Gute Noten für Schwarz-Rot

Am Ende zeigten vier Daumen nach oben, einer nach unten. Das war das Meinungsbild unter den Teilnehmern einer Podiumsdiskussion zur Bewertung von eineinhalb Jahren schwarz-roter Verkehrspolitik, die von der Verkehrs-Rundschau veranstaltet und moderiert wurde. Beim Diskussionsforum "Verkehrspolitik trifft Logistik: 500-Tage-Bilanz der schwarz-roten Koalition in Berlin" saßen als politische Antipoden die parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) und die grüne Oppositionspolitikerin und Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms auf dem Podium. Dass die Grüne in der Schlussrunde die bereitliegende Abstimmungskarte mit dem Daumen nach unten hielt, überraschte nicht: "Eineinhalb Jahre verlorene Verkehrspolitik", lautet ihr Fazit. "Man hat sich in Berlin nur mit der Ausländermaut auseinandergesetzt", bemängelte die Obfrau ihrer Partei im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Bundestages. Zwei Überraschungen gab es dennoch in der Diskussionsrunde, an der neben Bär und Wilms der parteilose Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch, der Bevollmächtigte des Vorstandes der VCI Initiative Infrastruktur, Gerd Deimel, sowie Professor Frank Bayer von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) teilnahmen. Die erste Überraschung: Die Idee einer Infrastrukturgesellschaft zur Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen stößt auch bei der grünen Opposition auf Wohlwollen. Valerie Wilms begrüßt grundsätzlich die Idee einer Infrastrukturgesellschaft, wie sie kürzlich von der Expertenkommission zur "Stärkung von Investitionen in Deutschland" unter Vorsitz des Chefs des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, vorgeschlagen wurde. Die Verantwortung für Bau, Instandhaltung und Betrieb der Bundesfernstraßen ginge in einem solchen Konstrukt auf eine noch zu schaffende Infrastrukturgesellschaft über. Zur Finanzierung von Bauprojekten würde sie auch privates Kapital von Versicherungen und Banken eintreiben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) selbst hatte sich kürzlich für eine Infrastrukturgesellschaft ausgesprochen. "Man kann den Weg über eine Infrastrukturgesellschaft gehen", stimmte Valerie Wilms zu. "Ich bin bereit, diesen Weg schnell zu gehen." Man sollte in der kommenden Legislaturperiode die Gelegenheit nutzen, weil die Bund-Länder-Finanzbeziehungen bis 2019 ohnehin neu geregelt werden müssten, schlug Wilms vor. Allerdings knüpft sie Bedingungen daran: Es dürften nicht die Interessen der Finanzwirtschaft im Mittelpunkt stehen, außerdem müsste die Gesellschaft dauerhaft in öffentlicher Hand verbleiben. Widerstand beim Lang-Lkw gebrochen Überraschung Nummer zwei: Statt auf Fundamental-Kritik am Lang-Lkw setzen die Grünen nun offenbar auf die Praxiserprobung: "Wenn es gewünscht wird und die Sicherheit der Strecken gewährleistet ist, dann verteilen wir doch eine Lizenz für 5 oder 10 Jahre und schauen, wie das läuft", schlug Wilms vor. Damit liegt die Bundespolitikerin voll auf der Linie ihres badenwürttembergischen Parteikollegen und Landesverkehrsministers Winfried Hermann, der einen eigenen Testlauf im Südwesten anstrebt. Überwiegend positiv fiel die Beurteilung der Regierungsarbeit abseits parteipolitischer Grabenkämpfe in dem Einführungsvortrag von Professor Bayer aus: "Grundsätzlich ist die Verkehrspolitik auf dem richtigen Weg", so das Fazit des Studiengangleiters BWL - Spedition, Transport und Logistik an der DHBW. Viele der im Koalitionsvertrag formulierten Ziele seien in der Umsetzung oder bereits erledigt. Dazu zählt Bayer die verlässliche Finanzierung der Infrastruktur und die überjährige Verwendung der Investitionsmittel im Verkehrshaushalt ebenso wie die zumindest teilweise Zweckbindung der Mauteinnahmen. Immerhin sei es