozent. 6 Immer wieder hört man, ausländische Anbieter würden die geltenden Kabotageregeln nicht beachten und deutsche Betriebe deshalb Marktanteile verlieren. Stimmt das? Jein. Zutreffend ist: Die Kabotagetransporte sind im Straßengüterverkehr das Segment, das am stärksten wächst: 2022 und 2023 um jeweils 6,2 Prozent. Aber: Die Verkehrsleistung bei der Kabotage steigt 2022 um 1,7 Milliarden (Mrd.) und 2023 um 1,9 Mrd. Tonnenkilometer. Deutsche Lkw sollen in den beiden Jahren per anno etwa 300 Mrd. Tonnenkilometer zurücklegen. Der Zuwachs bei der Kabotage entspricht also lediglich 0,6 Prozent der Verkehrsleistung deutscher Anbieter. Viel bedeutsamer ist der Verlust von Marktanteilen deutscher Anbieter im grenzüberschreitenden Verkehr. Selbstverständlich gibt es keinen Grund, Gesetzesüberschreitungen bei der Kabotage zu tolerieren. Doch den Eindruck zu erwecken, die Verfehlungen bei den Kabotagetransporten seien die Hauptursache für die Marktanteilsverluste deutscher Anbieter, ist nicht korrekt. Nicht vergessen sollte man zudem, dass Kabotage aus ökologischen Gründen durchaus seine Berechtigung hat. 7 Die neue Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel festgeschrieben, bis 2030 den Modal-Split der Bahn im Güterverkehr auf 25 Prozent anheben zu wollen. Ist das realistisch? Zu den Fakten: Der Modal-Split der Bahn betrug 2019 18,5 Prozent und sank 2020 auf 17,9 Prozent. Die Prognose der Intraplan-Experten lautet für die kommenden Jahre, dass dieser Wert über 18,3 Prozent (2021), 18,5 Prozent (2022) auf schließlich 18,6 Prozent (2023) steigt. Der Modal-Split würde also in vier Jahren um 0,1 Prozentpunkte zunehmen. Wollte man bis 2030 die 25 Prozent erreichen, wäre ab 2024 ein Anstieg um etwa 0,9 Prozentpunkte notwendig - pro Jahr, nicht verteilt auf die restlichen sieben Jahre. Ratzenberger hält zu der Zielgröße von 25 Prozent nüchtern fest: "Eine solche Nachfragesteigerung bei der Bahn ist nicht absehbar." Unter den gegebenen Rahmenbedingungen sei das Ziel "völlig illusorisch". Zwar sei ein starker Anstieg im Kombinierten Verkehr zu beobachten. Doch der reiche nicht aus. "Erschwerend kommt hinzu, dass weniger Massengüter transportiert werden. In diesem Segment ist die Bahn jedoch stark vertreten, weshalb hier mit Verlusten zu rechnen ist." Will man in die Nähe der 25 Prozent kommen, bedarf es aus Sicht von Ratzenberger anderer Rahmenbedingungen und damit politischer Eingriffe: "Dann müsste man die Schiene preislich günstiger oder die Wettbewerber ungünstiger machen. Allerdings ist das Ausmaß hier sicherlich begrenzt. Man muss aber auch die Kapazitäten auf der Schiene erweitern. Im derzeitigen Netz sind die angestrebten Zuwächse nicht zu bewältigen." Um möglichst schnell Erfolge zu erzielen, müsse dringend das Planungsrecht für den Bau neuer Terminals und Schienenwege vereinfacht werden. Doch selbst dann sei unsicher, ob die 25 Prozent erreicht werden. Denn viele Güter seien nicht verlagerbar, weil kein Gleisanschluss vorhanden oder die Transportdistanz zu kurz sei. Mehr zum Thema finden Sie unter #Wirtschaftslage www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die neueste Mittelfristprognose geht für 2022 von einem Wachstum der Güterverkehrsleistung in Höhe von 4,6 Prozent aus. Wir fragen den Autor der Studie, ob dieser Wert nicht etwas zu optimistisch ist. Und wir beantworten die Frage, wer im Straßengüterverkehr besonders vom Wachstum profitiert. 18,6 Prozent soll der Anteil der Schiene am Modal-Split im Jahr 2023 betragen.

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