Höhere Lkw-Maut: "Wir in der Branche sind schockiert"

In Kürze Die Bundesregierung will zum 1. Dezember 2023 auf die Lkw-Maut erstmals einen CO2-Aufschlag in Höhe von 200 Euro pro Tonne CO2 erheben. Zusätzlich soll der nationale CO2-Preis zum 1. Januar 2024 auf 40 Euro pro Tonne steigen. Doch wie sinnvoll ist dies zum jetzigen Zeitpunkt? Entsetzen, Wut, ja sogar die nackte Existenzangst: Alles das schlägt einem entgegen, wenn man aktuell mit Unternehmern aus dem Transport-, Speditions- und Logistikgewerbe spricht. Grund dafür sind die Pläne der Bundesregierung zum neuen Maut-Aufschlag und zur CO2-Preisabgabe. Logistiker sprechen von Vertrauensbruch "Wir alle in der Branche sind schockiert, dass die Doppelbelastung jetzt doch kommt. Das haben wir so nicht erwartet", bringt es Siegfried Serrahn auf den Punkt. Er ist Geschäftsführer der Serrahn Spedition in Osnabrück, die im kleinen Schwerverkehr mit festen Transportpartnern insbesondere Stahl- und Betonteile in Deutschland und Westeuropa befördert. "Die Höhe der anstehenden Mehrkosten ist massiv. Das bedeutet für uns enorme Probleme, die Lkw-Maut bei unseren Auftraggebern umzusetzen. Aufgrund des Wettbewerbs in unserem Gewerbe ist das beileibe nicht so einfach, wie die Politik sich das vorstellt." Zumal der Zeitpunkt 1. Dezember 2023, zu dem die neue Lkw-Maut umgesetzt werden soll, "sehr unglücklich gewählt" sei. Vielfach bestünden Jahresverträge, die nun zwischen Auftraggebern und Frachtführern unterjährig neu verhandelt werden müssten. Im Moment sei die deutsche Wirtschaft ohnehin sehr fragil. Und dieser Druck werde an die Transporteure durchgereicht. "Nicht der beste Anbieter gewinnt aktuell die Ausschreibung, sondern der billigste." Fast noch schlimmer wiegt für den Osnabrücker Unternehmer und viele seiner Branchenkollegen der Vertrauensbruch. So hätten die drei Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag noch vereinbart, dass es zu keiner Doppelbelastung zusätzlich zur im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) schon bestehenden CO2-Abgabe kommen werde, erklärt Serrahn. Stattdessen soll nun der CO2-Preis zum Januar 2024 auf 40 Euro pro Tonne angehoben werden; vorgesehen waren eigentlich 35 Euro. Zusätzlich soll die Lkw-Maut ab Dezember 2023 einen Teilsatz für Kosten für verkehrsbedingte CO2-Emissionen beinhalten, wie es im Entwurf des Mautänderungsgesetzes der Bundesregierung heißt. Sprich: Die Mautsätze würden sich dadurch für die Unternehmen fast verdoppeln. Serrahn wörtlich: "Ich bin so verzweifelt, dass ich Ende des Jahres meinen Betrieb verkaufen werde. Ich habe die Schnauze voll wie noch nie in meinen 75 Lebensjahren!" Durchreichen der Lkw-Maut ist ein Muss Aufgeben ist für Daniel Hensel, Chef des Transport- und Logistikunternehmens Hensel Logistik in Grolsheim (16 eigene Euro-6-Lkw, 100 Mitarbeiter) indes keine Option. "Wir müssen diese Lkw-Maut-Mehrkosten an unsere Kunden weiter berechnen", stellt er klar. "Bei einer Erlösrendite von zwei Prozent, die wir im Gewerbe im Moment haben, können wir diese Mehrbelastungen nicht stemmen." So fallen in seinem Unternehmen schon heute jeden Monat pro Lkw im Fernverkehr rund 12.000 Euro Kosten an. 2000 Euro davon macht allein die Lkw-Maut aus. "Das entspricht rund 16 Prozent der gesamten Fahrzeugkosten", sagt er. Verdoppele sich der Lkw-Maut-Satz, wie aktuell vom Mautänderungsgesetz vorgesehen, machen die Maut-Kosten künftig sogar 26 Prozent der monatlichen Fahrzeugkosten aus. Konkret erhöhen sich bei Hensel dann, rechnet er vor, seine Mautkosten auf 40.000 bis 45.000 Euro im Monat. Analog dem Diesel-Floater, den er mit Kunden vereinbart habe, "werden wir also auch die neue Maut durchreichen." Letztlich sei diese ja eine Art Steuer, die das Transportgewerbe anstelle des Finanzamtes von Kunden quasi eintreiben müsse. Allein durch die Maut-Mehrkosten könnten laut Hensel die Stückgutpreise im hohen einstelligen Prozentbereich steigen und im Teil- und Komplettladungsbereich um bis zu 15 Prozent. "Ich hoffe sehr, dass es die