IAA Transportation: Die Spannung steigt

Der 20. September ist für Techniker ein denkwürdiger Tag. Denn glaubt man den eifrigen Schreiberlein von Wikipedia, so hob im Jahre 1898 der designierte "Vater der Luftfahrt", Alberto Santos Dumont, an einem 20. September als erster Mensch auf der Welt mit einem Luftschiff ab. Ob die diesjährige IAA Transportation an jenem Datum wohl auch so geschichtsträchtig wird? Man wird es mit gewisser Vorsicht bezweifeln dürfen, auch wenn die Hersteller alles dafür tun, um die Spannung bis zur letzten Minute hochzuhalten. Auf den nächsten Seiten erhalten Sie jedenfalls einen großen Überblick über das, was die großen europäischen Hersteller für die Messe geplant haben. Eine der spannendsten Neuvorstellungen dürfte sich am Stand von Mercedes-Benz Trucks ( Halle H20, Stand A40) finden. Der Stuttgarter Hersteller präsentiert auf der IAA Transportation nämlich zum ersten Mal eine vollelektrisch betriebene Sattelzugmaschine - den eActros Long Haul. Dauert's wieder lang? Ein Blick zurück: Auf der IAA Nutzfahrzeuge 2016 gab Mercedes-Benz zum ersten Mal überhaupt Einblick in seine Elektro-Pläne. Der damals vorgestellte "Urban eTruck" ist der Vorläufer des heutigen eActros. Zwischen Messepremiere und Serienproduktion liegen also satte fünf Jahre. Es ist zu erwarten, dass es beim eActros Long Haul etwas schneller gehen dürfte. Die spärlichen Informationen, die aus Stuttgart in die Öffentlichkeit tröpfeln, besagen, dass man für die Sattelzugmaschine natürlich ein neues Konzept benötigte, dies aber keine Raketenwissenschaft darstelle. Sicher ist, dass Mercedes-Benz fortan auf Lithium-Eisenphosphat-Akkus setzt (was diese besonders macht, lesen Sie auch in einem gesonderten Artikel auf VerkehrsRundschau Plus). Um das abzukürzen: Freilich wird auch der eActros Long Haul zunächst eine Kundenerprobung durchlaufen - sollte danach aber zügig in Serienproduktion gehen. Denn: Die Konkurrenz schläft nicht. Nur ein paar hundert Kilometer entfernt hat sich MAN aufgemacht, ebenfalls auf dem Markt der E-Lkw mitzumischen. So zeigt der Münchner Hersteller auf der IAA Transportation ( Halle H12, Stand C20) ein buntes Portfolio, welches unter dem Arbeitstitel "simply more" aufgestellt wurde. Ob es dieses Motto gebraucht hätte, sei mal dahingestellt, jedenfalls verbirgt sich dahinter eine Präsentation mit emissionsfreien und zum Teil autonomen Lkw. Es wäre fast schon schade, wenn MAN dabei seine jüngst vorgestellte, ebenfalls vollelektrische Sattelzugmaschine auslassen würde. Das Modell, das sich optisch stark am TGX orientiert, soll 2024 offiziell auf den Markt gebracht werden. Dank Megawattladen, welches übrigens auch der Konkurrent aus Stuttgart beherrschen soll, sind laut MAN Tagesreichweiten von bis zu 800 Kilometern denkbar. Ende des kommenden Jahres, so der Plan, sollen die ersten Modelle des noch namenlosen, bis heute lediglich "eTruck" genannten Lkw vom Band rollen - in Kleinserie, versteht sich. Elektro aus Ulm In Ulm ist man in dieser Sache schon einen Schritt weiter. Zumindest augenscheinlich hatte das Konglomerat aus Iveco und Nikola schlicht auf eine Kundenerprobung verzichtet und den gemeinsamen E-Lkw mit dem Namen "Tre" einfach gleich in Serienproduktion geschickt. Der E-Lkw ist nun mittlerweile seit über einem Jahr bestellbar und wird auch schon innerhalb von Deutschland ausgeliefert. Die ersten Modelle gingen allesamt in die USA, wo Nikola seinen Hauptsitz hat. Auf der IAA Transportation legen Iveco und Nikola ( Halle H24, Stand A01) einen anderen Fokus. Wie bekannt wurde, zeigen die Partner unter anderem eine neue Version des Brennstoffzellen-Tre. Zur Erinnerung: Beim Start der Serienproduktion vor einem Jahr hatte Nikola bereits einen H2-Lkw vorgestellt. Nun gibt es aber wohl eine modifizierte Version zu sehen. Wann der Brennstoffzellen-Brummer auf den Markt kommen soll, ist noch unklar. Möglicherweise gibt es auf der IAA Transportation weitere Informationen dazu. Neuer Elektro-Schwede gesichtet Spannend dürfte auch das Messeprogramm von Marktbegleiter Scania sein. Die Schweden haben angekündigt, ihre neue Elektro-Sattelzugmaschine auf der IAA Transportation ( Halle H12, Stand C04) vorzustellen. Bislang hatte auch Scania lediglich