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Interview mit Martin Küppers, BG Verkehr: Gesundheitsrisiken für Berufskraftfahrer

29.08.2024 09:00 Uhr | Lesezeit: 5 min
Martin Küppers, Leiter Arbeitssicherheit und Regelwerk bei der Berufsgenossenschaft Verkehr
© Foto: BG Verkehr

Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen sind bei der Ausübung ihres Berufs vielen Belastungen ausgesetzt. Im Gespräch mit Martin Küppers, Leiter Arbeitssicherheit und Regelwerk bei der Berufsgenossenschaft Verkehr, gehen wir der Frage nach, wo besondere Gesundheitsrisiken für diese Zielgruppe lauern.

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Der Philosoph Gerd B. Achenbach bezeichnet die Routine als „Schlaf des Denkens“. Lässt sich dieser Ansatz auch auf Lkw-Fahrer anwenden?

M. Küppers: Das ist eine spannende Frage. Für einen Philosophen ist die Routine möglicherweise ein berufliches Risiko, weil sie die Freiheit des Denkens behindert. Aber die Arbeitsunfälle, die ein Philosoph beim Philosophieren erleiden kann, verletzen glücklicherweise nur seine Gedanken. Das ist bei einem Lkw-Fahrer natürlich anders. Aber sowohl der Philosoph als auch der Lkw-Fahrer können sich vor Unfällen schützen, indem sie Risiken erkennen und sich darauf einstellen. Beide, der Philosoph und der Lkw-Fahrer, erlernen in ihrer Ausbildung einige Risiken ihres Berufes – und Techniken, um sie zu beherrschen. Mit dieser Ausbildung beginnen sie ihr Berufsleben, in dem sie sich weiterentwickeln, Chancen und Risiken erkennen und sich darauf einstellen.

Ein Fahrzeugführer muss eine ganze Reihe komplexer Handlungsketten zuverlässig durchführen, um sich selbst und andere Menschen vor schwersten Unfällen zu schützen. Darum würde ich Routine als etwas Positives definieren:  Als ein trainiertes Handlungsmuster, das einem Menschen ermöglicht, auch in unerwarteten Situationen und unter höchster Beanspruchung eine Tätigkeit fehlerfrei zu meistern. Dieses Prinzip machen sich Piloten ebenso zu eigen wie Schachgroßmeister und Lkw-Fahrer. Es gibt eben Aufgaben, die man sprichwörtlich wie im Schlaf können muss. Bei einem Philosophen ist das anders.

Bei welchen Routinen ereignen sich die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle?

M. Küppers: Wenn Sie diese Frage so allgemein stellen, dann lautet die Antwort "Beim Gehen". Bezogen auf einen Lkw-Fahrer ereignen sich die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle vermutlich beim Aussteigen aus dem Fahrerhaus. Es ist aber möglich, dass das je nach Fahraufgabe ein wenig variiert.

Mit welchen weiteren „Routine-Belastungen“ wird das Fahrpersonal konfrontiert?

M. Küppers: Im Sinn meiner ersten Antwort würde ich Routine nicht mit Belastung assoziieren, sondern mit Handlungssicherheit. Routinen im positiven Sinn sind beispielsweise das Abstellen eines Lkw und dessen Sicherung gegen Wegrollen, das sichere Kuppeln eines Lkw-Zuges, das routinierte Aufnehmen und Absetzen einer Wechselbrücke und unzählige Fahr- und Rangiermanöver. Zur Bedienung eines Lkw sind viele Einzelhandlungen erforderlich, die aufeinander aufbauen. Wer sicher einen Lkw fährt, muss sehr zuverlässig und umsichtig arbeiten. Die Befähigung dazu entsteht nicht spontan. Sie entsteht aus Verstehen, Erkennen und so lange üben, bis sie zur Routine wird.


"Ich glaube, dass Impulse zum Durchbrechen eines nachteiligen Handlungsmusters von außen kommen können."

Martin Küppers,
Leiter Arbeitssicherheit und Regelwerk bei der BG Verkehr



Tipps der VR-Redaktion: Die „Not to Do Liste" – zehn Dinge, die Sie als Lkw-Fahrer nicht tun sollten

  1. Nicht einrosten: Sorgen Sie in den Pausen und in der Freizeit für Bewegung.
  2. Nicht ausrasten: Bleiben Sie auch bei Termindruck ruhig und reagieren Sie gelassen auf das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer.
  3. Nicht springen: Auch wenn es cool aussieht – nicht aus dem Führerhaus springen, sondern achtsam die Stufen runterklettern.
  4. Nicht loslassen: Beim Ein- und Aussteigen konsequent die Haltegriffe nutzen.
  5. Nicht tragen: Alle Gegenstände, die man rollen oder fahren kann, sollten Sie nicht tragen – die Bandscheibe wird es danken.
  6. Nicht Diät machen: Die Erfolge bei Diäten sind in der Regel nur kurzfristiger Natur – lieber immer öfter gesundes Essen in den Tagesablauf einbauen.
  7. Nicht dürsten: Unterwegs immer ausreichend trinken – das Körpergewicht durch 30 teilen ergibt die Menge an Flüssigkeit, die der Körper braucht.
  8. Nicht anfassen: Nur mit Handschuhen arbeiten.
  9. Nicht schlampen: Auch in der Kabine gilt: Ordnung ist das halbe Leben.
  10. Nicht vergessen: Es gibt nur eine Gesundheit!


