Bad Honnef. Schon in einigen Wochen könnten die ersten Unternehmen deswegen gezwungen sein, ihre Produktion herunterzufahren, teilte der Bundesverband Holzpackmittel, Paletten und Exportverpackung (HPE) mit. 90 Prozent des sogenannten Drahtstahls, aus dem die für Paletten genutzten Nägel gemacht werden, kommen aus Russland.
Spezielle Nägel erforderlich
Stahllieferungen sind wegen der aktuellen Russland-Sanktionen untersagt. Kurzfristige Alternativen gibt es dem Verband zufolge nicht, da spezielle Nägel nötig seien.
Die Palettenbranche ist mittelständisch geprägt, in Deutschland gibt es rund 180 Hersteller mit durchschnittlich 35 Beschäftigten. „Es ist derzeit eine sehr schwierige Lage“, sagt das Vorstandsmitglied des Verbandes, Joachim Hasdenteufel. Die meisten Firmen der Branche bezögen ihre Nägel von Lieferanten in Osteuropa, etwa aus Polen. „Dass diese Lieferanten fast komplett auf Stahl aus Russland setzen, hat uns überrascht - das war uns nicht bekannt.“
Sechs bis acht Monate, bevor Stahl aus anderen Märkten kommen könnte
Die Branche sei angesichts stark gestiegener Kosten für Holz ohnehin unter Druck, der Preis einer Europalette habe sich seit 2019 von knapp 10 Euro auf derzeit etwa 25 Euro erhöht. Mit den Nägeln komme ein weiteres Problem hinzu. Hierbei gehe es nicht um den Preis, betont Hasdenteufel. „Sondern darum, dass wir überhaupt etwas produzieren können.“
Den richtigen Stahl könnte man möglicherweise zwar auch in Asien bestellen. Die dortigen Kapazitäten seien aber begrenzt. Nach Schätzung Hasdenteufels könnte es sechs bis acht Monate dauern, bis der richtige Stahl aus anderen Märkten ankommen könnte.
Maschineller Produktionsablauf benötigt lose Nägel
Lassen sich nicht einfach andere Nägel nehmen? Nein, sagt HPE-Geschäftsführer Marcus Kirschner. „Es geht um lose Nägel, die in unsere Maschinen gefüllt werden und dann automatisiert angebracht werden.“
Sogenannte magazinierte Nägel, die als Streifen in Pappe oder Kunststoff gewickelt sind, könnte man in den Palettenmaschinen nicht einsetzen. Dass wiederum Beschäftigte die Nägel händisch mit Nagelpistolen anbringen, wäre ein viel zu großer Aufwand und in den maschinellen Produktionsablauf nicht integrierbar.
Unterschiedliche Situationen im Lager
Kirschner berichtet, dass einige Palettenhersteller vorerst noch genügend Nägel auf Lager haben. Bei anderen ist das Lager schon fast leer. „Es dauert nicht mehr lange, bis die Produktion gestoppt werden muss.“
Wie groß der Anteil der deutschen Palettenproduktion ist, der der Stillstand droht, wollten Kirschner und Hasdenteufel nicht sagen - es handele sich um „einige Firmen“.
Natürlicher Schwund: auch Mehrwegpaletten keine Lösung
Ob Lebensmittel, Elektronik oder Medikamente - alles wird in Kartons befördert, die auf Paletten in Lastwagen, Güterzügen oder Flugzeugen transportiert werden. Vergangenes Jahr stellte die hiesige Palettenbranche rund 120 Millionen solcher Holzkonstruktionen her. Etwa die Hälfte davon sind Mehrwegpaletten, vor allem die Europalette ist bekannt. Die andere Hälfte sind Einwegprodukte.
Europaletten und die in der Chemiebranche üblichen CP-Paletten sind für eine Mehrfachverwendung konzipiert. Wäre es wirklich schlimm, wenn weniger Neuware auf den Markt käme - könnten Industrie und Handel nicht einfach auf die alten Paletten setzen und diese verstärkt nutzen?
„Das wird schon jetzt gemacht - Mehrweg ist gang und gäbe“, sagt Kirschner. Es gebe aber einen natürlichen Schwund.
Bei der Verladung gingen Paletten kaputt, oder sie seien stark abgenutzt. Sollten weniger Paletten auf den Markt kommen, wäre so eine Angebotsverknappung nicht über die intensivere Nutzung von Gebrauchtpaletten zu kompensieren, meint der Verbandsgeschäftsführer.
Langfristperspektive hilft nicht in derzeitiger Situation
Könnte eine mögliche Knappheit an neuen Paletten dazu führen, dass der Mehrweggedanke gestärkt und die Holzkonstruktionen häufiger wiederbenutzt werden? Gut möglich, sagt Hasdenteufel.
„Auf lange Sicht könnte die Nachfrage nach stabileren Paletten steigen - wir könnten weniger Paletten verkaufen, dafür aber höherwertigere.“ Zudem könnte die Nachfrage nach Service und Reparatur steigen.
So eine langfristige Perspektive helfe aber nicht bei den aktuellen Problemen. Er betont, dass die Branche mit Hochdruck nach anderen Bezugsquellen suche. Eine rasche Lösung der Nachschubprobleme sei aber nicht absehbar. (mwi/dpa)