E-Lkw im Verteilersegment im Portfolio. Anders als Daimler Truck oder MAN verzichtet Scania noch auf die Funktion des Megawattladens. Dennoch soll der Elektro-Greif mit bis zu 375 kW eine ordentliche Ladeleistung aufweisen. Diese braucht er auch - wollen die maximal 625 Kilowattstunden fassenden Akkus doch schnell wieder aufgeladen werden. Der bereits bestellbare Lkw wird laut Scania ab dem vierten Quartal des kommenden Jahres gebaut. Diesel mit kleiner Rolle Einen eher kleineren Anteil nehmen die Neuvorstellungen in Sachen Verbrennerantrieb ein. Trotzdem gibt es Neuigkeiten, zum Beispiel am Stand von DAF ( Halle H21, Stand A55). Die Niederländer hatten wie berichtet ihre völlig neu konzipierte Fernverkehrsbaureihe mit den Modellen XF, XG und XG+ auf den Markt gebracht. Die darin verkörperten technischen Verbesserungen wie etwa ein neues aerodynamisches Konzept werden sich dem Vernehmen nach auch in der neuen Serie für den Verteilerverkehr finden. Die Baureihe hört auf den Namen XD und wird auf der IAA Transportation erstmals öffentlich gezeigt. Neben den aerodynamischen Verbesserungen soll die Reihe auch andere technische Besonderheiten wie etwa das Kamerasystem von seinen großen Brüdern übernehmen. Die XD-Serie wird parallel zum bestehenden CF verkauft. Auch Ford Trucks zeigt seine Lkw auf der IAA Transportation ( Halle H21, Stand A10). Der marktjüngste aller europäischen Hersteller will vor allem sein Fernverkehrs-Modell F-Max bekannter machen. Jenes wird wohl mit einigen neuen Funktionen auf der Messe zu sehen sein. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Roadmap zum CO2-neutralen Transport, die Ford Trucks vorstellen will. Ein spannender Aspekt, denn jeder Marktbegleiter hat seine eigene Strategie schon mehr oder weniger publik gemacht. Bei Ford ist hingegen noch nicht bekannt, ob der Fokus eher auf elektrischen Antrieben liegt oder ob man sich einen gänzlich anderen Weg aussuchen will. Sicherheit geht vor Während sich die Konkurrenz vorwiegend auf das Thema Antriebe "stürzt", geht Volvo Trucks auf der IAA Transportation ( Halle H21, Stand A35) auch noch einen anderen Weg. Natürlich zeigen die Schweden ihr komplettes Elektro-Portfolio. Immerhin sind sie die Ersten, die vom kleinen Verteiler bis hin zum schweren Lkw alle Anwendungsfälle mit E-Antrieben abdecken können. Am Stand von Volvo wird es aber auch Einblicke in die Assistenzsysteme für Lastwagen geben. Hiervon hat Volvo einige zu bieten: So stellte der Hersteller erst kürzlich einen verbesserten Abbiegeassistenten vor, welcher - ebenfalls anders als mancher Marktbegleiter - nicht automatisch bremst, sollte sich neben dem Fahrzeug ein Mensch befinden. Ein weiterer, mutmaßlich recht stark frequentierter Stand findet sich in Halle 20. Hier ( Stand B18) stellt Volta Trucks seinen Verteiler-Lkw "Zero" vor. Auch dieser baut auf einer eigens entwickelten - Sie ahnen es bereits - Elektroplattform auf. Volta ist auf dem europäischen Markt noch recht unbekannt. Bislang fahren noch keine Lastwagen des Herstellers auf den hiesigen Straßen. Das könnte sich aber bald ändern, denn DB Schenker hat mit 1500 Fahrzeugen eine rekordverdächtige Flotte bei dem Start-up geordert. Das Prinzip des Zero ist ein bislang nur selten gesehenes: Der Fahrer sitzt verhältnismäßig nah am Boden und mittig in der Kabine. Davon verspricht man sich bei dem Hersteller eine nie dagewesene Übersicht und folglich auch Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Aktuell befindet sich der Zero in der Entwicklung. Erste Fahrzeuge sollen Anfang des kommenden Jahres an ausgewählte Kunden ausgeliefert werden. Es muss nicht alles neu sein Neben den bestehenden (oder auch neuen) OEMs tummeln sich auch einige Fremdausrüster auf der IAA Transportation. Dazu zählen alle Unternehmen, die bestehende Lkw umrüsten und ihnen einen neuen Antrieb spendieren. Einer dieser Hersteller ist Quantron aus Gersthofen bei Augsburg. Das Portfolio des Umrüsters umfasst den Unternehmensangaben nach sowohl batterielektrische als auch Brennstoffzellen-Lkw. Auf der IAA Transportation zeigt Quantron ( Halle H21, Stand B70) zum Beispiel den QHM BEV 50-392, ein batterieelektrischer Verteiler auf Basis des MAN TG3. Der Lkw erhält bei Quantron