gelungen, in der mittelfristigen Finanzplanung bis Ende 2018, den Investitionshaushalt im Verkehrsbereich um 40 Prozent zu erhöhen - von rund 10,5 Milliarden Euro zum Amtsantritt des Bundesverkehrsministers im Dezember 2013 auf 14,5 Milliarden Euro. "Wir haben damit erstmals eine deutliche Erhöhung des Investitionshaushalts", lobte Bayer. In Deutschland habe man sich anders als manch andere Länder allerdings viel Zeit damit gelassen. Kritisch sieht der Verkehrsexperte den verengten Blick der Politik auf die Maut als Mittel zur Geldbeschaffung. Aspekte der Verkehrslenkung durch Straßennutzungsgebühren würden bislang weitgehend außer Acht gelassen. Ärgerlich aus Sicht der Spediteure sei zudem der Fleckenteppich an unterschiedlichen Mautsystemen in Europa. Strikte Priorisierung hat Vorfahrt Genügend Mittel für Ivestitionen sind schön, aber wohin geht das Geld? Gerd Deimel, Sprecher der Initiative Verkehrsinfrastruktur des VCI, forderte den konsequenten Ausbau der Wasserstraßen als Antwort auf die weiter wachsenden Verkehrsströme. "Wir können noch so viel Straßen bauen, irgendwann kommen wir an die Grenzen", lautete sein Plädoyer für die Verkehrsverlagerung. Die Logistikbeauftragte der Bundesregierung, Dorothee Bär, betonte den hohen Stellenwert der Projekt-Priorisierung bei der Erstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans 2015, der noch in diesem Jahr im Kabinett beschlossen werden soll. "Wir wollen keine Spatenstich-Politik mehr, diesen Paradigmenwechsel haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt", versprach die CSU-Politikerin. Als Schwerpunkte für künftige Investitionen nannte Bär den Ausbau der zentralen Magistralen, wichtige Lückenschlüsse und den Seehafen-Hinterlandverkehr. Dabei sollen auch ÖPP-Projekte eine wichtige Rolle spielen. Reizwort ÖPP Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im Bundesfernstraßenbau entpuppte sich als Reizwort, das bei mehreren Veranstaltungen der Messe höchst kontrovers diskutiert wurde. Für die Grüne Valerie Wilms werden mit ÖPP Finanzierungsprobleme nur auf künftige Generationen verschoben: "Wir leisten uns damit das, was wir uns eigentlich nicht leisten können", kritisierte sie und verwies auf die Kritik des Bundesrechnungshofes (BRH) an ÖPP als teurere Beschaffungsvariante im Vergleich zur Finanzierung durch den Bund. Das wollte Regierungsvertreterin Bär so nicht stehen lassen: "Ich teile die Kritik des Bundesrechnungshofes nicht", widersprach die CSU-Politikerin und verwies darauf, dass der BRH einen Nachweis seiner Kritik bisher schuldig geblieben sei. Rückendeckung bekam sie von Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch: "ÖPP ist ein Modell für die Zukunft", glaubt der parteilose Hamburger. Auch in der Hansestadt wolle man mehrere Infrastrukturprojekte als ÖPP realisieren. Bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) bezeichnete der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Michael Knipper, die Rechenergebnisse des BRH als "hypothetisch". Knipper, der ÖPP als Beschaffungsvariante im Straßenbau befürwortet, kann die 1,9 Milliarden Euro Mehrkosten im Prüfbericht des BRH überhaupt nicht nachvollziehen: "Die Annahmen, die der Bundesrechnungshof seinen Untersuchungen zugrunde legt, ignorieren die Beschaffungsrealität," wetterte Knipper. Knipper verwies auf die positiven Erfahrungen mit ÖPP: "Alle Projekte wurden früher als geplant dem Verkehr freigegeben und blieben im Kostenrahmen." Der Vertreter des Bauverbandes kritisierte vor allem die langen Planungs- und Realisierungszeiträume in den Auftragsverwaltungen der Länder. "Wir sollten nicht nur über Geld reden, die öffentliche Hand ist oft gar nicht in der Lage, das vorhandene Geld auch zu verbauen", kritisierte Knipper. Gründe seien fehlende Planstellen und das komplizierte Planungsrecht in