EU-Mobilitätspaket 1: Zwiegespalten

Ob Transbud oder aber Margo, um nur einige Namen zu nennen, immer mehr polnische Transport- und Speditionsbetriebe gründen in Frankfurt/Oder, direkt an der deutsch-polnischen Grenze, eine deutsche Niederlassung. Sie alle wollen Zugang zum deutschen Markt, um ganz legal innerdeutsche Transporte durchführen zu können. Insgesamt 46 Anträge polnischer Unternehmer auf Erteilung einer deutschen EU-Gemeinschaftslizenz gingen allein im vergangenen Jahr ein, teilt das Landesamt für Bauen und Verkehr (LBV) auf Anfrage mit. Und in diesem Jahr 2022 seien es, Stand 28. März, bereits 20 Anträge gewesen. Vermehrt Anträge aus Polen "Schon vor Inkrafttreten des EU-Mobilitätspakets haben wir festgestellt, dass sich immer mehr polnische Transport- und Speditionsbetriebe bei uns in Brandenburg ansiedeln", bestätigt Eberhard Tief, Geschäftsführer des Landesverbandes des Berliner und Brandenburger Verkehrsgewerbes (LBBV). "Doch seit Februar hat das massiv zugenommen. Denn jetzt zum Februar greifen ja die neuen Auflagen durch das neue Mobilitätspaket." Und um diese zu umgehen, erklärt er, seien auf deutscher Seite nun verstärkt neue Niederlassungen polnischer Unternehmer gegründet worden. "Die melden hier ihre Fahrzeuge an und stellen hier Personal an. Das sind aber alles Betriebe", stellt Tief klar, "die schon in der Vergangenheit auf dem deutschen Markt agiert haben und die alten bestehenden Möglichkeiten der Kabotage genutzt haben." Doch zum 21. Februar 2022 wurden ebendiese Kabotage-Vorschriften im Zuge des EU-Mobilitätspakets verschärft (siehe Kasten rechts). Mit der Folge, dass zum Beispiel ein polnischer Transporteur nun nach drei Kabotage-Fahrten in Deutschland eine sogenannte Cooling-Off-Periode von mindestens vier Tagen einlegen muss, bevor er wieder in Deutschland fahren darf. "Diese Cooling-Off-Periode hat also die Geschäftsmodelle solcher Betriebe zerschossen", ist Tief überzeugt. Das sei einer der Gründe, warum vermehrt polnische Speditionen in Brandenburg, aber auch in Mecklenburg und in Teilen Sachsens dabei seien, eine deutsche Niederlassung zu gründen oder aber bereits gegründet haben. Mit der Gründung einer deutschen Niederlassung ist alles fein - damit gelten sie als deutsches Unternehmen und dürften ganz legal innerdeutsch fahren - egal wie viele Transporte. Für den LBBV-Geschäftsführer ist das positiv: "Wenn polnische Transportbetriebe mit gleicher Kostenstruktur hierzulande fahren wie deutsche Unternehmen auch, haben wir damit überhaupt kein Problem. Das ist fairer Wettbewerb.". Geschäftsmodell wird zerschossen "Zu hoffen wäre es", meint auch Daniel M. Giel, Gründer und Geschäftsführer der Beratung "Speditionsexperten" in Köln. Denn mit rund 20 Prozent Anteil, wie er gehört habe, sei die illegale Kabotage in Deutschland nach wie vor zu hoch, weil das zulasten der kleinen deutschen Transportbetriebe gehe, die hier ihre Steuern zahlen. "In unserer Region rund um Köln spüren wir diese illegale Kabotage sehr stark", erklärt er. "Zum einen aufgrund der Nähe zum Flughafen Köln-Bonn, zum anderen weil es hier Großlager und Logistikzentren namhafter Automobil- und Logistikunternehmen gibt." Jeden Tag sehe er deshalb zum Beispiel auf dem Autobahnring Fahrer mit bulgarischen, rumänischen und polnischen Zugmaschinen, die dort auf Ladung warten. "Und keiner sagt dazu etwas, obwohl die dort nicht fahren dürfen." Ähnliche Szenen erlebe er auch immer wieder in der Nähe des Duisburger Hafens. Und neuerdings erhalte auch er, erzählt Giel, vermehrt Anfragen von osteuropäischen Transportbetrieben, vorrangig aus Rumänien, Lettland, Litauen und Polen, die in der Kölner Region Kapitalgesellschaften gründen wollen. Darunter seien auch etliche Leicht-Transporteure, die Fahrzeugklassen ab 2,5 Tonnen zulässiger Gesamtmasse einsetzen, und durch die Niederlassungsgründung in Deutschland die ab Mai 2022 verpflichtende Gemeinschaftslizenz umgehen wollen. Selbst