Der Philosoph Gerd B. Achenbach bezeichnet die Routine als „Schlaf des Denkens“. Lässt sich dieser Ansatz auch auf Lkw-Fahrer anwenden?
M. Küppers: Das ist eine spannende Frage. Für einen Philosophen ist die Routine möglicherweise ein berufliches Risiko, weil sie die Freiheit des Denkens behindert. Aber die Arbeitsunfälle, die ein Philosoph beim Philosophieren erleiden kann, verletzen glücklicherweise nur seine Gedanken. Das ist bei einem Lkw-Fahrer natürlich anders. Aber sowohl der Philosoph als auch der Lkw-Fahrer können sich vor Unfällen schützen, indem sie Risiken erkennen und sich darauf einstellen. Beide, der Philosoph und der Lkw-Fahrer, erlernen in ihrer Ausbildung einige Risiken ihres Berufes – und Techniken, um sie zu beherrschen. Mit dieser Ausbildung beginnen sie ihr Berufsleben, in dem sie sich weiterentwickeln, Chancen und Risiken erkennen und sich darauf einstellen.
Ein Fahrzeugführer muss eine ganze Reihe komplexer Handlungsketten zuverlässig durchführen, um sich selbst und andere Menschen vor schwersten Unfällen zu schützen. Darum würde ich Routine als etwas Positives definieren: Als ein trainiertes Handlungsmuster, das einem Menschen ermöglicht, auch in unerwarteten Situationen und unter höchster Beanspruchung eine Tätigkeit fehlerfrei zu meistern. Dieses Prinzip machen sich Piloten ebenso zu eigen wie Schachgroßmeister und Lkw-Fahrer. Es gibt eben Aufgaben, die man sprichwörtlich wie im Schlaf können muss. Bei einem Philosophen ist das anders.
Bei welchen Routinen ereignen sich die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle?
M. Küppers: Wenn Sie diese Frage so allgemein stellen, dann lautet die Antwort "Beim Gehen". Bezogen auf einen Lkw-Fahrer ereignen sich die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle vermutlich beim Aussteigen aus dem Fahrerhaus. Es ist aber möglich, dass das je nach Fahraufgabe ein wenig variiert.
Mit welchen weiteren „Routine-Belastungen“ wird das Fahrpersonal konfrontiert?
M. Küppers: Im Sinn meiner ersten Antwort würde ich Routine nicht mit Belastung assoziieren, sondern mit Handlungssicherheit. Routinen im positiven Sinn sind beispielsweise das Abstellen eines Lkw und dessen Sicherung gegen Wegrollen, das sichere Kuppeln eines Lkw-Zuges, das routinierte Aufnehmen und Absetzen einer Wechselbrücke und unzählige Fahr- und Rangiermanöver. Zur Bedienung eines Lkw sind viele Einzelhandlungen erforderlich, die aufeinander aufbauen. Wer sicher einen Lkw fährt, muss sehr zuverlässig und umsichtig arbeiten. Die Befähigung dazu entsteht nicht spontan. Sie entsteht aus Verstehen, Erkennen und so lange üben, bis sie zur Routine wird.
"Ich glaube, dass Impulse zum Durchbrechen eines nachteiligen Handlungsmusters von außen kommen können."
Martin Küppers,
Leiter Arbeitssicherheit und Regelwerk bei der BG Verkehr