Luft zum Atmen

Infolge der Corona-Pandemie erwarten Experten große Veränderungen der globalen Pharmamärkte. Der Fulfillment-Dienstleister Med-X-Press, spezialisiert auf das Outsourcing im Arzneimittelsektor, sieht sich dafür gut gewappnet: Sechs der zehn weltweit führenden Pharmaproduzenten gehören zu den Kunden des Familienunternehmens ebenso wie viele kleine und mittelständische Firmen. Zwar ist das Auslandsgeschäft für die deutsche Pharmaindustrie wichtiger als der Binnenmarkt, doch Vorratsbestellungen der Apotheken zu Beginn der Pandemie ließen allein im März den Inlandsumsatz um 20,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat explodieren. Bei Med-X-Press verdreifachte sich das Auftragsvolumen in dieser Zeit sogar. "Nach Ostern sind wir dann 'nur' auf Normalniveau zurückgefallen und haben im April - anders als befürchtet - eine schwarze Zahl geschrieben", erinnert sich Lars Dörhage, geschäftsführender Gesellschafter des Mittelständlers. In der Hochphase habe keiner seiner Mitarbeiter auf die Uhr geguckt, auch am Samstag wurde gearbeitet. "Wir lagern auch Krebsmittel. Alle wussten, wenn was liegenbleibt, dass Menschenleben dranhängen", fährt der gelernte Kaufmann im Groß- und Außenhandel fort. Zu Beginn der Krise erlebte Med-X-Press zudem eine Renaissance des Muster- und Werbemittelversands: "Weil der Außendienst der Pharmaindustrie im Homeoffice war, haben wir die Sachen versendet. Das lief bis Pfingsten und ist jetzt ebenfalls wieder auf Normalniveau", so der Firmenchef. Ältere Lkw-Fahrer sind willkommen Kurzarbeit habe das Unternehmen nicht anmelden müssen. Auch Entlassungen seien zu keinem Zeitpunkt geplant gewesen. Im Gegenteil: Im Kampf gegen Fachkräftemangel setzt das Unternehmen unter anderem auf die Einstellung älterer Lkw-Fahrer. Für jüngere Kollegen wurde eine Kindergroßtagespflege mit flexiblen Betreuungszeiten gegründet. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter wird bei Med-X-Press ebenfalls großgeschrieben. "Pro Jahr geben wir 40- bis 80.000 Euro für Fortbildungen aus - vom Englischkurs über Excel bis hin zur Zytostatika-Schulung oder den Fahrer-Modulschulungen", so Dörhage. "Zwei Kollegen bezahlen wir gerade den Lkw-Führerschein", ergänzt er. Derzeit finde wieder viel Weiterbildung vor Ort, aber auch in Webinaren statt. Basisschulungen wickelt Med-X-Press über das Unterweisungssystem "Sam" von Secova ab. Im Zuge der digitalen Transformation führt die siebenköpfige IT-Abteilung zurzeit auch ein neues Warenwirtschaftssystem ein. "Parallel stellen wir von der Belegkommissionierung auf Scannertechnik und Röllchenbahnen um. Auch die Webshops für unsere Kunden wollen wir verbessern", berichtet Dörhage. Behörden können Lagerung anordnen Auch dank Corona bleiben die temperaturgeführte Lagerung sowie die internationale Distribution von Arzneimitteln, Gesundheitsprodukten und Werbemitteln weiter gefragt. Fachleute gehen in Europa von einem deutlichen Zuwachs an Produktions- und Lagerkapazitäten für Pharmaprodukte aus, um die Abhängigkeit aus Übersee zu verringern. Nach dem neuen Arzneimittelgesetz können Behörden sogar eine Lagerhaltung bestimmter Präparate anordnen. "Die Lagerbestände gehen noch immer hoch. Ich bin sicher, dass mehr nach Europa verlagert wird", bestätigt Dörhage. Vor allem lagerten die Hersteller mehr pharmazeutische Wirkstoffe, sogenannte APIs (Active Pharmaceutical Ingredients), selbst, während Fertigwaren mehr an die Lagerdienstleister übergeben würden, die auch die Verteillogistik übernehmen. Darin sieht Dörhage einen Trend für die nächsten Jahre. Kundennachfrage legt deutlich zu Allein in den vergangenen drei Monaten hätten einige kleinere Kunden mehr Lagerkapazität angefragt, zwei davon im Kühlbereich. "Die Anfragen reichten von 30 Paletten