Der Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne legt weder ein gemeinsames Mindestlohnniveau fest, noch verpflichtet er die Mitgliedstaaten zur EU-weiten Einführung gesetzlicher Mindestlöhne, wie die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland weiter mitteilt.
EU-Parlament und Rat müssen den Kompromiss noch förmlich billigen. Die Richtlinie tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Anschließend haben die EU-Länder zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht zu übertragen.
Aktionspläne zur Tarifbindung
Die Standards sollen regeln, wie gesetzliche Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden sollen. Das Gesetzesvorhaben sieht zudem vor, dass EU-Länder Aktionspläne festlegen, um die Tarifbindung zu steigern, wenn deren Quote unter 80 Prozent liegt.
Nationale Zuständigkeiten berücksichtigt
Die Europäische Kommission begrüßt die politische Einigung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass die neuen Standards auch die nationalen Zuständigkeiten und die Autonomie der Sozialpartner berücksichtigen.
Nicolas Schmit, Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, ergänzt: „Niemand sollte kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen: Angemessene Mindestlöhne werden dafür sorgen, dass alle einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen können. Dies ist besonders wichtig für Frauen, die die Mehrheit der Mindestlohnbeschäftigten in der EU ausmachen.“
Die neue Richtlinie soll einen EU-Rahmen bilden, der für die Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne sorgt. Zugleich sollen damit Tarifverhandlungen bei der Lohnfestsetzung gefördert und der Zugang zum Mindestlohnschutz verbessert werden.
Förderung von Tarifverhandlungen
Mit der Richtlinie werden laut Kommission Tarifverhandlungen in allen Mitgliedstaaten erleichtert und gefördert. Denn in Ländern mit einer hohen tarifvertraglichen Abdeckung ist der Anteil der Geringverdienenden und die Lohnungleichheit tendenziell niedriger. Die Mindestlöhne sind dort höher.
Rahmen mit Kriterien
Mitgliedstaaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen müssen zudem einen Governance-Rahmen schaffen, in dem sie unter anderem aufzeigen, wie sie Mindestlöhne festlegen und aktualisieren.
Dieser Rahmen umfasst:
- Kriterien, um Mindestlöhne festzulegen. Dazu können beispielsweise Kaufkraft, Lohnniveau, Lohnverteilung, Wachstumsrate der Löhne und nationale Produktivität zählen;
- indikative Referenzwerte für die Bewertung der Angemessenheit der Mindestlöhne,
- regelmäßige und rechtzeitige Aktualisierungen der Mindestlöhne,
- die Einrichtung von Beratungsgremien, an denen sich die Sozialpartner beteiligen,
- das Begrenzen von Variationen und Abzügen der gesetzlichen Mindestlöhne auf Fälle, in denen dies objektiv durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und
- eine wirksame Beteiligung der Sozialpartner an der Festlegung und Aktualisierung des gesetzlichen Mindestlohns.
Mehr Transparenz und mehr Hilfe
Auch sollen die Länder den Mindestlohnschutz besser überwachen und durchsetzen. Alle Mitgliedstaaten müssen laut Kommission Daten über die Abdeckung und Angemessenheit des Mindestlohns erheben. Sie müssen sicherstellen, dass Arbeitnehmer Zugang zu Streitbeilegungsverfahren und Anspruch auf Rechtsbehelfe haben.
Status quo des Mindestlohnschutzes in der EU
Mindestlohnschutz besteht in allen EU-Mitgliedstaaten, entweder durch gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge oder ausschließlich durch Tarifverträge, wie die Kommission in ihrer Mitteilung weiter hervorhebt. Der tarifvertraglich garantierte Mindestlohnschutz in Niedriglohnberufen sei im Allgemeinen angemessen.
Allerdings hätten die gesetzlichen Mindestlöhne nicht immer mit der allgemeinen Lohnentwicklung Schritt gehalten. Außerdem seien nicht alle Arbeitnehmer in der EU durch Mindestlöhne geschützt.
Hier soll die neue Richtlinie Abhilfe schaffen. Sie sei eine der wichtigsten Maßnahmen des Aktionsplans zur europäischen Säule sozialer Rechte, so die Kommission. Sie hatte im Herbst 2020 den Vorschlag dazu vorgelegt.
Arbeitsminister Heil: „Ein ehrgeiziger Plan“
Auch der deutsche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat die Entscheidung der EU begrüßt. „Fairer Wettbewerb, eine breite Tarifbindung und angemessene Mindestlöhne machen die EU stärker. Die neue Richtlinie gibt ein klares Ziel von 80 Prozent Tarifbindung vor. Das ist ein ehrgeiziger Plan, auch für uns in Deutschland“, so der Minister weiter. Man habe Instrumente, die das möglich machen – etwa ein Tariftreuegesetz des Bundes, damit öffentliche Aufträge an Unternehmen gehen, die Tariflohn zahlen. „Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages für einen armutsfesten Mindestlohn von 12 Euro am letzten Freitag ist die europäische Richtlinie nun auch Rückenwind für mehr Tariflöhne und bessere Tarifbindung in Deutschland.“(mwi)