aus Spanien, hier insbesondere im Abfall- und Recycling-Segment, fragen Betriebe bei Giel an. "Seit diesem Februar hatten wir allein mit unserem Büro in Köln fast 30 Anfragen." Viele darunter wüssten aber offenbar nicht, so sein Eindruck, dass sie mit einer deutschen Niederlassung eben auch ihre Fahrzeuge und Fahrer in Deutschland melden müssen - mit allen damit einhergehenden Pflichten (wie etwa Steuern, Entgelte, Versicherungen). "Die glauben oft, das geht mit den gleichen Kosten wie vorher weiter. Das ist aber nicht der Fall. Und das zerschießt", formuliert es auch Giel, "etlichen das Geschäftsmodell." So gesehen seien für ihn die neuen Kabotage- und Entsende-Vorschriften ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zumal es damit für die Kontrollbehörden einfacher werde, die Umsetzung der Regelungen zu kontrollieren, wie er aus Gesprächen mit dem BAG, dem Zoll und der Polizei weiß. "Und die Kontrollbehörden wollen das ja auch kontrollieren." Denn Fahrer seien seit dem 2.Februar nun dazu verpflichtet, nach jedem Grenzübertritt im digitalen Fahrtenschreiber das Symbol des Landes einzugeben, in dem sie ihre Arbeitszeit beginnen, und das Symbol des Landes, in dem sie ihre tägliche Arbeitszeit beenden. "Und die Kontrollbehörden wollen das ja auch kontrollieren." Noch nicht in deutsches Recht umgesetzt Die große Krux ist: Noch immer ist die EU-Entsenderichtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt. Und so lange dies nicht der Fall ist, können vermutlich einige Verstöße gegen die neuen Entsende-Vorschriften nicht geahndet werden. Das bestätigt Rechtsanwalt Philippe Rabenschlag in Köln im Interview mit der VerkehrsRundschau. Das Bundesarbeitsministerium arbeite aber weiter an der Umsetzung. Spannende Frage ist, ob vor diesem Hintergrund etwaige Verstöße gegen die neuen EU-Entsendevorschriften überhaupt schon geahndet werden können, oder ob zum Beispiel ein rumänischer Transporteur bei Verstößen womöglich "straffrei" durch Deutschland fahren kann? Dazu Rabenschlag wörtlich: "Um Verstöße gegen die neuen Entsendevorschriften ahnden zu können, bräuchte es in der Tat zweierlei: zum einen eine Umsetzungsvorschrift aus der Entsenderichtlinie, die diesen Sachverhalt regelt." Zudem bräuchte es laut dem Rechtsanwalt eine Ordnungswidrigkeiten-Vorschrift, die einen Verstoß gegen einen konkreten Sachverhalt mit einer Bußgeldnorm sanktioniert. "Beides ist mir derzeit nicht bekannt", sagt er. Gleichwohl: Das "normale" Entsenderecht gemäß der Richtlinie 96/71/EG sowie 2014/67/EU gelte bereits seit Längerem für entsandte Arbeitnehmer, betont der Rechtsanwalt. Das Mindestlohngesetz gelte somit, unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers, auch bei Kabotagebeförderungen, also in Fällen, in denen Kraftfahrer für ihren Arbeitgeber mit Sitz im Ausland eine Beförderungsdienstleistung mit Anfangs- und Endpunkt in Deutschland (Kabotage) erbringen. Allerdings mit den Ausnahmen der neuen EU-Entsendrichtlinie 2020/1057 (zum Beispiel bilaterale Beförderungen, Transitfahrten), so Rabenschlag, der sich hier auch auf die Informationen des Zolls bezieht. Hierfür gebe es dann auch bereits im Mindestlohngesetz entsprechende Ordnungswidrigkeiten-Vorschriften. Im Klartext: Aufgrund des schon geltenden Mindestlohngesetzes müsste also zum Beispiel ein rumänischer Fahrer schon heute den deutschen Mindestlohn bei Kabotagefahrten in Deutschland bekommen, erläutert Rabenschlag. Administrativer Wahnsinn Trotzdem äußern sich Transportunternehmer, die die neuen EU-Entsendevorschriften nun umsetzen sollen, eher kritisch - zu kompliziert seien diese, heißt es unisono. Manche schieben die Umsetzung deshalb gar vor sich her. Die Geschäftsführerin eines Transportbetriebs, die namentlich nicht genannt werden will, spricht hier sicher einigen aus der Seele. "Natürlich weiß ich, dass seit 2. Februar neue EU-Vorschriften zur Entsendung von Fahrern in Kraft getreten sind", sagt sie. Sie habe