Das nächste Projekt

Andrea Nahles ist dabei, ihr nächstes Großprojekt anzugehen. Die Bundesarbeits- und Sozialministerin will den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit beenden. Dabei gelten drei Maßnahmen als wahrscheinlich: Zum einen wird Nahles die Unternehmen wohl verpflichten, den Einsatz von Werkvertragskräften künftig beim Betriebsrat anzuzeigen. Zum anderen könnte die Arbeitsministerin den Einsatz von Leiharbeitern auf maximal 18 Monate begrenzen - und vorschreiben, dass sie ab der Hälfte der Zeit den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft bekommen. Werkvertragsarbeit nimmt deutlich zu Ob und wann die Regelungen kommen, ist bislang nicht klar, das Arbeitsministerium teilte auf Nachfrage lediglich mit, ein Referenten- oder Gesetzesentwurf komme noch "im Herbst". Fest steht aber: Für die Speditions- und Logistikbranche könnten die Nahles-Pläne drastische Folgen haben, schließlich werden hier viele Leistungen für die Kunden über Werkverträge erbracht - und besonders zahlreich Leiharbeiter eingesetzt. So entfällt derzeit jede fünfte Arbeitnehmerüberlassung auf den Bereich Verkehr und Logistik. Während mancher Arbeitgeber bangt, kommt aus dem Gewerkschaftslager Zustimmung für die Pläne der Ministerin. "Werkvertragsarbeit hat deutlich zugenommen", sagt Gewerkschaftssekretär Heiner Reimann von der IG Metall. Im Zuge dieser Entwicklung würden Stammarbeitsplätze und Leiharbeiter zunehmend durch Externe ersetzt. Hauptkritikpunkt der Gewerkschaft: Die externen Dienstleister übernehmen nicht mehr nur fachfremde Aufgaben, sondern Tätigkeiten, die bisher von der normalen Belegschaft erledigt wurden. Als Beispiel nennt Gewerkschafter Reimann die Automobilindustrie, wo es mittlerweile vorkommt, dass Dienstleister Achsen einbauen - eigentlich Kernkompetenz eines Herstellers, findet Reimann. Darüber hinaus stört es die Gewerkschaften, dass Werkverträge die Mitbestimmung aushebeln, schließlich bedeutet jeder nach außen verlagerte Job eine Stimme weniger bei internen Abstimmungen. Fazit aus Sicht der IG Metall: "Die Politik muss für Werkverträge bessere gesetzliche Leitplanken schaffen", so Reimann. Die IG Metall begrüßt die geplante Informationspflicht. Denn derzeit wissen die Betriebsräte oft nicht, wie viele externe Kräfte im Einsatz sind, da der Abschluss von Werkverträgen nicht über die Personalabteilung läuft. Das führt in der Praxis mitunter zu bizarren Situationen: So mancher Betriebsrat muss sich vor die Kantine stellen und nachzählen, um herauszufinden, wie viele Mitarbeiter von Dienstleistern im Haus sind. Solche Zustände würde der Nahles-Vorstoß beenden. "Wir gehen davon aus, dass zumindest die umfassenderen Informationspflichten vom Gesetzgeber in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden", erklärt Reimann. Der nächste nötige Schritt aus seiner Sicht sei, Betriebsräten auch ein Vetorecht gegen den Einsatz von Werkvertrags-Kräften einzuräumen. Solche Vorstöße lehnt das Arbeitgeberlager entschieden ab. Ein Vetorecht sei ein eklatanter Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, kritisieren die Verbände. Wobei diese Aufregung vermutlich umsonst ist, schließlich steht im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD nichts von einer solchen Veto-Regelung; hier sind Nahles die Hände gebunden. Unabdingbar: Tariföffnungsklausel Deutlich weitreichender dürften die Folgen für die Unternehmen sein, wenn die Arbeitsministerin tatsächlich die Überlassung von Arbeitnehmern zeitlich beschränkt. Das Gesetz erlaubt derzeit nur ein "vorübergehendes" Ausleihen, in Berlin wird gemutmaßt, die SPD-Ministerin könnte eine absolute Höchstgrenze bei 18 Monaten einziehen. Aus