Der schwierige Sprung auf die Insel

Das hatte sich Franz Fischer ganz anders vorgestellt. Die Gründung einer Niederlassung in Großbritannien verlief so gar nicht nach seinem Geschmack. Mittlerweile hat es der Spediteur aus Nienburg aber geschafft. Fünf Tankwagen verrichten seit Mai dieses Jahres ihren Dienst auf der Insel. Allerdings brodelt es in dem an sich besonnen auftretenden Spediteur, wenn er jetzt in seinem Büro von den Schwierigkeiten erzählt, mit denen er zeitweilig zu kämpfen hatte. 300 Pfund monatlich für einen Parkplatz Wer in Großbritannien eine Transportgenehmigung haben will, benötigt dort nicht nur einen Unternehmenssitz, sondern auch einen nachgewiesenen Parkplatz für die Lkw. "300 Pfund pro Fahrzeug im Monat auf einem Schotterplatz sollten wir zahlen", kritisiert Fischer. Damit sind bereits zwei Dinge genannt, die Fischer in den vergangenen Monaten so manchen Nerv geraubt haben: Zum einen die im Vergleich zu Deutschland vielen unterschiedlichen Regelungen auf der Insel und zum anderen die hohen Preise, die zu zahlen sind. "Hinzu kommen die langen Bearbeitungszeiten bei Behörden und Banken", zählt Fischer eine weitere Hürde auf, die es zu überwinden galt. Aber alles der Reihe nach. Ein Kunde des Chemiespediteurs, für den Fischer in Deutschland tätig ist, hatte Fischer 2013 gefragt, ob er für ihn nicht auch in Großbritannien fahren kann. Fischer war sich zunächst nicht sicher, ob er den Sprung auf die Insel wagen sollte, aber gereizt hat ihn dieser Schritt schon - ein neuer Markt, womöglich neue Kunden, das ist nie schlecht für das Geschäft. Großbritannien war Neuland für Fischer. Deshalb hat er dort zunächst mit englischen Partnerunternehmen den Auftrag abgewickelt. Doch das lief nicht immer so wie geplant: "Damals haben wir gemerkt, wie schwierig eine Zusammenarbeit mit Subunternehmern in England sein kann", sagt Fischer. Die Menschen dort seien zwar sehr freundlich und zuvorkommend. Aber sie würden sich jeden Handschlag extra bezahlen lassen und keinen Penny von ihren Forderungen abweichen. "Ich will nicht sagen, dass diese Philosophie schlechter ist als hierzulande. Eine solche Haltung würde ich mir in Deutschland von vielen Unternehmen sogar wünschen", fährt Fischer fort. Einige Monate später kamen zwei weitere Anfragen von Kunden in Deutschland, ob Fischer nicht auch für sie Transporte in Großbritannien übernehmen kann. "Da war uns klar: Entweder machen wir es auf eigene Faust oder wir lassen ganz die Finger davon." Die Entscheidung war schnell gefallen. Gemeinsam mit seinem Prokuristen, Matthias Hausotter, leitete Fischer die ersten Schritte ein. "Eine Transportgenehmigung sollte innerhalb von sechs Wochen zu erhalten sein", sagt Hausotter, "ein ähnlicher Zeitraum wie in der Schweiz". Dort hatte die Spedition 2013 eine Niederlassung gegründet, ebenfalls nach einer entsprechenden Kundenanfrage. Vom Generalisten zum Spezialisten Dass ein Auftraggeber seinen Dienstleister fragt, ob er für ihn auch im Ausland Transporte übernimmt, ist nicht selbstverständlich. Noch vor 20 Jahren wäre das womöglich auch im Falle Fischer eher unwahrscheinlich gewesen. Damals beförderte das Unternehmen fast ausschließlich verpackte Ware mit Koffer- und Planensattelzügen. Keine Besonderheit. "Nachdem allerdings wenige Jahre zuvor die Tarife gefallen waren und es keine Konzessionen mehr gab, war klar, dass der Wettbewerb