Deutschland. Steuerfinanzierung bleibt Basis Auch er plädierte leidenschaftlich für die Schaffung einer Infrastrukturgesellschaft zur Planung und Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen. "Bei dieser Gesellschaft müsse die Bauherrenkompetenz für Projekte liegen", schlug Knipper vor. Dass bei aller Euphorie für die Einbindung von Privatkapital und Nutzerfinanzierung die klassische Haushaltsfinanzierung so schnell nicht ausgedient haben dürfte, stellte Birgitta Worringen, Leiterin der Unterabteilung Nachhaltige Mobilität, Energie, Logistik im Bundesverkehrsministerium, auf dem BGL-Podium klar. "Die Finanzierung der Verkehrswege geht über Steuermittel als Basis und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben." Mehr Nutzerfinanzierung sei dennoch unabdingbar. "Es ist klar, dass die Steuermittel alleine nicht mehr ausreichen", sagte Worringen. BGL-Präsident Adalbert Wandt bemängelte, dass von der ursprünglichen politischen Zielsetzung einer verstärkten Nutzerfinanzierung nicht viel geblieben sei. "Der von der EU-Kommission entwickelte Gedanke, den Bürger durch echte Umfinanzierung zu entlasten, also Steuern durch Gebühren oder Abgaben zu ersetzen, ist in den Hintergrund getreten." App Video zum Politik-Podium Ein Video von der Veranstaltung "Verkehrspolitik trifft Logistik" können Sie über die interaktive App "Layar" unter ITunes, Google Play Store oder BlackBerry World abrufen. Nach Installation der kostenlosen App auf ihrem mobilen Gerät scannen Sie diese Doppelseite der Verkehrs-Rundschau. Ohne App finden Sie das Video unter www.verkehrsrundschau.de/videos Streitthema Mindestlohn "Sagen Sie, was Sie drückt!" Unternehmen des Güterverkehrsgewerbes haben auf der Fachmesse Transport Logistic kritisiert, dass die Spitzen von SPD und Union den Mindestlohnstreit kürzlich vertagt haben. Bei einer Podiumsdiskussion zu den Folgen der neuen Lohnuntergrenze auf dem Stückgutmarkt monierte Michael Bargl in München, die branchenspezifischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des 8,50-Euro-Gesetzes seien noch immer nicht bei der Politik angekommen. "Nach dem Koalitionsgipfel im Kanzleramt sagte die Bundesarbeitsministerin sinngemäß, dass bislang keine Probleme zu erkennen seien", erklärte der Geschäftsführer des Speditionsverbunds IDS Logistik. Das Gegenteil sei aber der Fall. "Entweder ignoriert Andrea Nahles diese Probleme einfach oder sie sind nicht richtig kommuniziert worden", so der Chef der Stückgutkooperation.Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), war ebenfalls Referent auf der Podiumsdiskussion. Er räumte ein, dass die Lobbyarbeit zum Mindestlohngesetz (MiLoG) nicht ganz einfach sei. Angesichts des ergebnislosen Treffens des Koalitionsausschusses Ende April monierte er: "Das Mindestlohngesetz hat massive Auswirkungen auf die Güterverkehrswirtschaft - Spediteure, Logistiker, Transporteure und Verlader kämpfen derzeit unisono mit den überbordenden Dokumentationspflichten und den unkalkulierbaren Risiken der Auftraggeberhaftung", sagte Huster. In Berlin verstünde man aber einfach nicht, wie das Geschäft in dieser Branche funktioniere, betonte er. So ließen sich bestimmte Regelungen nicht gleichermaßen in jedem Gewerbe umsetzen.Anhörungen in den entsprechenden Bundesministerien habe es allerdings mittlerweile ausreichend gegeben. "Sollten Sie unsere Position zu den Widrigkeiten des Mindestlohns teilen, kann ich Sie nur bitten, vor Ort Ihren Bundestagsabgeordneten anzusprechen", forderte Huster die Unternehmer im Plenum auf. An Argumenten für eine Gesetzesreform mangele es nicht. "Sie müssen mit Ihren Worten sagen, was Sie drückt: Nur so funktioniert es offensichtlich", sagte der DSLV-Hauptgeschäftsführer. Der Druck auf die Politik müsse von unten kommen. ag

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