der Sicht von Praktikern wäre in diesem Fall entscheidend, ob das Gesetz eine sogenannte Tariföffnungsklausel enthält, das heißt, ob Zeitarbeitsfirmen oder Arbeitgeberverbände mit den Gewerkschaften auch eine längere Überlassungsdauer vereinbaren können. "Ohne Öffnungsklausel würde Deutschland ins Hintertreffen geraten", warnt Andreas Stommel vom Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Deutschland (ASL), Bonn. Andere Experten (siehe Kasten Seite 24) halten eine maximale Entleihdauer von anderthalb Jahren für unproblematisch, weil die Regelung nur relativ wenige Arbeitnehmer betrifft. Tatsächlich dauert rund die Hälfte aller Leiharbeitseinsätze nur ein halbes Jahr, auf mehr als 18 Monate kommen nur 19 Prozent. Diese Zahlen hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), Münster, erhoben. Mehr Bürokratie und mehr Aufwand Problematisch könnte sein, was Nahles angeblich für die Entlohnung der Leiharbeiter plant - nämlich, dass sie nach neun Monaten beim Lohn gleichgestellt werden. Diese Forderung nach "Equal Pay" steht zwar schon im Gesetz, jedoch existiert noch eine Öffnungsklausel, die es den Tarifpartnern erlaubt, die Angleichung der Löhne selbst zu regeln. Käme der fixe Neun-Monate-Stichtag, wären die Folgen klar: Die Zeitarbeitsfirmen würden ihre Kräfte regelmäßig vor Ablauf der Frist austauschen, es gäbe in den Betrieben ein ständiges Kommen und Gehen. "Das kann auch nicht im Sinne der Gewerkschaften sein", sagt Arbeitgebervertreter Stommel. Denn so hätten die entliehenen Arbeitnehmer keine Chance, sich im Betrieb wirklich zu bewähren und würden folglich auch seltener in die Stammbelegschaft übernommen - eigentlich das politische Ziel der Leiharbeit. Außerdem warnt Stommel vor mehr Bürokratie und zusätzlichem Aufwand dadurch, dass bei längeren Projekten ständig Leiharbeiter neu eingearbeitet werden müssen. Sein Fazit: "Das ist eigentlich nicht machbar." Interessanterweise können sich nicht einmal alle Gewerkschaftler für den Vorschlag erwärmen. Der Grund: Die Zeitarbeitsfirmen haben schon in elf deutschen Branchen Tarifverträge abgeschlossen, in denen geregelt ist, dass Leiharbeiter schrittweise mehr Lohn erhalten. Monat für Monat bekommen sie einen Aufschlag, bis nach neun Monaten 90 Prozent des Stammbelegschaft-Niveaus erreicht sind. Käme die starre Stichtagsregelung, würden sich diese Leiharbeiter bis zum neunten Monat deutlich schlechter stellen. "Das wäre ein Schuss ins Knie", meint Wolfram Linke, Pressesprecher der IGZ. Auf Grenzen zur Leiharbeit achten Was auch immer aus Berlin kommt: Die Logistikdienstleister sind gut beraten, sich noch einmal genau ihre Werkverträge anzuschauen - und wie sie beim Kunden erfüllt werden. Das Ziel muss sein, nicht aus Versehen die Grenze zur Leiharbeit zu überschreiten (siehe Kasten Seite 23). "Machen Sie eine Betriebsbegehung und schauen Sie sich alles an, als ob Sie der Zoll wären", rät Professor Hansjürgen Tuengerthal von der Arbeitsgemeinschaft Werkverträge und Zeitarbeit, Mannheim. Der Rechtsanwalt verweist auf zwei entscheidende Punkte, die bei Werkvertragsarbeit zu beachten sind: Zum einen dürfen die externen Mitarbeiter nicht zu stark in den Betrieb beim Kunden integriert werden. Es muss für Außenstehende sofort erkennbar sein, welcher Arbeiter wozu gehört. Diese Trennung sollte auch räumlicher Art sein, das heißt, Werkvertragsmitarbeiter sollten wenn möglich ein eigenes Fließband nutzen, eine eigene Halle oder aber einen eigenen Hallenbereich. Zum anderen dürfen die Mitarbeiter des Dienstleisters keine direkten Weisungen vom Auftraggeber entgegennehmen. Gerade dieser Punkt sei in der Praxis wichtig, betont Experte Tuengerthal: "Es