Lohnt sich aktuell der Rechtsweg?

Die Zeit für Unternehmen, die möglicherweise zu viel gezahlte Lkw-Maut zurückfordern wollen, läuft: Vor Weihnachten wiesen einige Anwälte darauf hin, dass zum Jahreswechsel Ansprüche auf eine Erstattung der Straßennutzungsgebühr aus 2017 verjährt seien, die sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. Oktober 2020 ergeben könnten. Der EuGH hatte anlässlich einer Klage der polnischen Spedition Abtrans am Oberverwaltungsgericht (OVG) von NRW klargestellt, dass die Bundesregierung die Lkw-Maut in der Vergangenheit falsch berechnet hat. Die Kosten für die Verkehrspolizei dürften bei der Erhebung nicht mit einkalkuliert werden. Aktuell spekulieren Tausende Lkw-Maut-Zahler, dass sie Geld wiederbekommen. Möglich sein soll das noch für die Jahre ab 2018. Doch lohnt sich der Rechtsweg in der Angelegenheit wirklich? Wir machen den Faktencheck und zeigen drei Knackpunkte auf, die sich Transport- und Speditionsunternehmen bewusst machen sollten: Punkt 1: Noch gibt es kein deutsches Urteil Wie der Prozess vor dem OVG in Münster ausgeht, ist noch unklar. Dort prüfen die Richter derzeit die EuGH-Antwort, die sie wegen Unsicherheiten bei der Auslegung des EU-Rechts angefragt hatten. Eine Sprecherin sagte, wie und wann es weitergehe, sei nicht absehbar. Martin Pfnür, Kläger-Anwalt und Partner der gleichnamigen Kanzlei in Görlitz, und die Rechtsvertreter der beklagten Bundesrepublik Deutschland hatten bis zum Jahresende Zeit, sich dazu zu äußern. Ziel sei eine Entscheidung im Fall Albtrans im Jahr 2021, so die OVG-Sprecherin. Einige Beobachter reden dennoch schon jetzt von einem Präzedenzfall, auf den sich alle Unternehmen berufen könnten, die Lkw-Maut in Deutschland bezahlt haben, und der den Staat sehr viel Geld kosten könnte. Der EuGH teilte mit, dass Unternehmen die Mautgebühren vor deutschen Gerichten grundsätzlich anfechten können. Das Urteil aus Luxemburg zur Auslegung des europäischen Rechts ist für nationale Gerichte verbindlich. Bei Klagen gegen die Lkw-Maut hatte die deutsche Regierung jedoch in der Vergangenheit versucht gerichtliche Entscheidungen zu verhindern. "Der Bund hatte die Verfahren mit außergerichtlichen Einigungen beendet, um eine Klärung zu verhindern und das Risiko größerer finanzieller Schäden zu begrenzen", betonte Pfnür im vergangenen Jahr. Der Kläger-Anwalt will sich nicht mit einem "Schweigegeld" für seine Mandanten begnügen. Er strebt ein rechtskräftiges Urteil an, auf das sich andere Unternehmen berufen können, die im Werk- und Güterverkehr unterwegs sind. Eine anderweitige Einigung mit dem Bund erscheint ihm nach sieben Jahren des Verfahrens ausgeschlossen. Der Fall von Albtrans dient als Musterverfahren für weitere polnische Speditionen, die auch einen Teil der gezahlten Lkw-Maut zurückverlangen. Pfnür hat insgesamt acht Klagen erhoben, bei denen die Argumentation gleich gelagert ist. "Das EuGH-Urteil ist ein wichtiger Etappensieg auf dem Weg zur Mauterstattung für die Jahre 2010 und 2011, die wir für unsere Klienten erreichen wollten", erklärt er. Das weitere Gerichtsverfahren bleibe abzuwarten. Er ist optimistisch, dass sich die Wertung der Luxemburger Richter zu den Polizeikosten in der deutschen Lkw-Maut-Kalkulation auch auf die Wegekostengutachten der späteren Jahre übertragen lässt. Denn diese beziehen bis heute nicht nur die reinen Infrastrukturkosten ein, sondern auch die umstrittenen Polizeikosten. Punkt 2: Es kostet Zeit und mitunter Geld Wer eventuelle Erstattungsansprüche nach dem EuGH-Urteil zur überhöhten deutschen Lkw-Maut geltend machen und dauerhaft sichern will, muss dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) schreiben. Er sollte in Köln schriftlich eine Rückzahlung von zu Unrecht entrichteten Straßennutzungsgebühren beantragen. Aufgrund der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren ist es für Anspruchsteller, die jetzt aktiv werden, vermutlich nicht mehr möglich, Lkw-Maut aus 2017 wiederzubekommen. Ein ausdrücklicher Verzicht des BAG auf die Einrede der Verjährung ist aus Sicht von Branchenverbänden nicht erforderlich. Wenn die Behörde nach dem Abschluss des Lkw-Maut-Prozesses eine Forderung per Bescheid abweisen sollte, steht den Betroffenen der Weg für eine eigene Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland offen. Der einfachste Weg ist, es selbst per Einwurfeinschreiben zu machen und Mustervorlagen zur Hilfe zu nehmen, die Branchenverbände ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Vor Weihnachten hat das BAG nach Aussage der Verbände bereits auf schriftliche Anträge bestätigt, dass die Verjährung eventueller Erstattungsansprüche bis zum rechtskräftigen Abschluss des OVG-Verfahrens gehemmt bleibt. Rechtsexperten halten es für möglich, dass die Lkw-Maut-Klage noch bis vor das Bundesverwaltungsgericht geht. Sofern die Vertreter des Bundes in Berufung gehen und die höchste Instanz in Deutschland final entscheiden muss, kann es nochmals Jahre dauern. Für eine professionelle und rechtssichere Kommunikation bieten viele Kanzleien ihre Dienste an. Sie wollen die Ansprüche von Mandanten im Zweifel auch gerichtlich durchsetzen. "Dass der Bund von sich aus zu viel gezahlte Gebühren zurückzahlt, dürfte äußerst unwahrscheinlich sein", gibt Sascha Schiller, Rechtsanwalt der Kanzlei Schiller & Gloistein, zu bedenken. Eine juristische Vertretung kostet allerdings mindestens einige Hundert Euro. Wenn es vor Gericht geht, werden daraus je nach Streitwert leicht mehrere Tausend Euro. Angesichts der finanziellen Not mancher Transport- und Speditionsunternehmer in der Corona-Krise planen Rechtsvertreter wie Schiller derzeit auch erfolgsabhängige Massenverfahren auf Provisionsbasis. Ansprüche von Mandanten werden hier gebündelt und sie müssen nur zahlen, wenn das BAG tatsächlich Lkw-Maut erstattet. Der Legal-Tech-Dienstleister E-Claim bietet zusammen mit der Kanzlei Hausfeld zum Beispiel so ein Modell an, das für Interessenten zunächst kostenlos ist. Über das Internetportal Mautzurueck.de können sich Transport- und Speditionsunternehmen registrieren und die Rückforderung der zu viel gezahlten Lkw-Maut geltend machen. Hat dies Erfolg, behält E-Claim zwischen 15 und 33 Prozent des Geldes ein - je nachdem, ob eine außergerichtliche Verhandlungslösung erreicht werden kann oder sogar in jedem einzelnen Fall geklagt werden muss. Mitglieder der Verkehrsverbände zahlen .. etwas weniger. Den Rest erhält der Mandant. Vier bis sieben Prozent der Lkw-Maut-Einnahmen, so schätzen Experten, müsse der Bund zurückzahlen. Um welche Summen geht es letztlich? Hausfeld-Rechtsanwalt Alex Petrasincu bringt ein Beispiel: "Ein Transportunternehmen mit fünf Euro-6-Lkw, von denen jeder pro Jahr 30.000 Kilometer auf deutschen Autobahnen fährt, hätte von 2017 bis Ende dieses Jahres insgesamt mindestens 3864 Euro zu viel an Maut gezahlt." Unter dem Strich bleiben ihm nach Abzug der Provision bestenfalls 3284,40 Euro und im kompliziertesten Fall noch 2588,80 Euro. Zugleich sollten sich Interessenten dieses Rechtswegs bewusst sein, dass sie mitunter vor dem Start die Lkw-Maut-Abrechnungen von früher vorlegen müssen. Sofern Unternehmen diese nicht regelmäßig gespeichert und digitalisiert haben, braucht es gewisse Zeit für die Recherche und Aufbereitung. Toll Collect stellt über die im Online-Kunden-Portal abrufbaren Abrechnungsdokumente der vergangenen 24 Monate hinaus auch ältere Daten zur Verfügung. Das kostet fünf Euro pro ausgewiesenem Monat. Die Daten sind nötig, um im Zweifel vor Gericht den jeweiligen Erstattungsanspruch nachweisen zu können, der von der Schadstoffklasse der Fahrzeuge, der Anzahl seiner Achsen und der gefahrenen Strecke abhängt. Punkt 3: Aufraggeber fordern ihren Anteil Die Lkw-Maut-Forderungen der Transport- und Speditionsunternehmen bleiben nicht unbemerkt. Einige verladende Unternehmen wollen im Fall erfolgreicher Mauterstattungen einen Teil abhaben und melden bereits bei den Geschäftspartnern, die für sie fahren, eigene Ansprüche an. Auch einige Großspediteure fragen bei ihren Frachtführern derzeit nach, ob sie eventuell zu viel gezahlte Lkw-Maut zurückfordern werden oder nicht. Hans-Dieter Otto will da nicht mitmachen. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition im thüringischen Nordhausen meint, der bürokratische Aufwand und der finanzielle Ertrag stünden unter dieser Voraussetzung in keinem Verhältnis. "Bei kleineren Transportunternehmen mit fünf Fahrzeugen geht es vielleicht um rund 2500 Euro Lkw-Maut-Erstattung pro Jahr - wovon die Kunden einen Teil haben wollen und noch Steuern abgehen." Gleichzeitig müsse eine Buchhaltung laut Otto bis zu zwei Arbeitstage einplanen, um Toll-Collect-Mautaufstellungen für den betreffenden Zeitraum aufzubereiten und über eine Internetseite an einen Rechtsvertreter zu übermitteln. "Wenn man die Verwaltungskosten abzieht, bleiben noch rund 1000 Euro pro Jahr von der Mautrückzahlung übrig", rechnet der Spediteur vor. Der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) stellte indes grundsätzlich klar, dass die Auftraggeber mautpflichtiger Beförderungsleistungen keinen direkten Anspruch auf eine staatliche Rückzahlung haben. "Unmittelbar anspruchsberechtigt gegenüber dem BAG sind nur solche Unternehmen, die zum Beispiel als Transportunternehmen auch tatsächlich Mautschuldner sind und deshalb die Lkw-Maut auch direkt bezahlt haben", betonte der DSLV. Dies gelte im Übrigen auch für Mieter von Lkw, die ebenfalls nicht direkt Maut gezahlt hätten, so der Speditonsverband. Indirekte Forderungen von Verladern und Spediteuren an deren jeweilige Auftragnehmer seien nur dann zulässig, wenn die Lkw-Maut im Verkehrsvertrag neben der Vergütung speditioneller Leistungen als separater Kostenpunkt ausgewiesen wurde. "Aber auch hier muss der Anspruchsteller erst einmal konkret darlegen, für welchen Auftrag in welcher Höhe er Rückzahlungen fordert", teilte der DSLV vor dem Jahreswechsel per Rundschreiben mit. Und auch dies habe Grenzen: "Denn die Verjährungsfrist ist für solche Ansprüche im Regelfall auf ein Jahr beschränkt." Die Verjährung beginnt aus Sicht des Branchenverbandes mit der Zahlung an den Dienstleister. Unberechtigt seien dagegen Ansprüche von Auftraggebern, die im Verkehrsvertrag eine Fixkostenabrede vereinbart haben, wonach mit der Gesamtvergütung alle Kosten abgegolten sind, die mit der Güterbeförderung zusammenhängen. In solchen Fällen wurden typischerweise pauschalisierte Rechnungen ausgestellt. Mehr zum Thema finden Sie unter #Lkw-Maut www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Unternehmen, die in der Vergangenheit Lkw-Maut gezahlt haben, können womöglich nun einen Teil des Geldes zurückfordern. Denn der EuGH hat vergangenen Herbst Fehler bei der deutschen Wegekostenkalkulation bestätigt. Die Chancen auf eine Erstattung sind allerdings noch unklar und der Rechtsweg kostet Zeit und mitunter Geld. Online-Tipp Musterschreiben Der Mittelstandsverbund bietet auf seiner Internetseite für Unternehmen, die Ansprüche auf Erstattung der Lkw-Maut für die Jahre bis 2019 beim BAG geltend machen wollen, ein frei zugängliches Musterschreiben an. Darin müssen Unternehmer nur noch ihre Angaben (unter anderem Kontonummer) und ihre Toll-Collect-Benutzernummer ergänzen.Auch die Verkehrsverbände BGL, BWVL und DSLV bieten ihren Mitgliedsunternehmen einen solchen Service an. Das kostenlose und für alle online verfügbare Dokument des Mittelstandsverbundes lässt sich herunterladen unter:www.mittelstandsverbund.de

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