Transportunternehmen nicht einmal in Erwägung ziehen, die höheren Mautpreise nicht an die Kunden durchzureichen. Schlichtweg weil es für die Betriebe nicht möglich ist", betont Kornelia Reifenberg, Partnerin der Strategie- und Marketingberatung Simon-Kucher & Partners. Denn es steige nicht nur die Lkw-Maut erheblich, sondern der höhere CO2-Preis auf den Diesel komme noch on top auf das Transportunternehmen zu. "Zumal beides externe Elemente sind, also Kostenfaktoren, die der Transporteur nicht beeinflussen kann. Beide tragen auch nicht zu dessen Wertschöpfung bei", erläutert die Preis- und Vertriebsexpertin. Gleichwohl würden die höhere Lkw-Maut und der steigende Dieselpreis "einen signifikanten Kostenanteil für Transportunternehmen ausmachen". "Diese Mehrkosten können die Betriebe nicht einfach wegschlucken. Es ist deshalb unumgänglich", betont sie, "dass die Lkw-Maut und die erhöhten Dieselpreise an die Kunden weitergereicht werden." Akzeptieren Verlader die Mehrkosten? Doch wie gut funktioniert das in der Praxis? Im Komplettladungsbereich sei das noch relativ einfach, weiß Transportunternehmer Hensel. "Wer da die Euroklasse seines Lkw und die Zahl seiner gefahrenen Kilometer kennt, kann auf Basis der Mauttabelle schnell ermitteln, welche Mauthöhe beim jeweiligen Transport anfällt - vorausgesetzt der Kunde bezahlt die komplette Strecke von A nach B sowie alle gefahrenen Last- und Leerkilometer. Schwieriger wird es mit der Maut-Umlegung bei Teilladungen und noch komplexer bei Stückgutsendungen. Da haben wir viele Diskussionen mit unseren Kunden, wie der Maut-Satz auf die einzelne Teilladung oder aber Stückgutsendung heruntergebrochen werden muss." Erschwerend komme hinzu, dass einige Kunden nicht bereit seien, etwaige An- oder auch Abfahrtskilometer zur Be- oder Entladestelle zu bezahlen. Wegen Maut-Mehrkosten: Spediteur Jonas Türling gibt auf Vor fünf Jahren hatte Jonas Türling sein eigenes Transportunternehmen in Ebern gegründet. Gestartet war er als Selbstfahrer; mittlerweile zählt sein Betrieb fünf eigene Sattelzugmaschinen und vier Mitarbeiter sowie drei Subunternehmer. "Wir haben schon immer mit niedriger Gewinn-Marge gearbeitet", sagt er. "Wenn wir zum 1. Dezember 2023 fast doppelt so viel Lkw-Maut bezahlen müssen als bisher, landen wir auf Null, vielleicht sogar im Minus. Da sehe ich für mein Unternehmen keine Zukunft mehr. Ich habe die Nase voll. Ich werde meine Firma jetzt verkaufen", kündigt der 28-Jährige gegenüber der VerkehrsRundschau an. Nur einen Lkw werde er behalten, damit sein Vater, den er als Fahrer angestellt hat, bis zur Rente weiter fahren könne. Er selbst werde sich künftig als Fahrlehrer verdingen. "Hunderte Male habe ich das Ganze durchgerechnet", sagt Türling. Und natürlich hätte er die Lkw-Maut gerne vollumfänglich an seine Kunden durchgereicht. "Die meisten Auftraggeber akzeptieren die Lkw-Maut aber nur für die Lastkilometer, nicht für die Leerkilometer." Sprich: Wenn sein Fahrer zu Kunden fährt, um dort eine Ladung abzuholen, kann er diese Anfahrtskilometer zum Beispiel nicht in Rechnung stellen. Auch wenn er nach Zustellung der Ladung keine Rückladung mehr findet, bleibt er auf seinen Mautkosten sitzen. "Nicht weil unsere Auftraggeber die Lkw-Maut nicht bezahlen wollen, sondern weil sie es nicht können." Denn auch diese könnten vielfach die Maut-Mehrbelastungen nicht im Markt durchreichen. "Und so wie mir ergeht es vielen kleinen, aber auch mittelgroßen Betrieben mit 20 und 30 Fahrzeugen. Das wird im kommenden Jahr eine riesige Pleitewelle geben", fürchtet er. "Dann werden wir viele leere Regale in den Geschäften sehen." "Die Auftraggeber werden, denke ich, die neue CO2-Lkw-Maut vollumfänglich akzeptieren. Sie sind doch auf leistungsfähige Dienstleister angewiesen", macht dagegen Jochen Quick Hoffnung. Quick ist Baustoffhändler und Baulogistiker und steht an der Spitze des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Zudem wisse jedes Unternehmen, das im Werkverkehr tätig sei, dass die neue Mehrbelastung nicht in