Berlin/London. Frankreich stellt die Exportstärke seines wichtigsten Handelspartners Deutschland an den Pranger. Der hohe Handelsüberschuss Deutschlands schade anderen Staaten, kritisierte die französische Finanzministerin Christine Lagarde vor einem Treffen der Finanzminister der Euro-Gruppe am Montag in Brüssel. In einem deutlichen Appell forderte sie Berlin auf, die Binnennachfrage anzukurbeln. Die Bundesregierung und die Industrie wiesen die Forderungen vehement zurück. Berlin mahnte im Gegenzug eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder an. Die Exportstärke Deutschlands sei nicht Folge staatlicher Politik, sondern innovativer Unternehmen. Zuspruch bekam Lagarde dagegen von den Gewerkschaften, die Lohnerhöhungen fordern. Seit längerem gibt es Unmut über die Exportüberschüsse Deutschlands. Durch die Schuldenkrise Griechenlands ist die Besorgnis über die Ungleichgewichte unter den 16-Euro-Länder wieder hochgekommen. Andere Länder werfen Deutschland vor, sich in den vergangenen Jahren mit niedrig gehaltenen Löhnen Exportvorteile zu verschaffen und Wirtschaftswachstum auf Kosten Anderer zu erzielen. Lagarde forderte Berlin auf, die Binnennachfrage zu stärken, um die Wettbewerbsfähigkeit defizitärer Länder zu stärken. "Könnten diejenigen mit einem Handelsüberschuss ein bisschen was tun? (...) Es kann nicht nur darum gehen, Defizit-Regeln zu erzwingen", sagte sie der "Financial Times". Ein Überschuss dank gesenkter Lohnkosten sei möglicherweise unhaltbar für andere Euro-Länder. Deutschland habe in den vergangenen zehn Jahren einen "außerordentlich guten Job" gemacht, was die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und einen "sehr hohen Druck" auf die Lohnkosten angeht, sagte Lagarde. "Ich bin nicht sicher, ob das langfristig und für die ganze Gruppe ein haltbares Modell ist. Wir brauchen eine bessere Angleichung." Jedoch räumte sie ein, dass der Rest der Euro-Gruppe nicht zu viel von Deutschland erwarten könne. Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans hielt dagegen, es sei richtig, die Wettbewerbsfähigkeit zu harmonisieren. "Allerdings wäre es vermutlich für alle europäischen Staaten gewinnbringender, wenn sich nicht einzelne Länder künstlich zurücknehmen, sondern wir unsere ganze Kraft in eine gemeinsame Wachstumsstrategie stecken." Deutschland sei kein Land, in dem der Staat Löhne oder Konsum festlege, betonte Steegmans. "Die Exportwirtschaft jetzt irgendwie anzuhalten, dass sie (...) mehr unattraktive Güter herstellt, würde dem Wettbewerbsgedanken in Europa auch widersprechen." Deutschland habe einen sehr starken und innovativen Mittelstand. Daher stelle sich eher die Frage: "Wie können andere Länder das auch erreichen?" Rückendeckung kam aus Madrid. Die spanische Finanzministerin Elena Salgado kritisierte Lagarde: "Es ist eine Sache, ob etwas wünschenswert ist, und eine andere Sache, ob ein Land einem anderen Land Empfehlungen macht, was es zu tun hat." Allein steht Paris mit der Kritik nicht: Mehrere wirtschaftlich schwache EU-Staaten verlangen nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung (Montag), dass Deutschland Reformen zurückdreht, um ihre Marktchancen zu verbessern. Einem "Frühwarnbericht" der deutschen EU-Vertretung zufolge werde Berlin vorgeworfen, mit seinem exportorientierten Wirtschaftsmodell Wachstum auf Kosten Anderer zu erreichen. Auch für DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki wäre es falsch, nach der Krise allein auf eine expansive Exportstrategie zu setzen. "Wichtig ist es jetzt, mit Existenz sichernden Löhnen und Mindestlöhnen die Binnennachfrage zu stärken, um den heimischen Markt anzukurbeln." Dabei würden Importe nach Deutschland zunehmen, was auch schwächeren Euro-Ländern helfen würde, sich zu stabilisieren. Der Industrieverband BDI wies die "Ermahnungen aus dem Ausland" zurück: Deutschlands Exporterfolge beruhten nicht auf "irgendeinem geplanten Modell". Sie seien Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, nannte Frankreichs Kritik absurd. Er verteidigte laut "Focus online" die deutsche Wirtschaft gegen den Vorwurf, sie habe dank moderater Lohnzuwächse Erfolge zu Lasten schwächerer Euro-Länder gefeiert. Deutschland sei größter Nettozahler in Brüssel: "Da sage noch einer, wir würden auf Kosten anderer leben." (dpa)
Paris und EU-Länder kritisieren deutsche Exportstärke
Kritik: Deutsche Exportstärke schade die schwächeren EU-Staaten / Bundesregierung mahnt gemeinsame Wachstumsstrategie und Harmonisierung der Wettbewerbsfähigkeit an