bis hin zu 600, es sind noch mal 1500 im Gespräch", so der Firmenchef. Auch Zusatzservices wie die Spritzensichtung oder das Umverpacken von Arzneimitteln übernimmt Med-X-Press. Der Pharmalogistiker verfügt über eine Großhandels- sowie eine Herstellungserlaubnis nach dem deutschen Arzneimittelgesetz. Zudem erfüllt das Unternehmen die EU-Leitlinien für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (Good Distribution Practice - GDP) sowie für die gute Herstellungspraxis im pharmazeutischen Umfeld (Good Manufacturing Practice - GMP). Die größten Herausforderungen bei Lagerung und Transport im Pharmabereich sind laut Dörhage die Temperaturführung, -überwachung und Dokumentation. "Manche Konkurrenten arbeiten mit Risikoanalysen oder überwachen die Temperatur mit marktüblichen Handthermometern", betont der Unternehmenslenker. Wettbewerber teils zu lax unterwegs Auch beim Qualitätsmanagement bis hin zu den Bezugsquellen sind ihm zufolge viele Marktakteure oft ein wenig lax unterwegs. Unterschiede finden sich auch bei Randthemen wie Pest Control oder Zutrittsbeschränkungen, so der Experte. Med-X-Press setze dagegen ausschließlich auf temperaturgeführte, redundant ausgelegte Systeme. Noch nie habe es einen Ausfall gegeben. Die vorgeschriebenen Sicherheitsstandards übererfülle das Unternehmen mit Einzäunung, Wachdienst und Kameraüberwachung. In der anspruchsvollen Betäubungsmittel-Logistik werden sogar alle Bereiche inklusive der Kommissionierung komplett überwacht. 2010 wurde der erste "Hochsicherheitstrakt" für Betäubungsmittel (BtM) gebaut und 2017 um ein zweites Lager erweitert. Das dritte BtM-Lager ist geplant. Die eingesetzte Überwachungslösung schlug ein befreundeter Berater von Bosch vor und tilgte so die anfängliche Skepsis des Firmengründers bezüglich der Haftungsrisiken. Laut Dörhage hat sich das System schon bezahlt gemacht: "Seit dem Start im April 2010 hat bei uns noch keine Packung gefehlt. Bei allen Rückfragen konnten wir uns entlasten", berichtet er. Das sorge für eine positive Marktresonanz. Inzwischen zählen zehn Cannabis-Hersteller zu den Kunden. Polizei und BtM-Zollstelle als Nachbarn Einbrüche habe es bisher nicht gegeben, nur Fehlalarme, versehentlich von eigenen Mitarbeitern ausgelöst. Dabei habe sich gezeigt: "Nur eine bis drei Minuten braucht die Polizei, um bei uns zu sein. Die sind nur einen Kilometer entfernt", erklärt der Firmenchef. Nicht ganz unbeteiligt sei sein Unternehmen auch daran gewesen, das Zollamt in Goslar zu einer für den BtM-Verkehr befugten Zollstelle zu machen. "Das ist ein weiterer Standortvorteil für viele BtM-Kunden, die Ware aus Serbien oder Kanada importieren. Beschau und Freigabe können vor Ort erfolgen", so Dörhage. Mit dem Inkrafttreten der EU-Fälschungsschutz-Richtlinie Anfang 2019 investierte Med-X-Press zudem in zwei Serialisierungslinien, die 2019 und 2020 in Betrieb gingen. Schon seit Ende 2016 übernimmt der Dienstleister den Aufdruck von 2-D-Codes und das Anbringen von Originalitätsverschlüssen in GMP-Qualität für eine End-to-End-Verifizierung verschreibungspflichtiger Medikamente. Hier hat Med-X-Press noch Luft nach oben: "Auf beiden Linien könnten wir auf die Nachtschicht ausweiten", berichtet Dörhage. Installation und Pflege von Webshops Auch im IT-Sektor ist Med-X-Press aktiv, etwa mit der Installation und Pflege von B2B- und B2C-Webshops - eine Dienstleistung im Verbund mit der 2014 gegründeten Tochtergesellschaft MXP Werbemittel. Weitere Leistungen sind der Mailing- und Musterversand. "Unsere Kunden fragen immer häufiger Komplettlösungen an. Dank der Niederlassung in der Schweiz und dem geplanten Eintritt in den österreichischen Markt können wir künftig die ganze DACH-Region abdecken", so Dörhage. Eine Expansion außerhalb Europas