härter werden würde", sagt Franz Fischer. Gemeinsam mit seinem Vater, Franz Fischer Senior, trieb er die Neuorientierung der Spedition voran: weg von den verpackten Gütern und hin zu "Chemietransporten in allen Variationen", wie es Fischer formuliert. Auch damals wurde diese Neuausrichtung von Kunden, die chemische Güter in Tankwagen transportiert haben wollten, ausgelöst. Seine Spezialisierung ist mit ein Grund dafür, warum Fischer viele Transporte im Selbsteintritt abwickelt. "Im Vergleich zum Transport konventioneller Güter gibt es nicht so viele Subunternehmen, die Tankwagen besitzen." Hinzu kommen laut Fischer "viele gute, aber auch sensible Kunden", die darauf bestehen, dass er eigenes Equipment einsetzt. Qualität, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit: Kriterien, mit denen Fischer versucht, bei seinen Kunden zu punkten. "Wer teurer ist als andere, muss einen reibungslosen Ablauf garantieren. Das geht nur, wenn du mit deinen eigenen Fahrzeugen fährst", erklärt Fischer. Dementsprechend legt er großen Wert auf einen einwandfreien Fuhrpark und gut ausgebildete Fahrer (siehe auch Kasten Seite 17). Diese Einstellung schätzen viele seiner Kunden. Daher die Anfragen für Transporte in der Schweiz und in Großbritannien. Und da es bei den britischen Subunternehmen nicht nur Probleme mit deren Mentalität gab, sondern auch mit deren Zuverlässigkeit - beispielsweise stand nicht immer im vereinbarten Zeitraum ein Tankauflieger zur Verfügung - beschloss Fischer, selbst einen Fuß auf die Insel zu setzen. Drei Monate für Eröffnung eines Kontos Doch schon die Eröffnung des Bankkontos im Vereinigten Königreich, dem wichtigsten Finanzplatz in Europa, sollte Fischer einige Nerven rauben. Im September 2014 nahm Fischer dazu Kontakt mit einem Steuerberater vor Ort auf. "Das kann sich hinziehen", war die Antwort. Es folgte ein umfangreicher Fragenkatalog: "Ich musste zum Beispiel angeben, mit wem ich wie viel Umsatz mache, um wie viel der Umsatz steigen wird, wohin das Geld fließt. Selbst eine Stromabrechnung meines Wohnhauses war einzureichen", sagt Fischer. "In Großbritannien ist es durchaus üblich, dass eine Stromabrechnung verlangt wird, da es dort keine Meldepflicht gibt", ergänzt Hausotter, "aber das wussten wir damals nicht." Am Ende dauerte es drei Monate, bis das Bankkonto eingerichtet war. Erst dann lag auch die ID-Nummer vor, die man benötigt, um eine Transportlizenz beantragen zu können. Als ebenfalls sehr zeitaufwendig erwies sich die Zulassung der fünf Zugmaschinen. "Während in Deutschland örtliche Straßenverkehrsämter dafür zuständig sind, gibt es in Großbritannien eine zentrale Zulassungsstelle mit der Folge, dass sich die Bearbeitung vier bis sechs Wochen hinzieht", spricht Hausotter ein Problem an. Hinzu kam die Beantragung einer individuellen Fahrzeuggenehmigung, da Fischer die Zugmaschinen bei seinen deutschen Händlern beschafft hatte. Obwohl Fischer an alle Besonderheiten gedacht hat - Rechtslenker, Dreiachser, Streulichtscheinwerfer - mussten die Fahrzeuge nochmals diese Prozedur durchlaufen. "Das hat uns weitere drei bis vier Monate gekostet", sagt Fischer. Wäre es daher nicht besser gewesen, in Großbritannien die Zugmaschinen zu kaufen? "Nein", erwidert Fischer, "bei unseren Händlern können wir uns auf eine fristgerechte Lieferung zu 100 Prozent verlassen. Außerdem hätten wir mindestens 10.000 Euro mehr