Hamburg. Die in der Weltwirtschaftskrise 2009 von verschiedenen Großcontainerlinien eingerichteten Direktdienste von Fernost in den Ostseeraum könnten zu einer Dauereinrichtung werden. Dabei dürften mittel- und längerfristig vorrangig Frachter mit einer Stellplatzkapazität von 4000 bis 6000 Standardcontainer (TEU) zum Einsatz kommen. Diese Einschätzung findet sich im fünften Maritimen Trendbarometer 2010 wider, das am Mittwoch von Unicredit in München veröffentlicht wurde. An der Umfrage beteiligten sich Schifffahrtsunternehmen, die rund 90 Prozent des Seeverkehrs in der Ostsee abdecken.
Containerdirektverkehre zwischen der Ostsee und Asien waren mehrheitlich als eine Art "Notlösung" im Verlauf von 2009 entwickelt worden. Aufgrund des Überangebots an Containerschiffstransportraum brachen die Charterraten ein, so dass es für die Linienreeder attraktiv wurde, sich günstige und hochwertige Tonnage zu sichern. So konnten Direktanläufe in den Ostseehäfen etabliert und gleichzeitig das Feeder-Aufkommen gesenkt werden. Auch Rückgänge bei den Bunkerkosten sowie deutlich gestiegene Gebühren durch den Nordostsee-Kanal (NOK), verbunden mit den Schiffsgrößenbeschränkungen auf der künstlichen Wasserstraße, begünstigten den Trend zu Direktdiensten. Ein wichtiger Trendsetter war und ist die dänische Maersk-Gruppe.
Investitionen in die Häfen sind in den letzten Jahren gestiegen
Unabhängig von diesem Trend hatten Länder wie Polen, aber auch Finnland und Russland in den letzten Jahren mit erheblichen Geldmitteln ihre Häfen ausgebaut, wobei ein Investitionsschwerpunkt im Containersegment lag und weiterhin liegt. Diese Terminals sind in der Lage, Schiffe abzufertigen, die deutlich über die Ostsee-Feeder-Standard von 1000 bis 1500 TEU liegen.
58 Prozent der jetzt befragten Reeder kann sich sehr gut vorstellen, dass sich diese Übergangslösung trotz einer Veränderung von verschiedenen Rahmenbedingungen im Markt manifestiert. So steigen seit Jahresbeginn die Charterraten wieder kontinuierlich an, auch wenn sie vom Niveau des Jahres 2008 noch ein gutes Stück entfernt sind. Zugleich steigen auch die Bunkerkosten. Als "Ostseeschiff" könnte sich dabei ein Frachtertyp mit 4000 bis 6000 TEU durchsetzen.
Zu den Begleiterscheinungen dieses Szenarios gehört nach mehrheitlicher Einschätzung der Reeder auch, dass sich im Ostseeraum Asien-Hub-Häfen herausbilden könnten, von denen aus dann die regionale Weiterverteilung der Ladung erfolgt. Ein entsprechendes Potenzial sehen die Reeder für Danzig und für den neuen Containerhafen Ust Luga bei St. Petersburg. Allerdings verschließen die Schifffahrtsfachleute ihre Augen nicht vor einem grundsätzlichen Problem: die Hinterland-Anbindungen von diesen Häfen sind noch auf Jahre hinaus die Achillesferse. Defizite bestehen darüber hinaus noch auf dem Gebiet der Hafen-Suprastruktur.
Hamburgs Rolle als "Skandinavien-Hafen" könnte an Bedeutung verlieren
Hamburg, bislang noch die führende Drehscheibe für Skandinavien, die Baltischen Staaten und Russland könnte von mehr Direktlinien unter den westeuropäischen Häfen am spürbarsten negativ getroffen werden. Einen ersten Vorgeschmack hatte der Elbe-Hafen bereits 2009 bekommen, als – krisenbedingt – fast 50 Prozent des Feeder-Aufkommens wegbrach. Die Beziehungsintensität zwischen Hamburg und den Ostseeanrainern ist dabei unterschiedlich stark. Finnland beispielsweise nimmt unter den Handelspartnern Hamburgs den sechsten Rang ein, so die Hafen Hamburg Marketing (HHM). Doch selbst der sehr stark über Landverkehrswege erschlossene Nachbar Dänemark bringt es in Hamburg immer noch auf rund 147.000 TEU (2009) reines See-Feeder-Aufkommen. Vom Direktanlauf-Szenario dürfte auch die Ro/Ro- und Ostsee-Fährschifffahrt in der Ostsee nicht ungeschoren davon kommen, so die Trendumfrage weiter. Danach sind nach Einschätzung der befragten Reeder längerfristig vor allem Fährlinien zwischen Deutschland und dem Baltikum, aber auch nach Russland sowie zwischen Polen und Schweden "gefährdet".
Dass die Ostsee bereits ab 2015 mit den dann strengsten Schwefelobergrenzen der Welt beim Schiffstreibstoff konfrontiert wird, wird ebenfalls Folgen für die Schifffahrt haben. Denn der hochwertige Treibstoff mit dann nur noch 0,1 Prozent Schwefelgehalt wird erheblich teurer sein als der heute verfügbare. Die Reeder-Experten erwarten Preissteigerungen in einer Bandbreite von 25 bis 50 Prozent gegenüber dem aktuellen Niveau. Alternativtreibstoffe zum Bunkeröl wie LNG können sich die Reedereien nicht vorstellen. Gerade einmal acht Prozent der Befragten "denken darüber nach". Schiffsklassifikationsgesellschaften wie der Germanische Lloyd (GL) oder Det Norske Veritas (DNV) aus Norwegen vertreten dazu übrigens eine andere Position. Sie rechnen vor allem in der Feederschifffahrt mit einem Trend zum LNG-Einsatz. (eha)