schleift sich leicht ein, dass ein Meister gegenüber einem Arbeitnehmer des Werkvertragsunternehmens genauso auftritt wie gegenüber den eigenen Mitarbeitern." Mehr dazu im Dossier Wirtschaftsrecht & Verträge www.verkehrsrundschau.de/dossiers Aus der Praxis: RTC Solutions "Entscheidend ist, dass die Aufgabengebiete vertraglich und operativ klar abgetrennt sind" Logistische Dienstleistungen über Werkverträge anzubieten ist die Spezialität von RTC Solutions. Das Bremer Unternehmen, seit 50 Jahren am Markt, betreibt unter anderem ein Repacking-Zentrum für einen internationalen Konsumgüterhersteller sowie mehrere Intralogistikprojekte in der Industrie. Meist wird die Leistung über Werkverträge erbracht."Das ist eine bewährte Form", sagt Geschäftsführer Björn Svanström.Damit die Zusammenarbeit in der Praxis klappt, müsse es eine klare Abgrenzung zum Geschäft des Kunden geben. "Und beide Parteien müssen sich daran halten." Deshalb setzt RTC Solutions an jedem seiner Standorte einen eigenen, qualifizierten Betriebsleiter ein. Nur er erteilt der eigenen Mannschaft Weisungen und nur er tritt gegenüber dem Kunden auf. So wird verhindert, dass im Tagesgeschäft Dinge passieren, die nicht im Werkvertrag stehen. Typisches Beispiel: Ein Mitarbeiter des Kunden fragt den Staplerfahrer des Dienstleisters, ob er kurz mal helfen kann.Dass Stammbelegschaft und Dienstleister Seite an Seite arbeiten, passiere bei der RTC Solutions nicht, betont Svanström. Natürlich treffe man sich gelegentlich, das sei aber kein Problem. "Entscheidend ist, dass die Aufgabengebiete im Pflichtenheft klar voneinander abgetrennt sind und im operativen Handeln umgesetzt werden."Einige Gewerkschaftler kritisieren, dass externe Dienstleister die Betriebsmittel des Auftraggebers nutzen und sehen darin ein Indiz für versteckte Leiharbeit. Svanström widerspricht: "Davon steht im Gesetz nichts. Außerdem lässt sich die Leistung häufig nur erbringen, wenn man Betriebsmittel des Kunden nutzt." Als Beispiel nennt er den Betrieb einer Lackieranlage, die ohne Nutzung vorhandener kundenspezifischer Farbe nicht möglich wäre. Dass Werkverträge mitunter missbräuchlich verwendet werden können, bestreitet Praktiker Svanström nicht. Er glaubt allerdings nicht, dass neue oder schärfere Gesetze daran etwas ändern könnten."In den Fällen, die bekannt geworden sind, hat man den Unternehmen auch mit den bestehenden Regeln das Handwerk gelegt", so der RTC-Solutions-Geschäftsführer. cg Glossar Ein schmaler Grad: Was Leiharbeit und Werkvertrag unterscheidet Leiharbeit- Der Verleiher stellt dem Kunden auf Zeit Mitarbeiter zur Verfügung- Bezahlt wird pro jeweils geleisteter Arbeitsstunde- Der Entleiher organisiert die Tätigkeit der Leiharbeiter- Der Kunde darf dem Leiharbeiter Weisungen erteilen- Die Leiharbeiter sind in die Arbeitsabläufe beim Kunden integriert- Der Betriebsrat wird über den Einsatz der Leiharbeiter informiert- Der Entleiher trägt das unternehmerische Risiko (auch wenn der Leiharbeiter zum Beispiel ein mangelhaftes Produkt zu verantworten hat)Werkvertrag- Der Fremdunternehmer erbringt mit seinem Personal eine bestimmte Dienstleistung- Bezahlt wird ein bestimmtes Werk, zum Beispiel x Euro für jede eingelagerte Palette- Das Werkunternehmen organisiert die Tätigkeit der Mitarbeiter- Mitarbeiter des Dienstleisters dürfen nur Weisungen von eigenen Vorgesetzten entgegennehmen- Personal des Dienstleisters arbeitet organisatorisch (und oft auch örtlich) getrennt- Der Betriebsrat muss über den Einsatz nicht informiert werden (hier ist aber eine Änderung geplant)- Der Dienstleister trägt das volle unternehmerische Risiko cg

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