zahlen müssen." Fischer wusste zwar, dass das Preisniveau in Großbritannien höher ist, "aber mit solchen Sprüngen hatten wir nicht gerechnet." "Das Mieten einer Nahverkehrszugmaschine kostet zum Beispiel 600 Pfund pro Woche, also 2400 Pfund im Monat - das sind 30 Prozent mehr, als wir in Deutschland zahlen müssen", sagt Fischer. Fischer macht der Brexit keine Angst In Summe hat es neun Monate gedauert, bis die Fischer-eigenen Lkw ihren Betrieb aufnehmen konnten. Hätte man diese Zeit nicht aber verkürzen können, wenn man sich vorher bei einem Verband, einer IHK oder einem Beratungsunternehmen erkundigt hätte? Fischer nickt selbstkritisch: "Sicher, wir haben auch Fehler gemacht. Aber viele Prozesse waren vorgegeben", gibt er zu bedenken. "Außerdem haben wir keinen Anlass dafür gesehen: Denn zwei Jahre zuvor hat es sechs Wochen gedauert, eine Niederlassung mit eigenen Lkw im Nicht-EU-Land Schweiz zu gründen. Wir sind davon ausgegangen, dass es im EU-Land Großbritannien nicht länger dauert." Denn Schritt nach Großbritannien hat er aber nicht bereut. Auch nicht mit dem 23. Juni 2016, dem Tag, an dem die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der EU gestimmt hat. Fischer gesteht, dass er mit dieser Entscheidung nicht gerechnet hat. "Aber das hält uns nicht auf. Die Arbeit ist da und die Nachfrage nach Transporten auch." Und was wäre gewesen, wenn der Brexit zwei Jahre früher beschlossen worden wäre? "Das hätte mich wahrscheinlich nicht abschrecken können. Wenn etwas interessant ist, reizt mich das, trotz schwieriger externer Einflüsse", antwortet Fischer. Aber eine gewisse Unsicherheit leugnet er nicht. Dabei seien Zollfragen noch das geringere Übel, zudem es ja noch ungewiss sei, ob und was sich an grenzüberschreitenden Transporten ändern werde. Die Folgen eines sinkenden Pfundkurses Nicht so unsicher ist sich der Absolvent der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) Bremen, dass das Pfund an Wert verlieren wird. Er hofft, ein passendes Grundstück zu finden, da pachten in Großbritannien sehr teuer ist und das England-Geschäft weiter ausgebaut werden soll. Hier macht sich jedoch die Kehrseite eines sinkenden Pfundkurses bemerkbar. Die Fahrer, die vorher schon im Unternehmen tätig waren, werden in Pfund bezahlt. "Wenn das Pfund an Wert verliert, wollen die Fahrer natürlich mehr Geld haben", sagt Fischer. In Großbritannien greift Fischer auch auf Fahrer aus Polen zurück. Mit polnischen Fahrern hat er sehr gute Erfahrungen gemacht. "Sie sind zuverlässig, pünktlich, haben ihr Material in Ordnung und kennen sich aus, aber vor allem sprechen sie englisch", lobt Fischer. Zwischen polnischen und deutschen Fahrern macht er keinen Unterschied. Sie erhalten alle den gleichen Lohn. "Die Arbeitsbedingungen passen, die Entlohnung scheint zu stimmen, sonst würden sie nicht bleiben und Kollegen mitbringen", sagt Fischer. Aber auf Dauer sieht er aber ein großes Problem auf die Transportbranche und sein Unternehmen zukommen: "Fahrer zu finden wird immer schwerer werden." Da müsse die Branche sich etwas einfallen lassen (siehe Kasten Seite 17). Keine Frage, dieses Ungemach kommt auf ihn nicht so überraschend zu wie die Probleme in Großbritannien. Aber es wird wahrscheinlich deutlich schwerer sein, dafür eine Lösung zu finden. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Gefahrgut www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten und Fakten Die Franz Fischer-Spedition - Gesellschafter: Franz Fischer Junior und Franz Fischer Senior- Hauptsitz: Nienburg an der Weser- Niederlassungen: Germering, Großenkneten, Neuhausen (Schweiz), Wisbech (Großbritannien)- Umsatz: 28 Millionen Euro- Mitarbeiter: 170- Lkw: 90 ziehende Einheiten- Fahrer: 110- Leistungen: Transport von flüssigen Gefahrgütern in Tank- und Silowagen, konventionellen Verkehre für verpackte und temperaturgeführte Ware- Lager für Schüttgut und Paletten- Tankwagen-Innenreinigungsanlage- Fahrschule: Franz Fischer Fahrschul- und Fortbildungs GmbH cd Fischer ist permanent auf der Suche nach guten Fahrern Eigene Fahrschule sorgt für die Qualifikation der Fahrer Der Fahrermangel gibt Franz Fischer zu denken. Auch wenn er derzeit keine offene Stelle zu besetzen hat, den Aufwand, den er dazu betreiben muss, der ist enorm. "Man muss ständig akquirieren und den Leuten ein gutes Umfeld bieten, damit sie bereit sind, den Job zu machen", sagt Fischer.Das liegt bei Fischer auch am Unternehmen. "Jeder Fahrer muss sich bei uns verpflichten, bei Bedarf zwei Wochenenden im Monat mit dem Lkw unterwegs zu sein." Das Unternehmen ist mit seinen Tankwagen im Fernverkehr europaweit im Einsatz. "Da kann es schon mal passieren, dass der Fahrer erst am Freitagvormittag erfährt, dass er am Wochenende doch nicht nach Hause kommt, sondern von Augsburg nach Spanien fahren muss." Ein Nachteil gegenüber Unternehmen, die im Nahverkehr fahren.Fischer weiß um die Bedürfnisse seiner Leute. Er setzt Pkw ein, mit denen die Fahrer nach Hause kommen können. Und freitags ist ein Mitarbeiter nur damit beschäftigt, die Rückfahrt der Fahrer, die nicht im Einsatz sind, in ihre Heimat zu organisieren.Fischer ist überzeugt, dass die Fahrerlöhne steigen müssen, wenn man auch künftig Menschen für diese Tätigkeit begeistern will. Er hat festgestellt, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen für eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer zu gewinnen - zumindest im Fernverkehr. "Die wollen am Wochenende zu Hause sein, bei ihren Freunden, im Verein." Positive Erfahrungen hat er mit Menschen ab 30 Jahren gemacht, mit Quereinsteigern oder mit Menschen, die schon einmal "Schiffbruch" erlitten haben, die aber wüssten, was sie wollten und ihre Entscheidung bewusst treffen. "Auf diese Leute sollten wir uns stärker konzentrieren", meint Fischer und spricht für seine Branche. Auf die Frage, ob das alles ausreichen wird, lächelt er, überlegt, und sagt dann "Ich hoffe, ja." Ein "Ja", aus dem mehr Zweifel denn Zuversicht herauszuhören ist.Fischer hat an seinem Standort 2009 auch eine Fahrschule gegründet, die Franz Fischer Fahrschul-Fortbildungs GmbH. Mitgesellschafter und zugleich einziger Beschäftigter ist Fahrlehrer Wolfgang Netzow. Anlass für die Gründung war nicht der Fahrermangel. "Hauptaufgabe ist die Ausbildung und Schulung der 110 eigenen Fahrer. Das Fahrverhalten der Fahrer soll verbessert werden, weniger Unfälle, geringerer Spritverbrauch oder Ressourcen schonendes Fahren", sagt Fischer. Dabei geht es nicht nur um die Fortbildung im Rahmen der Berufskraftfahrerqualifikation. Auch BBS-Fahrten (Behaviour Based Safety) im Rahmen der SQAS-Richtlinie (eine Norm des europäischen Chemischen Industrieverbandes) sind regelmäßig zu absolvieren. cd

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