Brandgefährlich

Großeinsatz der Feuerwehr bei Technologieentwickler Bertrandt AG in Ehningen: In dem baden-württembergischen Firmensitz des Unternehmens, das für die Automobil- und Flugzeugindustrie tätig ist, löste die Brandmeldeanlage aus. Die Ursache: eine größere Lithium-Ionen-Batterie hatte Feuer gefangen. Explosiv, aggressiv und Gefahrgutklasse 9 Dies vermeldete im Juni 2020 Nonstop-News, eine Nachrichtenagentur fürs Fernsehen. Der eigentliche Brand sei schnell gelöscht gewesen, hieß es seinerzeit. Allerdings habe die bei dem Zersetzungsprozess solcher Akkus entstehende Flusssäure massive Probleme bereitet, weil diese extrem gefährlich und aggressiv sei. Erst mit Unterstützung der Werksfeuerwehr von Daimler habe man die Lithium-Ionen-Batterie löschen können. "Lithium-Ionen-Batterien sind brandgefährlich", bestätigt Jürgen Erdt. Er leitet bei LGI Logistics Group International, einem der größten industriellen Kontraktlogistiker Deutschlands, den Bereich Business Solutions in der Division Automotive/ Industrial. "Nicht umsonst gilt für sie mit einer Nennenergie von mehr als 100 Wh die Gefahrgutklasse 9", sagt Erdt. "Sie werden also als besonders kritisch eingestuft." Beispiele, wie eingangs beschrieben, kennt der Manager deshalb zuhauf, auch wenn bei LGI ein solcher Unfall zum Glück noch nie vorgekommen ist. Oft reiche es dafür schon aus, weiß er, wenn eine Lithium-Ionen-Batterie leicht überladen sei, dass diese wie ein Feuerwerkskörper explodieren könne - mit den eingangs geschilderten Folgen. Löschen lasse sich ein solcher Brand nur durch extreme Kühlung, Sauerstoffentzug reiche dagegen nicht aus. Erdt weiß, wovon er spricht. Zusammen mit seinem Team entwickelt er für die Automobilbranche Transport- und Logistiklösungen und damit auch für Lithium-Ionen-Batterien. Was ihm da Sorge macht: "Es gibt in Sachen Brandschutz noch viele offene Fragezeichen, vor allem wenn man Lithium-Ionen-Batterien in Gebäuden bewegen oder zwischenlagern will." Streng genommen gebe es da keine spezifische Regelung", sagt er, "außer dass das jeweilige Lager über gesonderte Sprinkler-Systeme mit hoher Wasser-Last sowie über entsprechende Becken verfügen muss, um im Fall der Fälle dekontaminiertes Wasser auffangen zu können." Jedes Gebäude werde da für sich betrachtet, noch gebe es keine wirklichen Erfahrungswerte. Dies hat zur Folge, dass man jede Menge Brandschutz-, Wasserschutz-Experten und Versicherungen dafür befragen müsse, bis man hier eine valide Lösung habe - zumal dies in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt sei. "Heute ist das auch kein großes Problem, weil bislang nur kleine Mengen an Lithium-Ionen-Batterien bewegt werden", sagt der LGI-Manager. "Was aber, wenn einmal wirklich Mengen bewegt werden und vor allem, wenn sich dann einmal eine entzündet? Da fangen dann die Probleme an." Hersteller geben die Prozesse genau vor Eine große Herausforderung sei auch, dass die Automobilindustrie und die Logistikbranche von der Dynamik aktuell ein gutes Stück überrannt werden und die Supply Chains noch nicht vollumfänglich darauf vorbereitet seien, formuliert es Erdt. Das Herzstück jedes E-Fahrzeugs sei zwar die Lithium-Ionen-Batterie. Wie diese aber künftig zusammengebaut werden sollen, löse jeder OEM unterschiedlich, erklärt er. Auch weil heute keiner wisse, wie sich die Verkaufszahlen von E-Fahrzeugen einmal konkret entwickeln sowie wo die Batterien künftig produziert und gesourct werden - ob in Asien oder in Europa. Entsprechend schwer tun würde sich im Moment die Automobilindustrie mit Forecasts, zum Beispiel konkreten Mengen-Gerüsten. Die gute Nachricht ist: "Den europäischen Herstellern ist mittlerweile bewusst - zumindest in der Automobilindustrie -, dass in der Batterielogistik extrem hohe Sicherheitsanforderungen zu erfüllen sind." Darauf verweist Achim Glass, der bei Kühne + Nagel das Geschäftsfeld Automotive & New Mobility leitet. Vor zwei, drei Jahren sei dies vielen Einkäufern nicht bewusst gewesen. Zwischenfälle, bei denen sich etwa eine defekte Lithium-Ionen-Batterie in einem Smartphone oder einem E-Bike entzündet und so ein Feuer verursacht, hätten vielen die Gefährdungspotenziale vor Augen geführt. So geben Glass zufolge die großen OEMs heute sehr genau die Prozesse vor, die die Logistikdienstleister und Carriers beim Transport von Lithium-Ionen-Batterien einhalten müssen. "Außerdem arbeiten wir eng mit unseren Kunden zusammen, um voneinander zu lernen und Best Practices auszutauschen. Wir erhalten mittlerweile sehr konkrete Requests for quotations, also Anfragen", betont der Manager. Kühne + Nagel hat Glass zufolge schon vor vier Jahren die Lösung "KN BatteryChain" entwickelt - eine