Eigenregie zu schultern sei. Das würden die Margen bei vielen Transporten im Werkverkehr auch nicht hergeben. "Den Verladern wird also nichts anderes übrig bleiben, als eine faire Kostenteilung mit ihren Dienstleistern oder aber mit ihrem Eigenfuhrpark umzusetzen", räumt Quick unumwunden ein. Am Ende würden sowieso wieder die Verbraucher die Zeche bezahlen müssen, was die ohnehin hohe Inflationsrate sicher nicht senken werde. Umso mehr ärgert es Quick, dass die Bundesregierung die anstehende Mauterhöhung so klein rechne und behaupte, dass sich dies nur geringfügig auf die Produktpreise niederschlagen würde. "Richtig ist, dass Transporte in Deutschland durch die neue CO2-Lkw-Maut um fast acht Milliarden Euro teurer werden! Das ist ein Riesenbrocken", warnt der BWVL-Präsident. Was Quick besonders erbost: "Durch die unterstellte Lenkungswirkung einer sehr teuren CO2-Maut von den Verbrenner-Lkw hin zu Lkw mit alternativen Antrieben wird eine rein ideologisch getriebene Denkweise zum Schaden der gesamten Wirtschaft umgesetzt ohne jeglichen Nutzen für das Klima. Das ist politisches Wunschdenken", kritisiert er. Denn bis auf Weiteres gebe es nun einmal keine Alternativen in nennenswerter Stückzahl zum Verbrenner-Lkw. "Die Lenkungswirkung wird vermutlich gering sein" Thomas Puls, Senior Economist Themencluster Digitalisierung & Klimawandel beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln Die Lkw-Maut wird künftig an die Höhe des CO2-Ausstoßes gekoppelt. So sieht es die Gesetzesänderung vor, mit der die Bundesregierung den Umstieg auf klimaneutrale Antriebe beschleunigen will. Wird ihr das gelingen? Emissionsfreie Lkw sollen zwar nach dem Willen der Bundesregierung bis Dezember 2025 vollständig von der Maut befreit werden. Die Lenkungswirkung wird aber vermutlich gering sein. Schlichtweg, weil es derzeit am entsprechenden Fahrzeug-Angebot mangelt. Emissionsfreie Lkw sind bislang nur in homöopathischen Mengen verfügbar. Deutschlandweit waren im Jahr 2022 keine 2500 mautpflichtigen Lkw zugelassen, die diese Befreiung in Anspruch nehmen könnten. In der gesamten EU waren es nach Angaben der EU-Kommission etwa 4000 Stück. Wäre es da nicht sinnvoller, das Mautgesetz zu verschieben - und zwar auf einen Zeitpunkt, zu dem es solche Lösungen gibt? Das ist eine schwierige politische Frage. Wenn man einen klimapolitischen Effekt erzielen will, braucht es eine CO2-freie Alternative. Hier lässt sich durchaus aus Erfahrungen im Ausland lernen. So hat Schweden seinen CO2-Ausstoß seit 2011 im Güterfernverkehr fast halbiert, und zwar über den HVO-Biodiesel - gekoppelt mit dem Instrument des CO2-Preises. Noch muss das Mautänderungsgesetz das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. In welchen Punkten würden Sie in diesem Entwurf nachbessern? Solange es im Markt keine echte technologische Alternative gibt, würde ich den Lkw-Maut-Satz etwas niedriger ansetzen. Zumal wir auf europäischer Ebene im Rahmen des Emissionshandels einen CO2-Aufschlag auf den Mautsatz von 90 Euro haben, während die Bundesregierung diesen aktuell mit 200 Euro ansetzt. Korrekter wäre ein einheitlicher Preis. Was mir zudem in dem Entwurf fehlt, dass darin die Kosten nicht berücksichtigt wurden, die die Unternehmen durch den CO2-Preis zum Januar 2024 zusätzlich zu zahlen haben. Ursprünglich wollte man beides miteinander verrechnen. Stattdessen scheint es nun auf eine Doppelbelastung hinauszulaufen. Da könnte der Bundestag nachbessern. eh Mehr zur Lkw-Maut Weitere Infos rund um dieses Thema finden Sie auf unserem Online-Profiportal VR plus: Im Überblick: Die geplanten Lkw-Mautsätze ab 1. Dezember 2023 bis voraussichtlich 31. Dezember 2025 unter: www.verkehrsrundschau.de/plus/mautsaetze2023 Tipps von Kornelia Reifenberg, Partnerin Simon Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants unter: www.verkehrsrundschau.de/plus/maut-reifenberg-tipps Interview mit Spediteur Jonas Türling: www.verkehrsrundschau.de/plus/maut-tuerling-interview

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