sich auch auf der EU-Entsendeplattform registriert. Teil- und Komplettladungen fährt ihr Betrieb nur mit deutschen Fahrern - innerdeutsch, nach Österreich und Italien. Sehr schnell habe sie aber festgestellt, dass sie auf dieser nicht nur jeden einzelnen Fahrer mit seinen Daten registrieren, sondern auch für diesen eine eigene Entsendemeldung für das jeweilige Aufnahmeland erstellen musste. "Und als ich merkte, dass diese Bescheinigung nur für ein halbes Jahr gültig ist, habe ich die Anmeldung auf die Seite gelegt", gesteht die Firmenchefin freimütig ein. Als Gründe führt sie an: "Das ist Arbeitsbeschaffung. Das ist administrativer Wahnsinn, da ja die A1-Bescheinigungen weiterhin erforderlich sind." Abgesehen davon werde das Ganze zu selten kontrolliert. "Wenn man also keine Zeit für so etwas hat, droht das eben unter den Tisch zu fallen. Wir haben im Moment einfach andere Sorgen als das EU-Mobilitätspaket." Die administrativen Tücken der neuen EU-Entsendeplattform kennt auch Henriette Koppenhöfer, Geschäftsführerin der Spedition Koppenhöfer in Frankenthal. Da sie innerdeutsche und bilaterale Transporte nach Benelux und Österreich abwickelt, sei sie "Gott sei Dank aber davon bislang verschont geblieben." Für den Fall der Fälle, etwa bei kurzfristig erforderlichen innerösterreichischen Transporten, erstellte sie sich trotzdem bei der Plattform einen Account. "Den halben Nachmittag saß ich dafür am PC, weil das erst nicht funktioniert hat." Als sie diesen endlich hatte, habe sie spaßeshalber einen Fahrer angelegt - mit allen dafür erforderlichen Daten. "Wenn ich das für jeden unserer 17 Fahrer und unsere 15 Lkw machen müsste, brauchte ich dafür mindestens einen ganzen Arbeitstag", schimpft sie. "Unternehmer mit Kabotage-Verkehren werden diesen administrativen Irrsinn wohl nicht mitmachen." Ob der Wettbewerb im Transportgewerbe durch das EU-Mobilitätspaket also tatsächlich fairer wird? "Es ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. "So gesehen hoffe ich es", meint sie. "Ob dies aber eintreten wird, bezweifle ich. Denn nicht alle Betriebe werden diese neuen Regeln umsetzen." So sehe sie trotz der jetzt geltenden Rückkehrpflichten nach wie vor viele bulgarische, rumänische und weißrussische Fahrer am Wochenende auf Autobahn-Rastplätzen. "Und trotz Verbot übernachten diese am Wochenende auch in ihrem Lkw", berichtet sie. "In Deutschland wird zwar kontrolliert, aber viel zu wenig." So würden Fahrer hier zum Beispiel nicht kontrolliert, weiß sie, wenn sie ihren Vorhang zugezogen haben. "Weil man ja die Ruhezeit der Fahrer nicht zu oft unterbrechen will." Im Klartext: "Wenn Verkehre nun einmal auf billig ausgelegt sind, weil sie aus Ländern kommen, in denen deutlich weniger Mindestlohn gezahlt wird als in Mitteleuropa", urteilt sie, "wird sich da wohl keiner an Rückkehrpflichten oder die anderen neuen Auflagen halten." Bitter sei nur, dass das deutsche Transportgewerbe mit Unternehmen aus solchen Ländern konkurriere. "Diese Wettbewerbsverzerrungen müssen endlich unterbunden werden. Und dafür muss", fordert die Geschäftsführerin, "die Umsetzung des EU-Mobilitätspakets auch entsprechend kontrolliert werden." Mehr zum Thema unter #Mobilitätspaket www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag Die Neuerungen des EU-Mobilitätspakets im Überblick Mit dem EU-Mobilitätspaket wurden in 2020 wichtige Neuerungen beschlossen, die nun sukzessive in Kraft treten. Fallweise müssen einzelne Länder sie noch in nationales Recht umsetzen. Eine Auswahl der Neuerungen: Seit 20. August 2020 muss die neue Verordnung über Lenk- und Ruhezeiten angewendet werden mit der Vorgabe, dass Berufskraftfahrer ihre reguläre wöchentliche Ruhezeit von mindestens 45 Stunden nicht mehr im Lkw verbringen dürfen. Zudem sind im grenzüberschreitenden Verkehr nun zwei verkürzte Wochenruhezeiten von 24 Stunden zwischen zwei langen Wochenruhezeiten möglich. Entsenderichtlinie: Neue Pflichten gelten