Wie schafft man es, gegen Routine im Sinne von schlechten Gewohnheiten vorzugehen?

M. Küppers: Ja, leider können unsichere Handlungsmuster ebenso zur Routine werden, wie sichere. Damit landen wir wieder bei der ersten Frage. Ein Lkw-Fahrer kann sich vor Unfällen nur schützen, indem er Risiken erkennt. Dazu gehört auch, bei sich selbst schlechte oder unsichere Routinen zu erkennen. Wenn wir ehrlich sind, fällt das dem meisten Menschen sehr schwer. Denken Sie nur an gesunde Ernährung oder an genug Bewegung. Es ist ganz normal, dass wir uns aus Bequemlichkeiten schlechte Routinen angewöhnen. Man geht mal den lässigen Weg und sieht, dass nichts passiert. Dann scheint es ja egal zu sein. Für einen Lkw-Fahrer können solche Nachlässigkeiten wirklich gefährlich sein.

Ich glaube, dass Impulse zum Durchbrechen eines nachteiligen Handlungsmusters von außen kommen können. Beispielsweise kann ein erfahrener Fahrertrainer ungünstige Routinen erkennen und deutlich machen, welche Sicherheit man unbedacht verschenkt. Vor einiger Zeit habe ich mit einer guten Freundin zusammen ein Brot gebacken. Diese Freundin ist gelernte Köchin. Als ich einen heißen gusseisernen Topf mit einem gerade so passenden Tuch aus dem Backofen gefingert habe, hat sie mich entsetzt angesehen: "Ich verstehe nicht, warum Du nicht zwei Tücher benutzt, um den Topf zu greifen." Das hat gesessen. Dieser Fehler wird mir nie mehr passieren.

Lkw-Fahrer steigt in Führerhaus
© Foto: stock.adobe.com - Dusan Jelicic

"Bezogen auf einen Lkw-Fahrer ereignen sich die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle vermutlich beim Aussteigen aus dem Fahrerhaus", sagt Martin Küppers, Leiter Arbeitssicherheit und Regelwerk bei der BG Verkehr.

M. Küppers: Außerdem glaube ich, dass einheitliche Arbeitsweisen in einem Team wichtig sind. Ich meine nicht, dass alle sich gleich verhalten müssen. Aber alle müssen die gleiche Idee von guter und sicherer Arbeit haben. Wenn es in einem Betrieb üblich ist, nur mit geeignetem Schuhwerk zu fahren, dann bedeutet es eine gewisse Hemmschwelle, als einziger mit Clocks über den Hof zu schlurfen. Ein einheitliches Verständnis von sicherer und guter Arbeit gehört für mich zur Präventionskultur. Das hat auch mit Selbstwertschätzung und mit Respekt vor der eigenen Arbeit zu tun.

VR: Was ist Ihr wichtigster Rat für die Gesundheit von Lkw-Fahrern?

M. Küppers: Bei dieser Frage mache ich einfach da weiter, wo ich eben aufgehört habe: Mein Rat wäre, sich selbst wertzuschätzen und gesunden Respekt vor der eigenen Arbeit zu haben. Lkw-Fahrer leisten in vieler Hinsicht anspruchsvolle und schwere Arbeit. Darauf kann man stolz sein. Zur Professionalität gehört auch, die eigene Arbeitsweise immer wieder zu hinterfragen und noch sicherer zu werden. Eine der schönen Seiten am Beruf des Lkw-Fahrens ist ja, dass man sehr viel sieht. Ich glaube, dass Fahrer vieles sehen und erleben, woraus sie lernen können. Selbstbewusst und gerade deshalb für Neues offen sein. Das ist mein wichtigster Rat für die Gesundheit von Lkw-Fahrern.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Küppers!

 

* Routine ist der Schlaf des Denkens [Philosophische Praxis Gerd B. Achenbach] (achenbach-pp.de)

Möglicherweise meint der Philosoph Aschenbach mit Routine so etwas, wie eine bequeme Nachlässigkeit bei der Arbeit des Denkens. Wenn man es so sieht, kommen die Philosophen, die Lkw-Fahrer und viele andere auf einen gemeinsamen Nenner: Gute Fahrt und sichere Fahrt!

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