schließt er nicht aus. "Wir prüfen das im Einzelfall", betont der Firmenchef. Hierzulande hat Med-X-Press Anfang Juli mit neun Partnern das Spezialnetz für temperaturgeführte Stückguttransporte GDP Network Solutions gestartet (siehe Artikel auf Seite 16). Auch hier war der Wunsch vieler Kunden nach einem integrierten Transportangebot für Paletten und Pakete der Auslöser, berichtet der Med-X-Press-Chef. In der Vergangenheit habe sein Unternehmen sogar einen Auftrag verloren, weil es keinen Transportbereich hatte. Dagegen hatte sich der Firmengründer lange gesträubt. Doch letztlich setzte sich sein Sohn mit der neuen Partnerschaft durch. "Die größten Vorteile sind die Flexibilität und die Unabhängigkeit von anderen Dienstleistern", betont Lars Dörhage. "Das sind alles mittelständische Unternehmen, Leute, die so ticken wie wir. Sie vermitteln uns Kontakte und unterstützen uns. Es gibt große Synergieeffekte, etwa in den Bereichen Herstellung, Betäubungsmittel oder Kühlware", fährt er fort. Zusammenarbeit mit Transoflex bleibt Für einige der GDP-Partner war bisher Transoflex (TOF) der Dienstleister in der Distribution. Daran werde sich bei Med-X-Press künftig nichts ändern. Zwar seien beide Unternehmen schon seit Jahren Wettbewerber, seit TOF in Alzenau eine Serialisierungslinie gestartet hat, doch sieht er den Dienstleister nicht als Konkurrenz. Wichtig ist Dörhage jedoch: "Wir werden nicht in Preiskämpfe eintreten." Anders als viele Wettbewerber sei das neue Netzwerk nicht auf Massenkunden ausgelegt. "Bei uns fängt es mit einer Palette an und geht bis zu 1800 Paletten", bringt es der Firmenlenker auf den Punkt. Zwar betreibe sein Unternehmen bereits Lkw, um unter anderem für die Goslarer Asklepios-Kliniken Transportservices zu übernehmen. Eine Premiere sei aber der neue Trailer, mit dem das Unternehmen die erste eigene Nachtlinie zwischen Goslar und dem Hub des Netzwerkes in Kassel bedient. "Wir können nun Gesamtlösungen anbieten aus Transport und Lagerhaltung. Das wird uns noch mal Marktanteile sichern", ist Dörhage überzeugt. Im Kerngeschäft könne der Markt aber enger werden, wenn Hersteller mehr Fertigarzneimittel auslagern. "Ich denke aber, es ist für alle genug Luft zum Atmen da", meint der Firmenchef abschließend. Mehr zum Thema finden Sie unter #Pharmalogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Das Kerngeschäft von Med-X-Press, die temperaturgeführte Lagerung sowie die internationale Distribution von Arzneimitteln, Gesundheitsprodukten und Werbemitteln, bleibt dank Corona weiter auf Kurs: Fachleute gehen infolge der Pandemie in Europa von einem deutlichen Zuwachs von Produktionsstätten für Pharmaprodukte und Lagerkapazitäten aus. Zum Unternehmen: Med-X-Press Seit 15 Jahren gibt es den Pharmalogistiker Med-X-Press mit Sitz in Goslar. 2005 startete Karl-Heinz Dörhage, zuvor als Leiter des Healthcare-Sektors bei DHL tätig, mit drei Mitarbeitern - heute sind es 330 an sieben Standorten in der Region. Anfangs konzentrierte sich der Gründer auf den Musterversand von Arzneimitteln für Pharmahersteller. Mit der Entwicklung neuer Geschäftsbereiche für Kunden aus der Pharma- und Healthcare-Branche wuchsen die Lagerkapazitäten an sieben Standorten in der Region. 2009 holte Dörhage seinen Sohn Lars in die Chefetage und übergab ihm Mitte 2019 die Firmenleitung. Zusammen mit Christian Frede - seit 2012 bei Med-X-Press - feilt er heute an der Digitalisierung und Internationalisierung des Unternehmens: 2014 gründete Med-X-Press die Tochter MXP Werbemittel unter anderem für die Installation und Organisation von B2B- und B2C-Webshops. 2016 eröffnete das Unternehmen eine Dependance in der Schweiz. Der Markteintritt in Österreich ist in Planung. akw

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