KI-Forschung im Supply-Chain-Management: "Brauchen einen Denkwandel"

Herr Pflaum, wie ist der aktuelle Stand der KI-Forschung im Supply-Chain-Management? Im SCM wird KI für Preisprognosen, Bedarfs- und Absatzprognosen, Prognose von Prozessparametern in Transport-, Umschlag-, Lager- und natürlich auch in Produktionsprozessen eingesetzt. In all diesen Bereichen haben wir in den vergangenen Jahren am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen bzw. im Bereich Supply Chain Services Forschungs- und Entwicklungsprojekte durchgeführt. Im Supply-Chain-Design und im Supply-Chain-Risk-Management setzen wir zudem GeoAI ein. Wichtig ist, die Ergebnisse der Prognoseprozesse im Anschluss bei der Optimierung von Supply-Chain-Prozessen zu verwenden und so eine völlig neue Qualität informationstechnischer Unterstützung zu schaffen. Inzwischen existiert eine breite Palette von Anwendungen und Methoden. Die Fortschritte, die in den vergangenen zwanzig Jahren bezüglich des Einsatzes moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gemacht worden sind, sind mehr als beeindruckend. Während wir uns vor der Jahrtausendwende noch mit der Realisierung einfacher barcodebasierter Sendungsverfolgungssysteme beschäftigt haben, geht es heute um die Konzeption und Implementierung komplexer Supply Chain Control Towers. Internet-der-Dinge-Technologien und besonders auch AI werden hier eingesetzt, um vor allem die Schnittstellen zwischen Unternehmen in der End-to-End Supply Chain besser in den Griff zu bekommen. Was sind die größten Herausforderungen dabei? Herausfordernd ist vor allem, an die für Prognose und Optimierung erforderlichen Daten heranzukommen. AI braucht granulare und qualitativ hochwertige Daten, um zuverlässig hochwertige Ergebnisse zu generieren. Oft scheitert es noch an der Verfügbarkeit solcher Daten. Beispielsweise können mithilfe von Risk-Management-Plattformen und KI nur Störungen bis zur First-Tier-Ebene erkannt beziehungsweise prognostiziert werden. Wenn beispielsweise der Zulieferer meines Zulieferers mit seiner Ware im Suez-Kanal stecken bleibt, erkennen das die heute verfügbaren und hochautomatisierten Systeme leider nicht. Was muss sich ändern? Hierfür müssten von den Unternehmen Daten in viel größerem Maßstab entlang der gesamten Versorgungskette - idealerweise von der Urproduktion bis hin zum Recycling - geteilt werden. Die technischen Voraussetzungen für das Teilen der Daten werden zwar mit den Gaia-X-Projekten der Bundesregierung bzw. der Europäischen Union geschaffen, in der Praxis fehlt aber letztlich häufig die Bereitschaft. Hier ist ein Denkwandel erforderlich. Die KI wird ihr vollständiges Potenzial erst dann ausspielen können, wenn dieser Denkwandel vollzogen ist. Wie schätzen Sie das Potenzial von KI in der Transportlogistik ein? Im Rahmen der Digitalisierung des Transportgewerbes sind digitale Plattformen für die Vermittlung von Frachtkapazitäten, Plattformen für das Risk-Management, Plattformen für die unternehmensübergreifende Integration von Datensilos und IoT-Plattformen für Tracking und Tracing von Containern und anderen Behältern entstanden. Auf allen diesen Plattformen kann auch KI zum Einsatz kommen. Machine-Learning-Verfahren können für Vermittlungsprozesse oder für die Prognose von Risiken herangezogen werden, welche bei Eintritt die Performance von Transportprozessen empfindlich beeinflussen. Auch hierfür werden allerdings Daten in hoher Granularität und Qualität benötigt. In diesem Zusammenhang sind gerade im Bereich des Trackings und Tracings in der Vergangenheit beachtliche Schritte gemacht worden. Welche sind das konkret? Beispielsweise kommen inzwischen auf Seecontainern energieautonome Telematikmodule flächendeckend zum Einsatz, welche in großen Mengen Daten generieren und für Visibility sorgen. Hapag-Lloyd geht hier