eine Batterie mit 392 Kilowattstunden Kapazität und soll bis zu 350 Kilometer Strecke pro Aufladung bewältigen. Auch aus dem Wasserstoff-Segment zeigt Quantron ein Fabrikat. Der Lkw wird einen Brennstoffzellenantrieb aufweisen - mehr ist noch nicht bekannt, weder das Grundmodell noch etwaige Details wie die Reichweite oder die Batteriekapazität. Mit dem Hersteller Pepper ( Halle 20, Stand A21) feiert ein neuer Anbieter auf der Transportation seine IAA-Premiere. Das Unternehmen bietet eine modulare Einheit an, mit der sich Lkw und auch Busse einfach von Diesel- auf Elektroantrieb umrüsten lassen sollen. Dies wird auch am fahrenden Beispiel demonstriert: Am Stand zeigt Pepper einen umgerüsteten Mercedes-Benz Actros MP3, außerdem ist für Messebesucher ein umgebauter Citaro 1 als Shuttlebus im Einsatz. Pepper gibt zudem an, dass sein Antriebsstrang auch für Brennstoffzellenfahrzeuge geeignet sei. Apropos Brennstoffzelle In diesem Segment ist seit neuestem noch ein weiterer Umrüster unterwegs. Paul Nutzfahrzeuge aus Vilshofen bei Passau ist eigentlich für seine Sonderfabrikate mit mehreren Achsen bekannt. Nun mischt Paul aber auch auf dem Markt der alternativen Antriebe mit und wird auf der IAA Transportation ( Freigelände, Stand K66) sein neuestes Werk vorstellen: den Paul Hydrogen Power Truck. Basis des Lkw ist ein Mercedes-Benz Atego. Das 15 Tonnen-Fahrgestell wird bei dem Umrüster mit einer Brennstoffzelle aus dem Hause Toyota versehen. In sechs Drucktanks (350 bar) können maximal 30 Kilogramm Wasserstoff gebunkert werden - eine Menge, die laut Paul für eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern im Solobetrieb reicht. Strom oder Verbrenner? Einen völlig anderen Weg als die Marktbegleiter schlägt das Start-up Keyou ein. Das junge Unternehmen aus dem Raum München setzt auf eine Kombination der verschiedenen Antriebstechniken: Es bleibt beim Verbrennungsmotor, dieser wird allerdings mit Wasserstoff befeuert. Diese Technologie ist nicht unbekannt: Einer VR-Recherche zufolge experimentieren einige Hersteller mit dieser Antriebsvariante. Allerdings, so stellte sich auch heraus, ist die Herausforderung gewaltig, denn Wasserstoff ist aufgrund seiner Eigenschaft nicht unbedingt leicht zu kontrollieren. Genau das will Keyou aber geschafft haben und zeigt auf der IAA ( Halle H12, Stand F60) zwei Prototypen: einen (für unsere Branche eher uninteressanten) Bus sowie einen Lkw auf Basis des Mercedes-Benz Actros. Der 18-Tonner wurde mit einem 7,8-Liter Motor ausgestattet, welcher über spezielle Modifikationen zur Verbrennung von Wasserstoff verfügt. Unterstützung bei dem Vorhaben erhielten die Tüftler von dem bereits erwähnten Unternehmen Paul Nutzfahrzeuge, welches die Fertigung des Lkw übernahm. Eine Besonderheit ist sicherlich, dass der Antriebsstrang laut Keyou ohne eine Abgasnachbehandlung auskommt - was ein Novum wäre, denn auch H2-Motoren stoßen Stickoxide aus. Endlich wieder IAA Es ist also alles angerichtet für eine spannende IAA Transportation. Vier Jahre lang musste das Publikum auf die Messe verzichten. Wir können schon jetzt versprechen: Es wird deutlich elektrischer oder, um es anders zu sagen: Die Spannung steigt im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Sie sich noch weiter informieren wollen, laden wir Sie gerne ein, durch unsere Dashboards auf unserer Homepage zu stöbern. Unter dem Menüpunkt "IAA" haben wir alle wichtigen Neuerscheinungen zusammengefasst. Was bringt er uns, der 20. September? Hoffentlich Besseres als jener Tag im Jahre 1898. Denn Alberto Santos Dumont hob an diesem Datum zwar das erste Mal mit seiner Erfindung ab - der Flug endete schlussendlich aber in einer Bruchlandung. Mehr zum Thema finden Sie unter #IAATransportation www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze 2018 fand die bislang letzte IAA für Güterverkehr - damals noch Nutzfahrzeuge genannt - statt. Mitte September folgt die Neuauflage. Der Entwicklungssprung könnte kaum größer sein. Denn auf der Messe wird das passieren, was auf der Straße wohl auch unausweichlich ist: Der Elektro verdrängt den Diesel. 1446 Stände finden sich im Ausstellerverzeichnis der IAA Transportation.

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