verkehrsträger-übergreifende End-to-End-Lösung für Lithium-Ionen-Batterien mit weltweit über 40 Standorten. Konkret umfasst die Lösung die drei Produkte "Lithium Inbound", "Lithium Aftermarket" und "Lithium Reverse". Sprich: Das Unternehmen importiert Batteriezellen aus Asien und liefert diese in die Hochvoltspeicher-Produktion der Automobilbauer in Europa und Nordamerika. Neben dem überwiegend verwendeten Seeweg befördert der Logistiker Batterien auch per Luftfracht. "Aufgrund der derzeitigen Marktsituation bieten wir zudem einen kombinierten Verkehr, wobei Batterien in China per Lkw bis zur russischen Grenze transportiert werden, um entweder weiter auf dem Landweg oder auf der Schiene mit der Tanssibirischen Eisenbahn nach Europa befördert zu werden. Und wenn bei einem elektrischen Nutzfahrzeug eine defekte Lithium-Ionen-Batterie ausgewechselt werden muss, macht dies Kühne + Nagel ebenfalls. An diversen Standorten in Europa hält das Unternehmen Neubatterien auf Vorrat und liefert im Express-Service eine neue Batterie zum havarierten Fahrzeug. Rundum-Lösung, die ihren Preis hat Die größten Wachstumschancen sieht Glass im Recycling-Produkt "Lithium Reverse", für das Kühne + Nagel mit Entsorgungs- und Recycling-Firmen europaweit zusammenarbeitet. Denn laut EU-Recht müssen defekte oder beschädigte Lithium-Ionen-Batterien in dem Land entsorgt werden, wo sie als Abfall deklariert werden. In Europa gibt es derzeit indes nur eine begrenzte Anzahl von Entsorgungsbetrieben, die die großen Hochvoltspeicher, beispielsweise eines Elektro-SUV, recyceln können. Portugal beispielsweise verfügt laut Glass über keine solche Anlage, sodass die End-of-Life-Batterie als "gefährlicher Abfall" außer Landes gebracht werden muss, etwa nach Frankreich. Dieser grenzüberschreitende Transport unterliegt dann dem sogenannten Notifizierungsverfahren. "Dabei wird die genaue Route von der Behörde vorgegeben, welche strikt eingehalten werden muss", sagt Glass. "Das Besondere an unseren Dienstleistungen ist, dass wir mit diesen Lösungen nicht nur alle entsprechenden internationalen Gefahrgutvorschriften erfüllen, sondern darüber hinaus acht sicherheitsrelevante Elemente nach ISO 16949, den international führenden Qualitätsstandards der Automobilindustrie", wirbt Glass für "KN BatteryChain". "Natürlich hat das seinen Preis. Wir bieten Kunden damit aber die Rundum-Lösung, weil sie sich nicht sorgen müssen, mit einem Bein in der Vertragsstrafe zu stehen, wenn mal etwas passiert. Mehr zum Thema finden Sie unter #Automobillogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Noch nie haben die deutschen Endverbraucher so viele Elektrofahrzeuge gekauft wie in 2020. Soweit zur guten Nachricht. Herzstück von E-Fahrzeugen ist meist eine Lithium-Ionen-Batterie. Der Transport und das logistische Handling dieser Teile stellt indes die Logistik vor massive Herausforderungen. OEM-Produktionsbelieferung erfolgt vermehrt per Bahn Prof. Stefan Iskan, Hochschule Ludwigshafen Die Elektromobilität gewinnt an Fahrt. Welche Geschäftschancen bietet die Batterielogistik Transport- und Logistikdienstleistern? Grundsätzlich ist da zweierlei zu unterscheiden: zum einen die Inboundlogistik, sprich die Produktionsversorgung der OEMs mit Lithium-Ionen-Batterien, zum anderen der After-Sales-Markt. Hier, im Ersatzteil- und Entsorgungs-Handling von Lithium-Ionen-Batterien, sehe ich für internationale Logistikdienstleister gute Chancen. In der Inboundlogistik der Automobilindustrie werden Dienstleister eine untergeordnete Rolle spielen. Warum? Eine Lithium-Ionen-Batterie wiegt im Schnitt rund 500 Kilogramm, für den Verkehrsträger Straße ist das wenig attraktiv - zumal diese Teile brandgefährlich sind. Sprich: Die OEMs werden den Transport von Lithium-Ionen-Batterien auf massentaugliche Verkehrsträger verlagern. Die gesamte Produktionsbelieferung zwischen Zulieferern und den Fabrikanlagen der OEMs wird künftig auf der Schiene bzw. intermodal erfolgen. Alles das wird ein Hersteller dann selbst durchführen - wie das Beispiel Volkswagen Zwickau zeigt. Da spielen den OEMs die Neuerungen Industrie 4.0, die Vollautomatisierung, in die Hände. Sprich: Für die Werke-Versorgung in der Automobilbranche braucht es künftig keine Lkw-Spediteure und -Transporteure mehr? Mit Blick auf die Batterie-Transporte, ja. Die Inbound-Logistik wird der Hersteller mit den Bahn-Carriern künftig in Eigenregie erbringen. Im Bereich After-Sales-Markt-Versorgung sehe ich dagegen schon Potenzial für internationale Dienstleister. Dort können sie ihr Know-how in puncto Nähe zum Händlernetzwerk, Internationalisierung und Zollrecht bestens einbringen.

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