als Pionier voran. Die Daten, die entlang des gesamten Transportprozesses - auch auf der Straße - generiert werden, sind eine hervorragende Basis für den Einsatz von KI-Algorithmen, zum Beispiel für eine bessere Prognose von Ankunftszeiten beim Empfänger der im Container verpackten Güter. Die gleiche Technologie könnte zukünftig auch bei Wechselbrücken und langfristig auch auf kleineren Behältern zum Einsatz kommen. Bei Transporten, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, kommt es natürlich wieder auf die Bereitschaft an, Daten zu teilen. Das ist sicher wünschenswert - aber auch realistisch? Durchaus. In der Luftfracht geht das bereits. Die International Air Transport Association IATA hat beispielsweise das Projekt One Record initiiert, bei dem alle Teilnehmer nicht mehr eigene Trackingsysteme nutzen, sondern ein übergreifendes, vollständig dezentralisiertes System, bei dem alle Player ihre Datenhoheit behalten. Das ist sehr beachtenswert. Hier kommt die SOLID-Technologie zum Einsatz. SOLID steht für Social Linked Data. Diese Technologie kann herangezogen werden, um die in den Gaia-X-Projekten entwickelten Konzepte technisch sauber umzusetzen. Grundsätzlich wäre es denkbar, das sehr zukunftsorientierte Konzept der IATA auch für andere Verkehrsträger wie Straße und Schiene umzusetzen. Welche Rolle spielen Sprachmodelle für die Logistik? Große Sprachmodelle wie ChatGPT können zum Beispiel für die Kommunikation zwischen technischen Systemen und dem menschlichen Nutzer herangezogen werden. Mensch-Maschine-Schnittstellen werden also zukünftig in allen Bereichen, nicht nur in der Logistik, völlig anders aussehen. Die Branche muss sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Darüber hinaus steht im World Wide Web eine Vielzahl an für die Logistik relevanten Informationen zur Verfügung, die für das Training und die domänenspezifische Anpassung großer Sprachmodelle herangezogen werden können. Solche Modelle können dann beispielsweise auch im Rahmen strategischer und taktischer Entscheidungen genutzt werden, um bessere Entscheidungen zu treffen. Wir verwenden solche Modelle beispielsweise bei der Identifikation und Beschreibung von Trends und Entwicklungen in der Welt der Logistik. KI-Forschung in München Mitte Juli lud die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer IIS zu einer Vortragsreihe in die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München und einem anschließenden Get-together an ihren Münchener Standort. Dort arbeitet die Gruppe Data Efficient Automated Learning an mehr Effizienz von künstlicher Intelligenz im Lebenszyklus des KI-Systems, um so den Einsatz von KI im Produktions- und Logistikumfeld voranzutreiben. Das Fraunhofer IIS in München arbeitet dabei interdisziplinär mit der LMU zusammen - konkret mit den Lehrstühlen für Statistik und Data Science beziehungsweise für Datenbanksysteme und Data Mining, die durch die Professoren Bernd Bischl und Thomas Seidl geleitet werden. Bei der Veranstaltung gaben Prof. Thomas Seidl (Fraunhofer IIS), Prof. Alexander Martin (Institutsleiter Fraunhofer IIS), Prof. Bernd Bischl (LMU), Prof. Alexander Pflaum (Fraunhofer IIS) und Paulina Prantl (Fraunhofer IIS) Einblicke in die KI-Forschung am Standort München. Forschende des Fraunhofer IIS referierten darüber hinaus zu aktuellen Projekten. So zeigte Florian Karl, wie skalierbares Machine Learning bei der Qualitätskontrolle in der Platinenproduktion unterstützen kann. Malte Kemeter referierte zur automatisierten Fehlererkennung auf industriellen Röntgenbildern am Beispiel von Aluminiumfelgen. Sai Rahul Kaminwar demonstrierte, welch zentrale Rolle Machine Learning Operations (MLOps) dabei spielt, das volle Potenzial von eingesetzten maschinellen Lernmodellen auszuschöpfen.

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