seit 2. Februar 2022 für Güterkraftverkehrsbetriebe und Kraftwagenspeditionen durch die neue EU-Entsenderichtlinie (Art. 1 der Richtlinie (EU) Nr. 2020/1057), die Lkw-Fahrer beschäftigen und Gütertransporte innerhalb der EU erbringen- Stichwort neue EU-Entsendeplattform. Der Bundesgesetzgeber muss diese Richtlinie aber erst noch in nationales Recht umsetzen. Verordnung (EU) Nr. 2020/1054 (Art. 2 Nr. 11): Seit 2. Februar 2022 müssen Fahrer ihre Grenzübertritte am Tacho vorerst manuell dokumentieren. Denn die Einführung der 2. Generation des Smart Tachos, die die Erfassung von Grenzübertritten laut EU-Verordnung automatisch können muss, ist erst ab August 2023 vorgesehen - vorerst nur für alle neu registrierten Nfz über 3,5 Tonnen. Seit 21. Februar 2022 müssen Lkw einen klaren Bezug zum Land der Niederlassung haben und alle acht Wochen dorthin zurückkehren. Kabotage: Seit 21. Februar 2022 tut sich auch beim Thema Kabotage Neues: Weiterhin sind zum Beispiel bei der"3 in 7"-Regelung nur drei Kabotagefahrten innerhalb von sieben Tagen im Anschluss an eine internationale Güterbeförderung möglich. Neu eingeführt wurde die anschließende viertägige Cooling-Off-Phase. Sprich: Derselbe Lkw muss aus dem Land der Kabotage ausreisen (etwa in einen anderen EU-Staat, der nicht Heimatstaat ist) oder zurück ins Heimatland, bevor erneut weitere Kabotagefahrten in demselben Land durchgeführt werden dürfen. Smart Tacho der 2. Generation: Lkw ohne intelligenten Fahrtenschreiber müssen bis Ende 2024 umgerüstet werden, Lkw mit Smart Tacho der 1. Generation müssen bis Sommer 2025 umgerüstet werden und Lkw zwischen 2,5 t und 3,5 t zGG müssen ab Mitte 2026 umgerüstet sein. eh Können etwaige Verstöße schon geahndet werden? Philippe Rabenschlag, Rechtsanwalt in Köln und Kooperationspartner des BWVL Noch ist die neue EU-Entsenderichtlinie nicht in nationales Recht in Deutschland umgesetzt. Können etwaige Verstöße gegen diese Vorschriften also schon geahndet werden? Oder kann etwa ein rumänischer Transporteur bei Verstößen „straffrei“ durch Deutschland fahren? Um Verstöße gegen die neuen Entsende-Vorschriften ahnden – sprich mit Bußgeld belegen – zu können, bräuchte es in der Tat zweierlei: zum einen eine Umsetzungsvorschrift aus der Entsenderichtlinie, die diesen Sachverhalt regelt. Zudem bräuchte es eine Ordnungswidrigkeiten-Vorschrift, die einen Verstoß gegen einen konkreten Sachverhalt mit einer Bußgeldnorm sanktioniert. Beides ist mir derzeit nicht bekannt. Gleichwohl kann der Fahrer einer solchen Transportfirma unter Umständen und bestimmten Voraussetzungen Ansprüche aus der EU-Entsende-richtlinie selbst ableiten und vor dem EuGH einklagen. Was heißt das konkret? Das heißt, dass der Fahrer eines solchen Transportunternehmens, um in der geschilderten Fallkonstellation zu bleiben, den Mindestlohn des Mitgliedstaats, in dem er sich gerade befindet, gegenüber seinem Unternehmer in seinem Heimatland grundsätzlich klageweise geltend machen kann. Der betroffene Fahrer müsste gegen den Unternehmer auf Zahlung des Mindestlohns klagen, jedoch aus den nationalen polnischen Rechts-vorschriften. Wenn dies nicht möglich und Grund dafür die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie wäre, könnte der Fahrer gegen seinen Heimatstaat Ersatz des Schadens einklagen, weil sein Heimatstaat die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt hat. Dieser Schaden wäre die Differenz zwischen dem vereinbarten Lohn in Rumänien und dem Mindestlohn in Deutschland, der in der Zeit der „Entsendung“ zu zahlen gewesen wäre. eh In Kürze Gut 1,5 Jahre ist es her, dass sich das EU-Parlament und der EU-Ministerrat nach langen Querelen auf das neue EU-Mobilitätspaket 1 geeinigt haben, das im Juli 2020 verabschiedet wurde. Einige Neuerungen traten nun im Februar in Kraft. Die Erwartungen und Hoffnungen im Transportgewerbe sind hoch. Doch in der Praxis knirscht es.

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